Venedig mit neuem Glanz

12. Dezember 2022 | von

Am 4. Oktober wurde in Venedig gefeiert: Nicht nur das Fest des heiligen Franziskus, sondern auch der Abschluss der Renovierung des berühmten Gemäldes mit der Aufnahme Mariens in den Himmel in der Frari-Kirche.

Unverkennbar erhebt sich in Venedig die imposante Basilika Santa Maria Gloriosa dei Frari mit ihrem prächtigen Glockenturm, dem zweithöchsten der Stadt nach dem Markusdom. Die ab 1330 erbaute Kirche stellt eine originelle Kombination aus Architektur, Bildhauerei und Malerei dar, die uns nicht nur die Möglichkeit gibt, den gelungenen Dialog zwischen diesen verschiedenen Künsten zu würdigen, sondern auch die Einzigartigkeit einer Komposition zu erfassen, an der über Jahrhunderte hinweg gebaut wurde und die ein einzigartiges ikonografisches Programm bietet.

Dimensionen zwischen Himmel und Erde

Die Ouvertüre zu diesem Raum ist die elegante gotische Fassade. Sie strebt gleichsam nach oben, himmelwärts, und verleiht dem roten Backsteingebäude eine nahezu überirdische Bedeutung. Beim Überschreiten der Schwelle wird der Blick des Besuchers sofort durch das Kirchenschiff und den vom Chor definierten Raum zum Hochaltar der Basilika geführt. Dort entdeckt er die Madonna, die in der Pracht ihrer Aufnahme in den Himmel dargestellt ist. Maria, die Allerschönste, die im Moment des Todes mit der Schönheit der Jugend dargestellt wird, ist in dem Augenblick festgehalten, in dem sie noch zwischen Himmel und Erde schwebt – ein bisschen wie Venedig selbst, verankert auf den Inseln der Lagune zwischen Land, offenem Meer und Himmelsgewölbe.

Himmlische Dynamik

1516 beauftragte der damalige Guardian des Minoritenkonvents der Frari-Kirche den jungen, aber bereits geschätzten und bewunderten Maler Tizian Vecellio (ca. 1490-1576) mit dem großen Altarbild der Himmelfahrt für den Hauptaltar der Kirche: Es war der wichtigste kirchliche Auftrag, den der Künstler bis dahin erhalten hatte. Der Maler aus Cadore benötigte zwei Jahre für die Fertigstellung des großen Gemäldes, das im März 1518 in einer monumentalen steinernen Ädikula untergebracht wurde, die speziell für das Gemälde angefertigt wurde.

Die von Tizian vorgeschlagenen ikonografischen und malerischen Neuerungen erregten bei den Zeitgenossen große Verwunderung und es wurde nicht mit Kritik gespart: Die Auftraggeber selbst erwogen sogar, das Werk abzulehnen. Das Ölgemälde, das auf einer einzigen großen vertikalen Tafel mit halbkreisförmigem Abschluss gemalt wurde, ist fast sieben Meter hoch und zeigt in der Mitte die Szene der Himmelfahrt der Jungfrau Maria. Maria trägt das traditionelle rote Gewand mit einem blauen Mantel und steigt in einem Wirbelwind aus Licht zum ewigen Vater auf, der sie mit offenen Armen erwartet, begleitet von Wolken und einer Schar von singenden und musizierenden Engeln. Die Wolkenkrone, die sich für den Durchgang der Jungfrau am Boden öffnet, fungiert als räumlich-zeitliche Trennlinie zwischen dem Endlichen und dem Ewigen. Die scheinbare Leichtigkeit der Wolken hebt ihre konkrete Konsistenz allerdings nicht auf: In einem Spiel aus Licht und Schatten, das man sehr gut bei den Aposteln unten erkennen kann, betonen die Wolken den Unterschied zwischen den beiden dargestellten Zeiten, der Gegenwart und der Zukunft, zu der wir alle berufen sind. Die Apostel sind staunende Zeugen des wundersamen Ereignisses. In der Haltung ihrer Körper, die durch den breiten farbigen Hintergrund ihrer Gewänder noch unterstrichen wird, scheint Tizian das Gefühl dieser Männer einzufangen, die hin- und hergerissen sind zwischen dem Wunsch, diejenige bei sich zu behalten, die zur Mutter aller geworden ist, und der Freude über die Vorausschau der gemeinsamen Bestimmung für die gesamte Menschheit, nämlich einen ewigen Platz beim Vater zu bekommen.

Renovierungen zum Erhalt

Im Laufe seiner Geschichte wurde der Altaraufsatz mehrfach restauriert: Wahrscheinlich gab es bereits im 18. Jahrhundert eine Restaurierung. Aber die ersten tatsächlich dokumentierten Restaurierungen stammen aus den Jahren 1817 und 1974. Bei der letztgenannten Restaurierung wurden zahlreiche Elemente der Halterung ersetzt. Diese Erneuerungen haben glücklicherweise die ursprüngliche Funktionalität und die natürliche Bewegung der Planken nicht beeinträchtigt. Die Qualität des gewählten Holzes, die Lagerung und die hervorragende handwerkliche Umsetzung haben zusammen mit der hohen Luftfeuchtigkeit des Standorts und der begrenzten Nachbearbeitung in der Vergangenheit dazu geführt, dass der „Träger“ des Gemäldes in einem sehr guten Zustand erhalten geblieben ist. Die Restaurierungsarbeiten, die anlässlich des 500-jährigen Jubiläums des Gemäldes durchgeführt und von Save Venice, einer amerikanischen Vereinigung, deren Ziel es ist, zur Erhaltung des historischen und künstlerischen Erbes der Lagunenstadt beizutragen, finanziert wurden, begannen bereits vor 2016, und zwar zunächst mit einer gründlichen „Bestandsaufnahme“, auf die zwei Umsetzungsphasen folgten.  Die erste war eine Instandhaltungsmaßnahme, die von Giulio Bono und Erika Bianchini von 2012 bis 2013 durchgeführt wurde, und die zweite eine Restaurierungsmaßnahme zwischen 2019 und 2022, die von Roberto Saccuman und Giulio Bono zusammen mit ihren Mitarbeitern meisterhaft an den hölzernen Trägern bzw. dem Bild selbst realisiert wurde. Die steinerne Ädikula, die das Werk einrahmt und „beherbergt“, wurde von Egidio Arlango und seinen Mitarbeitern restauriert.

Ein Meisterwerk – auch heute

Die Zahlen rund um diese Arbeiten sind beeindruckend und geben eine Vorstellung von dem Aufwand, der nötig war, um dieses Meisterwerk in neuem Glanz erstrahlen zu lassen: Die langwierige Bildrestaurierung umfasste eine Fläche von 28 Quadratmetern. Damit gehört das Tafelbild zu einem der größten der Welt! Für ihre Arbeit benötigten die Restauratoren fast 9.000 Stunden, was einem Durchschnitt von 320 Stunden pro Quadratmeter entspricht. Die Reinigung, die heikelste Restaurierungsmaßnahme, die irreversibel ist und zwangsläufig mit (wenn auch milden) Lösungsmitteln durchgeführt wird, erfolgte auf der gesamten Oberfläche des Gemäldes durch Rollen (nicht Reiben!) mit kleinen Wattepads. Spezifische Eingriffe wurden auch am Steinrahmen vorgenommen, wo die Wiederherstellung der antiken Vergoldung, vor allem aber der mit Azurit („Bergblau“) verzierten Oberflächen, dank der Anwendung der Laserreinigungstechnik möglich war. Entscheidend für die Sicherheit des Gemäldes war die Entscheidung, direkt vor Ort zu arbeiten, eine Option, die den Eingriff allerdings auch wesentlich komplexer machte.

Das hervorragende Ergebnis, das nun für alle sichtbar ist, ist nach Aussage der Beteiligten auf die außerordentliche technische Kompetenz und Geduld der Restauratoren zurückzuführen, aber auch auf die gute Beziehung zwischen der Kirchengemeinde – in erster Linie vertreten durch Br. Lino Pellanda, dem Pfarrer und Guardian –, dem Patriarchen Venedigs, den Restauratoren und Beratern, und natürlich auf die finanzielle Unterstützung durch Save Venice. Die berühmte Aufnahme Mariens in den Himmel ist nun wieder für die nächsten Jahrzehnte gesichert, wird Touristinnen und Pilger in ihren Bann ziehen – und hoffentlich auch den Glauben der Menschen stärken.

Zuletzt aktualisiert: 12. Dezember 2022
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