28. März 2008

Wanderer zwischen den Welten

Weit entfernt davon bin ich, ein Heiliger zu sein, habe als maßloser Mensch viel mehr Fehler als der große Durchschnitt derer, die so gesittet durchs Leben schreiten", schreibt Oskar Schindler in einem Brief im Jahr 1956, der 1999 auf einem Dachboden in Hildesheim gefunden wurde.

Lichtblick. Im Jahr 1908 wird Oskar Schindler als Sohn des Landmaschinenfabrikanten Hans Schindler in Zwittau (Tschechien) geboren, wo er Volks- und Realschule besucht und eine Lehre im väterlichen Betrieb absolviert. Im Alter von 20 Jahren heiratet er die Tochter eines wohlhabenden Landwirts, Emilie Pelzl. Bedingt durch die Weltwirtschaftskrise muss die väterliche Landmaschinenfabrik im Jahr 1935 schließen, und Oskar Schindler arbeitet fortan für das Generalkommando VIII
in Breslau als Agent im Dienst der Abwehr (Kommando Canaris). Nach dem Überfall auf Polen macht er sich Hoffnungen, geschäftlich vom Krieg profitieren zu können, und übernimmt in der Nähe von Krakau eine Emaillewarenfabrik, ehemals in jüdischem Besitz. Mit Hilfe seines jüdischen Buchhalters Itzhak Stern bringt er es schnell zu einem stattlichen Vermögen. Hergestellt werden in der „Deutschen Emailwarenfabrik Krakau" vor allem Küchengeräte für die Wehrmacht, von der er zahlreiche Aufträge bekommt – begünstigt durch seinen Eintritt in die NSDAP im Jahr 1939 und seine weit reichenden Kontakte. Bis Ende 1942 hat er bereits 800 Arbeiter in seiner Fabrik beschäftigt, darunter knapp 400 Juden, die im Krakauer Ghetto unter schwierigen Bedingungen leben müssen. Für den Geschäftsmann Schindler bedeutet das vor allem niedrigere Kosten, da für jüdische Arbeiter nur geringere Löhne (an die SS) gezahlt werden. Und für viele Juden ist in der unsagbaren Unmenschlichkeit, die sie erleiden müssen, Oskar Schindler zumindest ein kleiner Lichtfunke. Itzhak Stern wird 1966 schreiben: „Wenn wir heute an diese schrecklichen Zeiten zurückdenken, so bleibt für uns ein einziger Lichtblick, der an den Menschen im Menschen glauben lässt –
Oskar Schindler!"

Die Liste. Schindler kommt zugute, dass seine Firma als eine „kriegswichtige Produktion" eingestuft wird. Somit hat er ein bisweilen hilfreiches Argument gegen das sonst so willkürliche NS-Regime, von dem er sich angesichts der Brutalität, mit der es die Juden behandelt, mit der Zeit innerlich abwendet, was ihm schließlich einige Verhöre bei der Gestapo einbringt. 1943 wird das Krakauer Ghetto geräumt, und die Bewohner werden in das Lager Płaszów überführt. Dank seiner Beziehungen zur SS gelingt es ihm, die Genehmigung für ein privates Unterlager zu seiner Fabrik zu bekommen, wo er den Juden dank Schwarzmarktgeschäften bessere Lebensbedingungen bieten kann.

Auch Płaszów muss bald wegen des Vormarsches der Roten Armee geschlossen werden. Es entsteht die berühmte Liste. Auf ihr stehen die Namen der jüdischen Arbeiter aus Schindlers Fabrik und weiterer Juden aus dem Arbeitslager Płaszów, insgesamt etwa 1.300 Menschen, die er vor einer Deportation in ein Konzentrationslager bewahren kann. Die Übersiedlung der Fabrik samt ihrer Arbeiter nach Brünnlitz schlägt beinahe fehl: Der Zug mit den Frauen wird nach Auschwitz geleitet. Nur mit Mühe und viel Geld kann Oskar Schindler deren Freilassung aushandeln. Sein Unternehmen wird nun, da der Krieg dem Ende zugeht, von ihm als „Rüstungsbetrieb" geführt, allerdings als ziemlich unproduktiver: Wegen angeblicher „Anlaufschwierigkeiten" wird so gut wie keine Munition geliefert. Mit Kriegsende beginnt für Oskar Schindler und seine Frau Emilie die Flucht: Als Mitglied der NSDAP und Kriegsprofiteur gehört er jetzt zu den von der russischen Armee Verfolgten.

Dank jüdischer Hilfe bekommt er einen Passierschein für die amerikanische Zone und lässt sich in Regensburg nieder. 1949 nutzt er die Gelegenheit, nach Argentinien auszuwandern, wo er als Handelsvertreter arbeitet und mit seiner Frau eine Geflügel- und Nutriazucht betreibt.

Ein Gerechter. Als Geschäftsmann ist er aber nicht mehr erfolgreich, nach seiner Rückkehr im Jahr 1957 scheitern sämtliche geschäftliche Unternehmungen. Immer wieder wird er von seinen „Schindler-Juden" unterstützt. Im Mai 1962 darf er in Jerusalem in der „Allee der Gerechten" einen Baum pflanzen, ein Jahr später wird er vom Staat Israel als „Gerechter der Nationen" geehrt. Ihm wird von der Bundesrepublik Deutschland das „Verdienstkreuz Erster Klasse" verliehen, seitens der Kirche (Schindler war Katholik) der Päpstliche Silvester-Orden. 1972 erleidet Oskar Schindler einen Schlaganfall, nach dem er halbseitig gelähmt bleibt; am 9. Oktober 1974 stirbt er in Hildesheim. Auf eigenen Wunsch wird er in Jerusalem auf dem Franziskaner-Friedhof beigesetzt.

Oskar Schindler war ein Grenzgänger: Kriegsprofiteur und Menschenretter, Mitglied der NSDAP und politisch wenig interessierter Opportunist.

Und privat? Dazu schreibt seine Frau Emilie in ihrer Biografie: „Ich schaute mir immer die Frauen an und fragte mich, mit welchen und wie vielen Oskar ein Verhältnis gehabt hatte. Die Antwort darauf wurde mit der Zeit immer einfacher: sicherlich mit allen, die es zuließen." Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog scheint da die richtigen Worte gefunden zu haben (anlässlich einer Ehrung des Regisseurs von „Schindlers Liste", Steven Spielberg, 1998): „Wir müssen keine perfekten Helden sein, aber wir haben die Pflicht zu handeln, selbst wenn es scheint, dass wir mit einem Löffel den Ozean ausschöpfen."

Br. Andreas Murk

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016