Vom Hitlerist zum Novizen

15. April 2008 | von

Mit 83 Jahren verstarb im November 2007 Minoritenpater Rochus Nicklaus aus der deutschen Ordensprovinz. Der lebhafte Prediger „war ein Original, in dem, was er sagte, und auch in dem, was er nicht sagte". Von solchem Schweigen handelt dieser Beitrag.

Für den Nachruf auf P. Rochus in der Provinzzeitschrift ‚Friede und Heil’ hatte ich in seine Personalakte geschaut. Mir fiel ein Gutachten in italienischer Sprache auf – und dann kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Abgefasst hatte es Minoritenpater Eldo Boreatti, 1910 in Udine/Norditalien geboren, später Professor für Bibelwissenschaften in Rumänien, verstorben 1988 in unserem Konvent „Vigna" in Rom. Von dort schrieb er am 27. Oktober 1952: „Hochwürdigster Pater General! Ihren Brief vom 7. Oktober 1952 habe ich erhalten. Darin ersuchen Sie mich um Informationen zum Fall Norbert Nicklaus. Meine Antwort jetzt kommt mit einer gewissen Verspätung, die dadurch bedingt ist, dass ich mir alle Einzelheiten dieses Falles, die mir nicht mehr so präsent waren, wieder ins Gedächtnis rufen musste.

Dem Tod entronnen. Kennen gelernt habe ich Norbert Nicklaus im Jahr 1945 in unserer Pfarrei von Lespezi in Rumänien, wo der Franziskaner-Konventuale P. P. Farcaş Pfarrer war. Norbert, der wie durch ein Wunder den Händen der Russen entkommen war, hatte sich in unseren Konvent geflüchtet, genau in dem Augenblick, als er erschossen werden sollte zusammen mit anderen deutschen Soldaten, die aus einem russischen Lager geflohen waren.

Er wurde von P. Farcaş drei-vier Tage lang in der Kirche versteckt gehalten. Dann brachte er ihn zu einer guten und praktizierenden Katholikin, die 58 Jahre alt war. Dort blieb er unter dem Fußboden versteckt, in einem Loch, das er sich in der Nacht ausgehoben hatte. In diesem Ambiente blieb er bis zum Ende des Jahres 1948, als ihn M.R.P. Anton Bişoc mit sich nach Siebenbürgen nahm. Um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, lernte er das Handwerk eines Flickschusters, das heißt, er fertigte Schlappen aus Hanffasern, die dann an Markttagen von der Frau verkauft wurden. Auf diese Weise konnten beide leben, denn auch sie war eine arme Frau. In der freien Zeit lernte er die rumänische Sprache mit derartigem Erfolg, dass er nach zwei Monaten die Heilige Schrift lesen konnte und auch Gedichte verfasste.

Unter Tage. In Deutschland hatte Norbert den Abschluss der mittleren Reife gemacht. Er konnte Französisch und las sehr gut Englisch. Alle drei Tage wurde er vom Pater nachts als Mädchen verkleidet, in rumänische Tracht. Dort bei ihm empfing er die heilige Kommunion, dann nahm er etwas zu sich und sie machten Konversation, die sich bis um 12 Uhr in der Nacht hinzog, dann ging er wieder nach Hause zurück. Der Pater führte mit ihm diese Gespräche auch deshalb, um die Moral des jungen Mannes zu heben, die von Zeit zu Zeit nachließ, war er doch den ganzen Tag eingeschlossen. Und dieses Leben führte er drei volle Jahre hindurch. Wer würde so etwas glauben? Aber so ist es, genau so. Ein Leben, das es wert ist, in einem völlig authentischen Roman geschildert zu werden!

Im Monat Oktober des Jahres 1948 haben Pater Provinzial Anton Bişoc und P. Ioan Duma, Apostolischer Visitator, vielleicht mit seiner Zustimmung, ich weiß es nicht, beschlossen, ihn nach Siebenbürgen zu verbringen, wo er mit dem Noviziat begann. Vorher jedoch kam er in Luizi-Călugăra (Bacau) vorbei, wo ich als Professor für die Heilige Schrift in unserem Theologischen Seminar war und wo er sich für drei-vier Wochen aufhielt. In dieser Zeit haben wir ein wenig Schulunterricht gemacht; er brachte mir Englisch und ich ihm einige Begriffe der lateinischen Sprache (Syntax) bei. Eines Tages sah ich ihn nicht mehr!

Ich muss klarstellen, dass niemand im Seminar wusste, dass er ins Noviziat eintreten sollte, und auch ich wusste es nicht. P. Provinzial hatte uns gesagt, dass er ihn nach Siebenbürgen bringt, weil er nicht an dem früheren Ort bleiben konnte. Und dies ist auch leicht einzusehen, da sein Fall derart delikat war. Ich habe oben gesagt, dass er ins Noviziat eingetreten ist, nur weil er es mir in einem Brief geschrieben hat.

Gott zum Dank. Doch angesichts der guten Begabung des jungen Mannes, und angesichts der Leiden, die er durchgestanden hatte, angesichts dessen, dass unsere Patres ihm so sehr geholfen haben, bin ich geneigt zu sagen, dass er nicht lügt. Doch vielmehr halte ich es für sehr wahrscheinlich, auch aus dem, was er mir das letzte Mal geschrieben hat, dass er, um Gott zu danken für das Gute, das ihm getan wurde, beschlossen hat, in den Orden seiner Wohltäter einzutreten, indem er sofort mit dem Noviziat begann. Ich meinerseits jedoch, ich wiederhole es, weiß nichts davon, auch weil ich sofort danach Rumänien verlassen habe.

Ich könnte nicht behaupten, dass er nicht weiß, was Noviziat bedeutet. Im übrigen, ob er das Noviziat gemacht hat oder nicht gemacht hat, das könnte man auch über Ungarn ermitteln, das noch in Verbindung ist mit Arad (Rumänien). Über seine Moral und sein Betragen kann ich nichts sagen, nur dass auch er ein junger Hitlerist war. Weiteres habe ich nicht zu sagen. Ich beende diese meine Informationen mit der Bitte um Entschuldigung für meine Verzögerung und bitte Eure Paternität um den Seraphischen Segen. Gezeichnet Fr. Eldo Boreatti OMC."

Schriftlicher Lebenslauf. Zum „authentischen Roman", der nach P. Eldo hier geschrieben werden könnte, gehört auch die Darstellung der Ereignisse durch den Helden. Sein handschriftlicher Lebenslauf:

„Unterzeichneter, Rochus Nicklaus (fr. Norbert) bin am 16.12.24 in Breslau als Sohn des Alfred Nicklaus und der Eleonore, geborene Kleinke geboren. Mein Vater ist Beamter. In Breslau besuchte ich die Volks- und anschließend die Theodor-Körner-Mittelschule (sechs Klassen), von der ich Ostern 1942 mit dem Zeugnis der mittleren Reife abging. Wenige Wochen darauf kam ich zum Arbeitsdienst und nachher zum Militär. Dort wurde ich R.O.B. (Reserveoffiziersbewerber) und Gefr[eiter].

Im Sommer 1944 wurde ich an der Ostfront (Bessarabien) zur Frontbewährung eingesetzt. Ende September geriet ich in Rumänien (Karpaten) in russische Kriegsgefangenschaft, aus der ich Anfang Oktober entfloh. Bis 1948 hielt ich mich dann in der Moldava bei verschiedenen Landleuten versteckt auf und hatte ab und zu auch mit den Minoriten der Provinz Berührung. Die Monate Mai/Juni 1948 verbrachte ich in einem Seminar. Dort entschloss ich mich, in den Orden einzutreten. Weihnachten 1948 kam ich nach Lugosch im Banat zu P. Laschober, dem ich erneut diesen meinen Wunsch vorbrachte. Er sagte, ich könne hier, in Rumänien, in den Orden eintreten und studieren.

Bis Anfang Oktober 49 wohnte ich nun im Convent in Lugosch, wo ich Lateinisch lernte. Im Oktober begann ich in dem Minoriten-Convent in Arad das Noviziat mit drei anderen Novizen. Am 17. Oktober 1950 legte ich das einfache Gelübde ab. Da man uns auf kein Seminar schicken konnte, hielten uns die Patres (unter ihnen zwei Professoren am früheren Priesterseminar der Provinz Elisabeth-Siebenbürgen) im Convent in lateinischer und ungarischer Sprache die Vorlesungen über Logik, Ontologie, Philosophiegeschichte, Kirchen- und Ordensgeschichte und Exegetik. Nach Beendigung des ersten Halbsemesters wurde dann das Studium abgebrochen und nicht mehr aufgenommen, denn in der Zwischenzeit war P. Olesch, Guardian und stellvertretender Provinzial, verhaftet worden.

Heimatliche Rückkehr. Ich meldete mich auf Anraten meines Magisters und weil die Möglichkeiten für ein Fortkommen, Weiterstudieren von Tag zu Tag geringer wurden, meine Eltern aber in Deutschland mich sehnsüchtig erwarteten (was ich aus ihren Briefen ersah), im Mai 1951 bei der rumänischen Behörde, wurde verhaftet und schließlich in ein neben Bukarest bestehendes deutsches Kriegsgefangenenlager gesteckt.

Am 20. März 1952 wurde ich mit anderen Kriegsgefangenen schließlich nach Deutschland geschickt. Am 7. April trafen wir in Lager Friedland (Göttingen) ein, am 8. wurde ich nach Korntal bei Stuttgart zu meinen Eltern entlassen. Auf dem Wege dorthin habe ich mich aber erst einmal nach Würzburg zu dem dortigen Minoriten-Convent begeben. Von den Fremdsprachen sind mir bekannt: Rumänisch, Ungarisch, Lateinisch, etwas Englisch und Französisch. Würzburg, am 9. IV. 1952. Rochus Nicklaus."

Wie ging es weiter? Wurde ihm geglaubt? Wem hat er davon erzählt?

Polykarp Götz

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016