Wir kommen, um ihn anzubeten

29. Juni 2005

Köln fiebert dem spirituellen Mammutereignis des Jahres entgegen: Vom 11. bis 21. August steigt in der Rheinmetropole und der Region der Weltjugendtag, zu dem etwa 800.000 junge Menschen, 4000 Journalisten, 600 Bischöfe und der Papst erwartet werden. Über den logistischen Kraftakt, der die vielen Tausend Helfer des Weltjugendtagbüros derzeit in Atem hält, und die hohen Erwartungen, die sich an dieses Festival des Glaubens knüpfen… 

  

„Wie viele Schlafplätze fehlen uns noch? Was ist mit dem Objektbetreuer für die Schule? Wo können alle Jugendliche ihre Pilgerrucksäcke erhalten und wie müssen die Busse dirigiert werden, ohne dass der Verkehr zusammenbricht? Immer noch fehlen Freiwillige für das Frühstück... - und wo ist denn nur, wer kann denn noch?“ Fragen über Fragen, die die Organisatoren des Weltjugendtages noch bis August in Atem halten, und nicht nur das Bettenbarometer, das weithin sichtbar am Bonner Münster hängt, zeigt allmählich höhere Grade an. Auch das „Gefühlsthermometer“ der Kernteams für den Weltjugendtag in Köln zeigt mittlerweile hohe Temperaturen an: Fieberhaft wird recherchiert und geplant, organisiert und letzte Verhandlungen geführt.

 

Logistische Herausforderung. Das spirituelle Ereignis des Jahres ist im Hintergrund auch eine logistische Herausforderung größten Ausmaßes, dem sich nicht nur das Weltjugendtagbüro in Köln mit vielen hauptamtlichen und professionellen Kräften zu stellen hat. Vor Ort sind es die Kernteams, das heißt Jugendliche, die enorm viel Zeit und Kraft einsetzen, um die zu erwartenden Jugendlichen aus aller Welt gastlich zu begrüßen und allen einen angemessenen Empfang zu bereiten. Dass die deutsche Bürokratie mit all ihren Vorschriften  - zum Beispiel die zentimetergenaue Berechnung einer Schlafplatzgröße - dabei manchmal nicht nur hilfreich ist, sondern entweder zum Schmunzeln oder aber zum „Haare Raufen“ verleitet, lässt sicherlich den einen oder anderen Verantwortlichen neidvoll in andere Länder schauen, die durchaus pragmatischer mit ihren Vorschriften umgehen.

Vom 11.- 21. August werden Jugendliche aus aller Herren Länder (die prognostizierte Zahl liegt derzeit bei etwa 800.000 Teilnehmern beim Abschlussgottesdienst) zu Besuch in Deutschland sein. In der ersten Woche noch verteilt auf die verschiedenen Diözesen Deutschlands und eingeladen an den dezentralen Veranstaltungen teilzunehmen, sind sie dann ab 16. August nach Köln eingeladen, um dort das große Fest der Jugend zu feiern.

 

Papst der Jugend. Der XX. Weltjugendtag, unter dem Motto „Wir sind gekommen, um ihn anzubeten“, steht in der Tradition einer ganzen Reihe von Weltjugendtagen, die von dem verstorbenen Papst Johannes Paul II. ins Leben gerufen worden ist. Nach ersten Anfängen 1984 wurde der erste „offizielle“ Weltjugendtag 1986 in Rom gefeiert. Seit Buenos Aires, 1987, findet er  in der Regel alle zwei Jahre statt, so zum Beispiel 1991 in Tschenstochau in Polen oder 1995 in Manila auf den Philippinen - mit 4 Millionen Jugendlichen eine der größten Weltjugendtagstreffen überhaupt.

Johannes Paul II. hatte wohl eine besondere Beziehung zu Jugendlichen. Sein Blick auf sie war verständnisvoll und warm. Er hat sie keineswegs als glaubensfern und materialistisch gesonnen „abgeschrieben“ und ist ihnen nicht mit erhobenem Zeigefinger begegnet. 1985 sagte er in seiner Osterbotschaft „Urbi et orbi“: „Die Jugend erwartet eine schwere aber zugleich packende Aufgabe: die grundlegenden Mechanismen zu verändern, die in den Beziehungen zwischen Nationen Egoismus und Unterdrückung fördern, und neue Strukturen zu schaffen, die sich an der Wahrheit, der Solidarität und am Frieden ausrichten.“ Diese Herausforderung an die Jugendlichen, die die Erwachsenen von morgen sind, hielt er weder für überfordernd noch für unrealistisch. In seinem Sinne haben die Jugendlichen von heute ein ungeheures Potential in sich, das der Kirche nicht verloren gehen darf. So betonte er 1988 in seinem Apostolischen Schreiben „ Christi fideles laici“: „Die Kirche hat der Jugend viel zu sagen, und die Jugend hat der Kirche viel zu sagen. Dieser gegenseitige Dialog muss offenherzig, klar und mutig sein. Er fördert die Begegnung und den Austausch zwischen Generationen und wird für Kirche und Gesellschaft Quelle des Reichtums und des Jungseins.“  Gegenseitiger Dialog lag ihm also am Herzen und vielleicht waren gerade diese Haltung und das Zutrauen, das er den Jugendlichen entgegenbrachte, Gründe, warum es ihm gelang, so viele Herzen von Jugendlichen für seine Stimme zu öffnen.

 

Was die Kirche erwartet. „Wir sind gekommen, um ihn anzubeten“ – dieses Zitat aus der Bibel ist dem XX. Weltjugendtag vorangestellt. Es wird den Sterndeutern zugeschrieben, die sich aus fernen Landen auf den Weg machten, den neugeborenen König in Bethlehem zu suchen und zu finden. Viele Motive dieser biblischen Szene lassen sich auf das Geschehen eines Weltjugendtages im 21. Jahrhundert übertragen. Aus über 160 Ländern werden die jungen Leute erwartet. Das Ereignis, zu dem sie sich auf den Weg machen ist – neben kulturellen Highlights und persönlichen Begegnungen – in erster Linie ein Bekenntnis ihres Glaubens, ein deutliches Zeichen dafür, dass Glaube immer ein Unterwegs-Sein ist, ein sich Aufmachen und Aufbrechen. Daneben spielt das Motto auf eine Besonderheit in Köln an, den Schrein der heiligen drei Könige, der sich dort im Dom befindet. Die Erwartung an die Jugendlichen ist auf Seiten der Kirche also hoch:  Dabei geht es nicht in erster Linie um eine möglichst große Zahl von Jugendlichen, die voraussichtlich zu mobilisieren sind. Erhofft wird wohl eher, dass die Jugendlichen, die nach Köln kommen, eine „geistliche“ Verankerung im christlichen Glauben erfahren mögen und so eine Stärkung durch die Gemeinschaft mit anderen gläubigen Jugendlichen. Durch sie soll die Welt erneuert werden – ganz im Sinne Johannes Pauls II: „Seid ihr fähig, euch selber, eure Zeit, eure Kräfte und euer Talent zum Wohl der anderen hinzuschenken? Seid ihr zu Liebe fähig? Wenn ihr es seid, können sich Kirche und Gesellschaft große Dinge von einem jeden von euch erwarten.“

 

Glaube braucht Gemeinschaft. Was aber erwarten Jugendliche von so einem Großereignis? Sind kirchlicherseits die Erwartungen nicht viel zu hoch – und sie suchen eigentlich nur ein „Mega-Event“, das kaum andere Qualitäten hätte wie eine Olympiade oder ein Pop-Konzert der Superlative?

Lassen wir doch Jugendliche zu Wort kommen: „Ich erwarte mir vom Weltjugendtag, die Möglichkeit, mit anderen Jugendlichen in Kontakt zu kommen, und der Glaube ist für mich wie eine Brücke dafür.“ So eine Aussage einer jungen deutschen Frau. Eine andere Antwort lautet: „ Endlich erlebt man einmal, dass es auch andere junge Leute gibt, die gläubig sind. Wir sind nicht nur der letzte Rest!“ Ein vielleicht typisch (west-)europäischer Blickwinkel und zugleich Beleg dafür, dass die abnehmende Zahl von Gläubigen für Jugendliche in Deutschland eine große Herausforderung darstellt. Einmal Gemeinschaft im Glauben zu erleben mit Gleichaltrigen – das scheint für europäische Jugendliche eminent wichtig zu sein. Denn anders als die ältere Generation, wachsen viele von ihnen mit der Erfahrung auf, „exotisch“ zu sein. Glaube aber braucht Gemeinschaft, gerade auch mit Menschen der gleichen Generation.

So bedeutet dieser Weltjugendtag eine Stärkung des Glaubens in den zentralen Gottesdiensten ebenso wie in den „kleinen“ ortnahen Gottesdiensten, Andachten und Katechesen.

 

Programmvielfalt. Programmauftakt der zweiten Woche sind die Eröffnungsgottesdienste am Montag in drei großen Städten des Erzbistums Köln, Bonn und Düsseldorf. Vielfältig ist dann anschließend das Programm auch „vor Ort“, in allen Gemeinden des Erzbistums Köln. Es umfasst zum Beispiel: Morgengebete und Katechesen - in eigens dafür vorgesehenen Katechesekirchen - und Eucharistiefeiern, die Möglichkeit zum Empfang des Bußsakramentes ebenso wie der am Freitag, den 19. August in allen Orten stattfindende Kreuzweg der Jugendlichen mit einem Abend der Begegnung. Die größeren Städte bieten den Jugendlichen zusätzlich auch ein breites Spektrum an Informationsmöglichkeiten und Aktivitäten: Kulturprogramme mit Musik, Tanz und Performances aus aller Welt, Diskussionsrunden und Austausch, Spirituelles und Liturgisches. So wird beispielsweise die Gemeinschaft von Taizé im Bonner Münster auch Angebote für Jugendliche bereithalten und ihre spezielle Form der Spiritualität erfahrbar machen. Unterschiedlichste Gruppierungen der Kirche, Ordensgemeinschaften und Bewegungen werden vertreten sein, um das weite und bunte Bild der Weltkirche den Jugendlichen vor Augen zu führen. Neben all diesen geplanten und organisierten Aktivitäten erhoffen sich alle auch viele Kontakte und Kommunikation auf informeller Ebene. Einander besser zu verstehen, etwas mitzubekommen von den Lebensmöglichkeiten und –formen, die so unterschiedlich auf dieser Welt sind, das alleine dient schon einem friedlichen Miteinander der Zukunft und einem Solidaritätsgefühl, das nationale Egoismen sprengt.

 

Benedikt XVI. kommt! Wenn all diese Erwartungen sich an den Weltjugendtag knüpfen, welche Rolle spielt es dann, dass der Papst kommt? Kämen die Jugendlichen nicht auch ohne ihn zusammen? Sicherlich hat die charismatische Ausstrahlung des verstorbenen Papstes ganz erheblich dazu beigetragen, die Jugendlichen zu motivieren, an den vergangenen Weltjugendtagen teilzunehmen. Nach seinem Tod und der Wahl des neuen Papstes Benedikt XVI. mag so mancher zweifelnd die Stirn gerunzelt haben: Wird der „Neue“ auch kommen? Wie wird er auf die Jugendlichen wirken? Kann er sie auch so begeistern? Nun, die erste Frage war recht bald nach der Wahl beantwortet. Benedikt XVI. kommt im August nach Köln und wie er verlauten ließ, freut er sich auf diese Begegnung mit der „Jugend der Welt“. Inwieweit er die Sprache der Jugendlichen sprechen kann, inwiefern er ihre Sehnsüchte und Hoffnungen aufnehmen kann und ob es ihm gelingen wird, sie „mitzunehmen“  auf dem Weg in die Zukunft der Kirche, wird die Zukunft zeigen. Der Tod Johannes Paul II. hat jedenfalls den Anmeldezahlen keinen Abbruch getan, und auch wenn der ein oder andere Jugendliche nun dabei sein mag, der aus schlichter Neugier einmal den „Neuen“ erleben will, so ist damit dennoch die große Chance gegeben, den Jugendlichen deutlich zu machen, wie wichtig sie für die Kirche sind: Wichtig, unabhängig davon, wer nun das Papstamt innehat. Weil die Jugendlichen und ihre Zukunft von grundlegender und kontinuierlicher Bedeutung für die Kirche sind.

 

Vertrauensgewinn. Benedikt XVI., von dem alle wissen und spüren, dass er ein anderer Mann ist, mit einem anderem Temperament und anderen Fähigkeiten als sein Vorgänger, hat beim Weltjugendtag vielleicht genau die große Möglichkeit deutlich zu machen, dass ein „Leitungswechsel“ zwar immer auch Neues bedeutet und gerade darin  „normal“ ist, ohne jedoch Angst besetzt sein zu müssen. Für ihn eine Chance, den Jugendlichen das (bei manchen anzutreffende) Gefühl zu nehmen, „ihre Stimme“ in der Kirche durch den Tod Johannes Pauls II. verloren zu haben. Denn die jungen Menschen von heute kannten bis zu dessen Tod keinen anderen Papst – Papsttum und die Ausfüllung des Amtes durch Johannes Paul II. war für sie identisch. Bei der Feier der Vigil am Samstagabend sowie beim großen Abschlussgottesdienst am Sonntag, den 21. August, auf dem Marienfeld, im Gebiet des ehemaligen Tagebaus in Frechen, wird Benedikt XVI. wohl erneut diese „alte“ Botschaft mitbringen: die Hoffnung der Kirche und das Vertrauen in die Jugend der Welt als Brückenbauer für die Zukunft der Menschheit.

 

Neue Wege daheim. „Wir sind gekommen, um ihn anzubeten“ – im Matthäusevangelium müssen auch die Sterndeuter wieder in ihre Heimat zurückkehren. Sie tun dies – wie ihnen geheißen wird - auf einem anderen Weg. „Andere, neue Wege gehen“, auch wenn die alten Aufgaben in der Heimat auf die Jugendlichen warten, wäre ein guter Abschluss des Weltjugendtages. Mit vielen neuen Erlebnissen und an Erfahrungen reicher, sich auf den Weg nach Hause zu machen, um dort im Alltag das zu leben, was sie mit vielen anderen Jugendlichen in Köln geteilt und gefeiert haben: die Erfahrung der Gegenwart Jesu in der Gemeinschaft der Kirche. Verändert werden hoffentlich auch diejenigen sein, die „zurückbleiben“, die die Erfahrung des „Besuchtwerdens“ und „Beschenktwerdens“ durch die Besucher gemacht haben. Die Jugendlichen des Erzbistums Köln vor allen Dingen, darüber hinaus aber auch all jene, die auf  unterschiedlichste Weise mit den Besuchern in Kontakt gekommen sind. Denn nicht nur das Aufräumen und Großreinemachen steht nach dem Ende des Weltjugendtages an, sondern auch der Blick auf das, was bleibt: die Herausforderungen der Welt anzunehmen und ihnen aus dem christlichen Glauben heraus zu antworten. Und ganz sicher wird auch am Ende des XX. Weltjugendtages eine neue Einladung stehen: Welcome in .... 2007 – und bis dahin ein vielsprachiges „Adios“, „Adieu“ und „Ciao“...

 

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016