Wallfahrt mit Waffen

01. Januar 1900

Es lohnt sich, zurückzuschauen und zu fragen, wie kam es zum Aufbruch des Abendlandes in den Osten? Wie ist es möglich, daß Christen mit dem Schwert für die Befreiung des Heiligen Landes kämpften. Wie kam es, daß Christen Menschen einer anderen Glaubensrichtung systematisch umbrachten?

Königspflicht und Ritterideal. Es war das Ergebnis einer langen, keineswegs einheitlichen Entwicklung, als die abendländische Christenheit zum ersten Kreuzzug aufbrach. In früheren Zeiten war der Krieg Sache der Könige.
Etwa um die Jahrtausendwende begann die Kirche, Angehörige des Adels und des niederen Standes gegen Friedensbrecher unter Waffen zu rufen und kleinere und größere Heere, die von Priestern und Kirchenfahnen begleitet wurden, an Krisenpunkten einzusetzen. Damit war die Idee des heiligen Krieges gegeben, vor allem, wenn wesentliche Interessen der Christenheit bedroht waren. Es brauchte nur noch ein großes Ziel, wie die Verteidigung der Christenheit gegenüber dem Islam, um die Ideale der Ritter zu kanalisieren und für die Kirche nutzbar zu machen.

Sicherer Weg zum Himmel. Es war Papst Urban II., der die aufgestauten Energien des christlichen Rittertums auf den Kreuzzug gegen die Ungläubigen lenkte und großen Widerhall fand. Das lag nicht nur an der christlichen Ritter- und Kampfidee, die nun gegen Heiden gerichtet wurde, sondern auch an der Idee der bewaffneten Wallfahrt. Der Papst hatte den Wallfahrern nach Jerusalem nur den Nachlaß der kanonischen Bußstrafen versprochen. Doch die Kreuzzugspredigt, die Zug um Zug der kirchlichen Aufsicht entglitt, versprach den Kreuzfahrern einen vollkommenen Ablaß, also den Nachlaß aller von Gott zu erwartenden dies- oder jenseitigen Sündenfolgen. Dabei wurde bisweilen auch in vergrößerter Form einfach von Sündenvergebung gesprochen. In der Folge verlor der Tod in der Einschätzung der Bevölkerung auch seinen Schrecken, weil man ihn als eine Art Martyrium ansah und als sicheren Weg zum Himmel betrachtete.

Im Zeichen des Kreuzes. Der christliche Osten stand seit dem großen Sieg der Seldschuken im Jahr 1071 tatsächlich in großer Bedrängnis. Kaiser Alexius I. (1082 – 1118) suchte, viele abendländische Ritter in Sold zu nehmen. Er bat auch Papst Urban II. um Truppen. Im November 1095 rief der Papst auf dem Konzil von Clermont in der Auvergne zur Befreiung Jerusalems und des Grabes Christi auf. Der Papst schilderte das Elend der Christen im Orient, die Unterjochung der heiligen Stadt Jerusalem und versprach allen, die sich in den Kampf um das Heilige Land begaben, einen Ablaß. Mit dem Ruf Gott will es, meldeten sich sofort Tausende von Rittern freiwillig zum Kreuzzug ins Heilige Land. Allen heftete der Papst ein rotes Kreuz auf die rechte Schulter als Zeichen ihrer Bereitschaft, für die Eroberung des Heiligen Landes zu leben und zu sterben. Der Papst hatte zwar als Marschziel Jerusalem herausgestellt, doch ging es ihm darum, nicht nur die Heilige Stadt sondern die gesamte östliche Christenheit vom Türkenjoch zu befreien.

Kreuzzugfieber und Auswüchse. Der Papst hatte die Könige ausgeschaltet und sich zum Führer des christlichen Abendlandes gemacht. Zum ersten Mal in der abendländischen Geschichte zog ein übernationales Heer zur Verteidigung der Christenheit aus. Doch die Kreuzzugsbewegung bordete über und das Gesamtunternehmen entglitt dem Papst. Viele Fürsten und Ritter zogen mit eigenen Truppen aus und gingen auf eigene Faust vor. Unter die echten Glaubenskämpfer, die aus Idealismus und Begeisterung die Heimat verlassen wollten, mischten sich auch Abenteurer und asoziale Elemente, die auf Raub und Gewinn ausgingen.
Noch ehe das Heer der Ritter aufbrechen konnte, drängten religiöse Fanatiker und Raubgierige los. Ohne Versorgung und Proviant und kaum bewaffnet, ohne jede soldatische Zucht wälzten sich diese ungezügelten Massen – man spricht von fünf bis sechs großen Haufen mit etwa 50.000 bis 70.000 Menschen –  durch die Lande. Es kam zu furchtbaren Judenverfolgungen. Nur ein kleiner Teil kam bis Kleinasien und wurde bei Nizäa von den Seldschuken aufgerieben. Das Hauptheer bestand aus einer ganzen Reihe von Heeresabteilungen, die auf verschiedenen Wegen nach Konstantinopel gelangten. Tausende mußten ihr Leben lassen.

Ausverkauf der Ideale. Unerwartete Schwierigkeiten hatte das Kreuzfahrerheer mit dem Kaiser von Konstantinopel, Alexius. Er war an Söldnern interessiert, aber nicht an einem Ritterheer unter eigenem Kommando. Die Kreuzfahrer zogen durch Anatolien, besiegten im Juli 1097 die Türken, dann teilte sich das Heer. Das Hauptheer marschierte nach Antiochia, während Bohemunds Neffe Tankred und Balduin, der Bruder des Gottfried von Bouillon (Niederlothringen), auf eigene Eroberungen ausgingen. Nach siebenmonatiger Belagerung, anfangs Juli 1098, eroberte man Antiochia. Die Fürsten hielten sich nicht mehr an den Eid, den sie dem Kaiser von Konstantinopel geschworen hatten, und jeder von ihnen suchte, für sich Land zu gewinnen. Endlich brach man gegen Jerusalem auf. Kaiser Alexius bot Hilfe an, die jedoch von den Kreuzfahrern abgewiesen wurde, weil man die Gebiete Syriens und Palästinas für sich erobern wollte. Am 15. Juli 1099 fiel die Stadt nach viermonatiger Belagerung.

Eroberung ohne Segen. Die Erhaltung und Verteidigung der fränkischen Eroberungen im Heiligen Land sollte dem Abendland noch schwere Opfer kosten. Während des Kreuzzuges und unmittelbar nachher machten sich immer wieder Kreuzritter und Pilger auf den Weg. Die schlecht organisierten Züge endeten fast alle kläglich.
Es war kein guter und erst recht kein christlicher Weg, ein gutes Anliegen, nämlich den Schutz der heiligen Stätten, mit Kriegsgewalt durchzusetzen. Idealismus und die Botschaft des Evangeliums schlugen um in Machtstreben und Gewalttätigkeit. Die Botschaft des Kreuzes und der Liebe mit Gewalt durchsetzen zu wollen, ist ein Widerspruch in sich. Viel unschuldiges Blut wurde vergossen. Die Christenheit des Ostens hat unter den Folgen der Kreuzzüge gelitten und die Kreuzzüge haben die Entfremdung zwischen Ostkirche und Westkirche verstärkt.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016