Wenn an Weihnachten plötzlich die Kirche voll ist

30. November 2015 | von

Weihnachten, das Fest der Liebe und des Friedens... In der „Christmette“ treffen regelmäßige auf eher sporadische Kirchgänger. Nicht selten kommt es zu liturgischen Spannungen. Wie geht man damit um?




Einmal im Jahr sind die Kirchen voll, nämlich am Heiligen Abend. Sie kennen das: Da geraten die, die mehr oder weniger regelmäßig die Messe mitfeiern, schnell in die Minderheit gegenüber denen, die regelmäßig nur an Weihnachten kommen. Und während sich die einen vielleicht fragen, was Menschwerdung Gottes in Jesus Christus heute bedeutet, suchen die anderen womöglich eher eine Stimmung, die ihnen seit Kindheit vertraut ist und die für sie zu Weihnachten dazu gehört.





Ahnungslose Weihnachtschristen?



Im Gespräch mit Seelsorgern und engagierten Laien stelle ich manchmal fest, dass der große Andrang zu Weihnachten eher Unbehagen als Freude auslöst: Wie sollen wir mit Leuten umgehen, die wenig Erfahrung mit der Feier der Eucharistie haben? Sollen wir uns in der Gottesdienstgestaltung nach dieser Mehrheit richten oder dürfen wir mit den „Erfahrenen“ unter den Mitfeiernden an einem Hochfest auch zu einer Hochform der Liturgie auflaufen? Aber schon die Idee, wegen des Hochfestes das Vater unser zu singen anstatt zu sprechen, wirft Probleme auf: Auch wer nur selten in die Kirche kommt, schafft es meist noch, das Vater unser mit zu beten; beim Singen dieses Grundgebets ist er aber ganz sicher ausgegrenzt und erfährt durch den Gesang, dass er eigentlich gar nicht dazu gehört.



Kann das Kirchenrecht hier Orientierung geben? Ja, aber nicht in dem Sinn, dass klar zwischen Nahen und Fernstehenden unterschieden und infolgedessen ausgegrenzt wird. Vielmehr gilt: Das Kirchenrecht wendet sich an die Nahestehenden und fordert sie auf, dafür zu sorgen, dass aus den Fernstehenden Nahestehende werden.







Eine einladende Kirche



Dabei denke ich zunächst an den Canon 528 § 1 CIC, der die wesentlichen Amtsaufgaben des Pfarrers aus dem Aufgabenbereich des Verkündigungsdienstes zusammenfasst. Dort wird dem Pfarrer unter anderem aufgetragen: „Er hat sich mit aller Kraft, auch unter Mithilfe von anderen Gläubigen, darum zu bemühen, dass die Botschaft des Evangeliums auch zu jenen gelangt, die religiös abständig geworden sind.“ Während die Zielgruppe der Fernstehenden sonst kaum greifbar ist, ist – wenigstens ein Teil von ihr – erwartungsvoll im Weihnachtsgottesdienst versammelt. Gibt es eine bessere Möglichkeit, dem missionarischen Auftrag der Verkündigung gerecht zu werden? Allerdings, auch darauf weist das Kirchenrecht hin: Der Pfarrer kann das nicht alleine schaffen. Er braucht die Hilfe von anderen Gläubigen. Aber schon der vorwurfsvolle Blick eines regelmäßigen Kirchgängers, der seinen Stammplatz von einem Fremden besetzt sieht, wirkt ausgrenzend und nicht einladend.



Papst Franziskus will aber eine einladende Kirche, die in der Lage ist, die Frohe Botschaft neu zu verkünden. In seinem Schreiben Evangelii Gaudium (= Die Freude des Evangeliums) wendet er sich in Nr. 14 deshalb zuerst an alle, „die sich regelmäßig in der Gemeinde zusammenfinden und sich am Tag des Herrn versammeln, um sich vom Wort Gottes und vom Brot ewigen Lebens zu ernähren“. Im nächsten Satz bezieht er die Gläubigen mit ein, „die einen … ehrlichen katholischen Glauben bewahren und ihn auf verschiedene Weise zum Ausdruck bringen, auch wenn sie nicht häufig am Gottesdienst teilnehmen.“ Wäre das nicht ein neuer Blick auf die Situation des Weihnachtsgottesdienstes und die beste Voraussetzung dafür, den Auftrag zu einer missionarischen Seelsorge zu verwirklichen?







Tätige Teilnahme für alle



Im Blick auf den Gottesdienst an Heilig Abend denke ich auch an kirchenrechtliche Normen aus dem Bereich des Heiligungsdienstes: In c. 835 § 4 CIC wird die aktive Teilhabe aller Gläubigen an den liturgischen Feiern und besonders an der Feier der Eucharistie hervorgehoben: Jede und jeder soll auf seine Weise aktiv und tätig an diesen Feiern teilhaben können. Es geht also nicht um fromme Zuschauer oder um „Gottesdienstbesucher“, sondern um aktiv und bewusst Mitfeiernde. Die Liturgiekonstitution des Konzils nennt in Art. 34 die Voraussetzung dafür und fasst sie in die Form einer verbindlichen Weisung: „Die liturgischen Riten sollen der Fassungskraft der Gläubigen angepasst sein und im Allgemeinen nicht vieler Erklärungen bedürfen.“ Auch hier hat die Kirche nicht nur diejenigen im Blick, die regelmäßig die Liturgie mitfeiern. Es geht auch darum, denen gerecht zu werden, die nur einmal im Jahr, nämlich an Weihnachten, den Gottesdienst mitfeiern.





Aus der Tatsache, dass wir im Gottesdienst an Heilig Abend nicht heimelig „unter uns“ sind, ergibt sich eine spannende Herausforderung: dass wir uns ganz bewusst an denen orientieren, die „fremdeln“ oder die am Rande stehen. Ich zitiere nochmals Papst Franziskus aus Evangelii Gaudium Nr. 20: „Jeder Christ und jede Gemeinschaft soll erkennen, welches der Weg ist, den der Herr verlangt, doch alle sind wir aufgefordert, diesen Ruf anzunehmen: hinauszugehen aus der eigenen Bequemlichkeit und den Mut zu haben, alle Randgebiete zu erreichen, die das Licht des Evangeliums brauchen.“


Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016