Unsinkbares Kreuzfahrtschiff?

16. März 2012 | von

Moderne Kreuzfahrten propagieren ein luxuriöses Urlaubsvergnügen. Die Risiken der Schifffahrt gelten dabei durch technische Errungenschaften als gebannt. Solcher Illusion erlagen schon vor 100 Jahren Tausende: Der dramatische Untergang des Passagierschiffs Titanic wurde zum Synonym für Katastrophen.



Havarie im Mittelmeer, diese Nachricht flimmert am 13. Januar 2012 live auf allen Kanälen. Die Kameras sind auf die tragische Kulisse vor der Insel Giglio gerichtet, wo das Kreuzfahrtschiff Costa Concordia nur mehr halbseitig aus dem Wasser ragt, nachdem es einen Felsen rammte und Schlagseite nahm. „Wie im Film”, geben die Geretteten der Presse zu Protokoll. Tatsächlich finden sich Parallelen zum bekanntesten Schiffsunglück der westlichen Welt, dem Untergang der Titanic. Drei folgenreiche Ereignisse trugen vor 100 Jahren zur Katastrophe bei: Die Titanic schiffte zu schnell in gefährlichem Gewässer, die Rettungsvorkehrungen waren unzureichend und die ersten verzweifelten Funksprüche wurden vom Bordfunker der SS Californian, die dem Unglücksort am nächsten lag, nicht gehört, weil dieser gerade Feierabend machte.



KOMFORT UND LUXUS AUF SEE

Das bis dato mit 45.000 Bruttoregistertonnen größte Passagierschiff, die RMS Titanic, kollidierte gegen 23.40 Uhr im Nord-atlantik etwa 300 Seemeilen südöstlich von Neufundland mit einem Eisberg und war etwa zwei Stunden und 40 Minuten später am 15. April 1912 im eiskalten Meer verschwunden. „Praktisch unsinkbar“, so hatte die Zeitschrift The Shipbuilder sie zuvor beschrieben. Den Gewalten der Natur sollten neueste Kon-

struktionen im Rumpf des Schiffs trotzen. Die vollautomatischen Wasserschutztüren zwischen 16 wasserdicht abschottbaren Abteilungen galten als revolutionär. Bei einem Aufprall konnten diese geschlossen werden, um so das eindringende Wasser auf die betroffenen Parzellen zu begrenzen. Mit zwei beschädigten Kammern wäre das Schiff noch schwimmfähig gewesen, aber als sich sechs davon füllten, war der Untergang unaufhaltbar.

Der Name sollte Programm sein, ein Titan, riesig, unbezwingbar, unter der Führung der Offizierselite der Royal Navy. Was konnte da schief gehen? Die Reederei White Star Line überzeugte ihre Reisegäste überdies mit Luxus und Komfort. Pompöse Privat-

kabinen und ein prunkvoller Gesellschaftsraum lockten unter anderem neben einem Schwimmbad, einem Gymnastikraum und einem im französischen Stil gestaltetem Café die High Society der angloamerikanischen Welt. Kein Wunder also, dass viele Superreiche, darunter Textilfabrikant Martin Rothschild oder Benjamin Guggenheim, sich die Ehre gaben, ebenso wie der Maler Frank Millet und die Mennoniten-Missionarin Annie Clemmer Funk. Keiner der Genannten konnte überleben. Auch Fahrgästen anderer Gehaltsklassen waren auf der langen Tour von Southampton nach New York City unerwartete Annehmlichkeiten geboten. So bestand statt der üblichen Schlafsäle die 3. Klasse aus Kabinen mit Stockbetten.



DEM UNTERGANG GEWEIHT

In der Unglücksnacht des 14. April 1912 – das Meer lag so glatt wie noch nie, heißt es – durchbrachen plötzlich drei Schläge der Alarmglocke die friedliche Stille: „Eisberg direkt voraus!“ telefonierte Frederick Fleet vom Ausguckposten an die Brücke weiter. Die Offiziere reagierten sofort, konnten das Schiff aber nicht mehr rechtzeitig abwenden. Im Rauchsalon auf dem

A-Deck meinten die Herren leichte Schleifgeräusche vernommen zu haben, im Kesselraum des Schiffsbauchs dagegen klang es wie Kanonenhall. Kapitän Edward John Smith blieb nichts übrig, als die Räumung einzuleiten, Panik solange wie möglich zu vermeiden und Frauen samt Kinder zuerst in die Rettungsboote zu bringen. Denn für alle 2.200 Passagiere an Bord, das war dem Seemann bewusst, reichten die 1.178 Plätze in den Booten nicht aus. Dabei führte die Titanic sogar mehr Plätze zur Rettung mit als vorgeschrieben.

Die Schiffskapelle begleitete die Evakuierung musikalisch, eine absurde Situation, noch war die Schiffsneigung kaum spürbar, so dass sich viele Damen nicht von Deck in die wackeligen Boote bewegen wollten. Schon legte das erste ab, ohne vollbesetzt zu sein, wertvolle Zeit und lebensrettende Plätze gingen verloren. Aus der 3. Klasse hatte sich bisher kaum einer den Weg an Deck bahnen können. Von kapitalistischen Verbrechen wird die Rede sein, wenn Augenzeugen später das brutale Vorgehen der Besatzung gegen Reisende vom Unterdeck beschreiben, um diese von den rettenden Booten fernzuhalten. Bald ergaben sich grausame Szenen, bis sich die Übriggeblieben in Stille ihrem Schicksal fügten. Dann riss die sinkende Titanic zwischen 1.490 und 1.517 Menschen mit sich in die Tiefe.



LETZTER MANN AN BORD

In Folge dieser Katastrophe wurde 1913 die erste internationale Konferenz für den Schutz menschlichen Lebens auf See (SOLAS) einberufen. Nicht zuletzt deshalb schockieren die Berichte der chaotischen Evakuierung auf der Costa Concordia, der mindestens 25 Menschen zum Opfer fielen. Die genauen Umstände sollen seit März vor Gericht geklärt werden. Dort muss sich der Kapitän Francesco Schettino für fahrlässige Tötung und Havarie verantworten. Er war, auch das wiegt schwer, noch vor dem letzten Mann von Bord gegangen: Nach eigenen Angaben sei er unglücklich gestolpert und in ein Rettungsboot gefallen. Kapitän Smith dagegen, der nach der Fahrt auf der Titanic seine ehrenvolle Seemannskarriere mit dem Ruhestand beenden wollte, hat sein Schiff nicht lebend verlassen.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016