Verkehrsader und Friedhofstraße

01. Januar 1900 | von

Sie führte von Rom nach Capua und war streckenweise bis zu acht Meter breit. Später wurde sie bis Brundisium, dem heutigen Brindisi, verlängert. In bestimmten Entfernungen, vor allem bei Wegkreuzungen, befanden sich Ruhesitze für müde Wanderer, sowie steinerne Erhöhungen, die den Reitern das Auf- und Absteigen erleichtern sollten. Angelegt wurde diese wichtigste Verbindung zwischen Rom und dem später sich ausdehnenden Reich im Osten gegen Ende des 4. vorchristlichen Jahrhunderts auf Veranlassung des Zensors Appius Claudius Caecus, dem sie ihren Namen verdankt: Via Appia Antica. Über sie wurde der Völkerapostel Paulus im Jahre 56 in die römische Gefangenschaft geführt. Die Legende, dass Petrus während seiner Flucht aus Rom auf dieser Straße Jesus begegnet sei, der sich an seiner Stelle erneut kreuzigen lassen wollte (Domine quo vadis? Herr, wohin gehst du?), ist genauso liebenswert wie das danach benannte Kirchlein, das ins 9. Jahrhundert zurückreicht.

Gräberreihen und Reiseverkehr. Wer heute die Via Appia entlang schlendert, stößt immer wieder auf die Überreste von verfallenen Grabdenkmälern. Das hängt mit der römischen Gesetzgebung zusammen, welche verbot, die Toten innerhalb der Stadt zu begraben. Infolgedessen wurde die Umgebung der Stadt zum Friedhofsgebiet, wobei sich aus nahe liegenden Gründen gerade die großen Ausfallstraßen immer mehr in Gräberstraßen verwandelten. In besonderer Weise trifft dies auf die Via Appia zu, welche als die bedeutendste Friedhofstraße Roms gilt.
Uns Heutige mutet es etwas seltsam an, dass die großen Nekropolen längs der wichtigsten Verkehrsadern weder durch Mauern noch durch Umzäunungen von der Umwelt abgeschirmt waren, sondern in den geschäftigen Alltag miteinbezogen wurden. Entlang der Gräberreihen wogte der Reiseverkehr, Profiteure aller Art machten sich an die Ankömmlinge heran, Stadtführer offerierten ihre Dienste, Händler versorgten Passanten mit Waren, Garköche boten ihre Produkte an. Obwohl der Tod aus der Stadt verbannt war, hatte man so doch den Eindruck, dass er zum Leben gehörte.

Begehrte Begräbnisplätze. Die Anlage einer Grabstätte und die Art der Bestattung hingen natürlich von den Vermögensverhältnissen der Familien ab. Schon im Altertum galt das Grab als wichtiges Statussymbol. Am begehrtesten und kostspieligsten waren Grabplätze unmittelbar längs der Straße, die von jedermann gesehen werden konnten. Und je mehr sich die Zahl der Römer und Römerinnen vergrößerte, die nach ihrem Ableben in der ersten Reihe liegen wollten, desto länger wurde die Gräberstraße; an der Via Appia zieht sie sich über zwanzig Kilometer hin. Bald wuchsen die Anlagen auch in die Breite. Parallel zur Hauptstraße entstanden Seitenstraßen, an denen die Begräbnisplätze etwas günstiger abgegeben wurden.

Ansehnliches Angedenken. Zu welchem Aufwand der Mensch fähig ist, wenn es darum geht, gegen die eigene Vergänglichkeit oder doch gegen das Vergessenwerden anzukämpfen, dokumentiert das monumentale Grabmal der Caecilia Metella. Über die Tote selber wissen wir nichts, außer dass sie die Tochter des Kreta-Eroberers Quintus Caecilius Metellus und die Gattin des einflussreichen Crassus war, welcher sich 60. v. Chr. mit Caesar und Pompeius zum ersten Triumvirat (Dreimännerbund) zusammenschloss, wobei jeder der Drei seine eigenen Interessen gegen den römischen Senat durchzusetzen versuchte. 1302 überließ Papst Bonifaz VIII. das Grabmal seiner Familie, den Gaetani, die es ihrer burgähnlichen Festung einverleibten, von der aus sie die Straße kontrollierten und Wegzoll erhoben.

Einfach verscharrt. Und die Armen? Schon zu Lebzeiten an den Rand gedrängt, fand sich für sie auch nach ihrem Ableben keinen Platz unter jenen Toten, deren Namen auf einem mehr oder weniger ansehnlichen Grabmal prangten. Ihre Leichname wurden einfach in der Erde verscharrt. Im besten Fall legte man sie in einen notdürftigen Holzsarg, bevor sie auf irgendeinem Feld begraben wurden. Bis zur Zeit des Kaisers Augustus gab es in Rom auf dem damals außerhalb der Stadt gelegenen Esquilin, einen Sklaven- und Armenfriedhof, wo die Leichen kurzerhand in puticuli geworfen wurden. Im letzten Jahrhundert entdeckte man bei Ausgrabungen 75 solcher Verrottungsgruben. Maecenas, der Gönner von Vergil und Horaz, ließ diesen Schandfleck der Stadt kurz vor der Zeitenwende in eine Parkanlage umwandeln.
Auch die Via Appia gleicht heute streckenweise einer riesigen Parkanlage. So hat denn nicht der Tod, wohl aber eine zwei Jahrtausende währende Zeit den Unterschied zwischen Arm und Reich, zwischen den an der Via Appia und den auf dem Esquilin Beigesetzten doch noch verwischt.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016