Verkehrte Welt

12. Februar 2024 | von

Ob Fasching, Fastnacht oder Karneval – immer geht es darum, eine Gegenwelt aufzubauen zu dem, was als normal gilt.

Am Aschermittwoch ist in der Christenheit endgültig Schluss mit lustig. Denn mit diesem Tag setzt die vorösterliche Buß- und Fastenzeit ein. Kaum bekannt ist, dass ausgerechnet die Kirche an der Entstehung des Karnevals nicht ganz unbeteiligt war. Seinen Ursprung hat dieser vermutlich in Vorfrühlings- und Fruchtbarkeitsfesten, die im Mittelalter auf Druck der Kirche hin auf die Tage vor der vorösterlichen Fastenzeit verlegt wurden. Während dieser Wochen war damals der Konsum von Fleisch und tierischen Produkten wie Eiern und Butter verboten. Dies wiederum brachte es mit sich, dass man sich vor Beginn der klerikal verordneten Hungerkur noch einmal so richtig den Bauch vollschlug, was häufig zu mancherlei nicht nur gastronomischen Ausschweifungen führte.

Reichlich Speisen und Tanz

Gelegentlich wurde die Narrenzeit auch in Klöstern ausgiebig gefeiert – und zwar nicht nur von Mönchen, sondern auch von Nonnen und Stiftsdamen. Im 16. und 17. Jahrhundert beanstandeten Chronisten die in manchen Mönchsklöstern zu Fasching übervollen Speisetafeln. Auf Missbilligung stießen auch Tanzveranstaltungen und ein merklich erhöhter Weinverbrauch. Im Jahr 1729 weiß eine Gottesbraut aus einem rheinländischen Konvent zu berichten, dass zur Faschingszeit vieles, was sonst verboten oder zumindest verpönt war, als erlaubt galt: Vom Genuss von Tee, Kaffee, Schokolade, gar von Karten- und Glücksspiel ist die Rede.

Da die Kirchenoberen sich außerstande sahen, das närrische Treiben zu eliminieren, mussten sie es wohl oder übel tolerieren. Dass sie dabei dem ganzen Trubel mitunter ein theologisches Feigenblatt verpassten, verwundert nicht weiter. So wurde etwa behauptet, die Gläubigen könnten während der tollen Tage an sich selbst erfahren, wie närrisch die Gottesleugner und Spötter seien, wenn sie in die Rolle dieser Religionsfeinde schlüpften und sich als Teufel oder Hexen verkleideten.

Versteckt hinter Masken

Ursprünglich gehen derartige Vermummungsbräuche auf abergläubische Gepflogenheiten früherer Zeiten zurück, als man mit Lärmen und schreckenerregenden Masken die bösen Geister des Winters zu vertreiben trachtete, damit der Frühling endlich einziehen konnte. Später, lange bevor die Wettervorhersage sich zu einer Wissenschaft mauserte, hatte das wilde Treiben die Funktion des Dampfablassens, ehe die strenge Fastenzeit begann. Wer jetzt sein Alltagswams für ein Weilchen mit dem Narrengewand vertauschte, tat dies nicht mehr, um Kobolde und Klabautermänner zu verjagen, sondern wollte noch einmal so richtig auf die Pfanne hauen. Wer heutzutage zur Fastnacht eine Maske trägt, genießt als Hanswurst oder Harlekin, als Schelm, Schalk und Spaßvogel ein Quäntchen jener Freiheit, die früher den Hofnarren zugestanden wurde.

Viele Menschen tragen das ganze Jahr über eine Maske, wenn sie öffentlich auftreten. Sie verleugnen ihr wahres Wesen und stellen etwas zur Schau, das sie weder sind, noch sein und schon gar nicht werden möchten. Sie fügen sich gesellschaftlichen Konventionen und sozialen Zwängen, sie nicken zustimmend, wo sie eigentlich den Kopf schütteln möchten, schlucken tapfer herunter, was ihnen aufstößt, sagen Ja, obwohl sie Nein oder gar nichts denken. So werden Menschen zu Marionetten und Persönlichkeiten zu Abziehbildern.

Seltsamerweise wird der Begriff entlarven heute vorwiegend negativ verwendet. Im Mittelalter war Larve gleichbedeutend mit Maske. Erst seit Ende des 18. Jahrhunderts versteht man in der Zoologie darunter ein verpupptes Insekt, dessen wirkliches Erscheinungsbild noch verborgen ist. Manche Menschen tragen nicht nur Larven; sie verhalten sich auch wie solche. Eben das wirft Shakespeares Hamlet Ophelia ja vor: „Gott hat euch ein Gesicht gegeben, und ihr macht euch ein anderes.“ Wohlgemerkt, Hamlet spricht nicht von der Fastnacht. Er redet vom Alltag.

Fastenfreie Sonntage

Die 40-tägige Fastenzeit vor Ostern erinnert an Jesu ebenso langen Aufenthalt in der Wüste. Um die Gläubigen nicht allzu sehr zu strapazieren, entschied eine im Jahr 1091 in Benevent abgehaltene Kirchenversammlung, sie an den Sonntagen zwischen dem Fastenbeginn und Ostern vom Fasten zu befreien. Diese sechs Sonntage wurden dann vor den bisherigen Anfang der Bußzeit gelegt, sodass das vorösterliche Fasten nach wie vor vierzig Tage andauert.

Seitdem endet die neue oder Herrenfastnacht am Dienstag vor dem Aschermittwoch. An manchen Orten vermochte sich diese Neuerung jedoch nicht durchzusetzen. Das hat zur Folge, dass der alte Fasching, die Bauernfastnacht (wie man jetzt sagte) erst am Sonntag oder Montag nach Beginn der Fastenzeit stattfindet – so etwa noch im Badischen und in Teilen des Markgräflerlandes, wo man eisern an der Alten Fastnacht festhält. Es trifft dies auch für Basel zu, was zur Folge hat, dass die Bevölkerung in dieser Region gleich zweimal Fasnacht feiert: Zuerst in den umliegenden Dörfern während der heute fast überall üblichen Zeit, und eine Woche später nochmals in der Stadt, die für ihre Art, „die drei scheenschte Dääg“ zu gestalten, 2017 von der UNESCO auf die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen wurde.

Zuletzt aktualisiert: 12. Februar 2024
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