23. September 2010

Wir sind dann mal da!

In Anlehnung an den Titel von Hape Kerkelings Bestseller über seine Zeit auf dem Jakobusweg hätte man mit „Ich bin dann mal da" die Präsenz der Franziskaner-Minoriten in der Pilgerherberge von Ponferrada, Nordspanien, überschreiben können. Bruder Andreas war dabei und berichtet Erstaunliches...



Mehr oder weniger per Zufall habe ich von dem Vorhaben der spanischen Ordensprovinz der Franziskaner-Minoriten erfahren. Am Rande einer Konferenz in Madrid stellte es der spanische Provinzialminister Br. Joaquín Agesta vor: Eine Gemeinschaft von drei bis vier Brüdern sollte in Ponferrada in der dortigen Pilgerherberge ein pastorales Angebot für Pilgerinnen und Pilger bereithalten. Es fanden sich genügend Brüder, das Projekt konnte im Juli 2010 und in der zweiten Augusthälfte gestartet werden. Und so kamen in den Sommermonaten Brüder der Franziskaner-Minoriten aus Spanien, Italien, den USA und eben auch aus Deutschland für jeweils einige Tage oder auch Wochen nach Ponferrada, eine knapp 70.000 Einwohner zählende Stadt in der Provinz León, etwa 200 Kilometer von Santiago de Compostela entfernt.

Dorthin sind die Pilger seit Jahrhunderten in den unterschiedlichsten Anliegen unterwegs, heuer noch einmal verstärkt wegen des Heiligen Compostelanischen Jahres (span. Kurzform: Xacobeo), das immer dann gefeiert wird, wenn der Festtag des heiligen Jakobus (25. Juli) auf einen Sonntag fällt. Im letzten Heiligen Jahr, 2004, kamen 12 Millionen Pilger nach Santiago, davon etwa 180.000 als Pilger zu Fuß, per Rad oder hoch zu Ross. Die Geschichte der Wallfahrt nach Santiago beginnt mit einer Legende. Der Einsiedler Pelagius hatte eine Engelserscheinung, in der ihm mitgeteilt wurde, dass der Leichnam des heiligen Jakobus hier ruhe. Im Auftrag des Bischofs wurde schließlich nach dem Grab gesucht und auch tatsächlich ein Marmorsarg gefunden – woraufhin drei Kirchen gebaut wurden.

So weit die Legende, ob der heilige Jakobus nun tatsächlich in Spanien gewesen ist, lässt sich historisch nicht eindeutig beweisen. Dennoch entstand eine große Wallfahrtsbewegung, die bald auch international Kreise zog: Für das Jahr 951 lässt sich der erste französische Pilger nachweisen. Der Pilgerweg nach Santiago erfuhr über die Jahrhunderte verschiedene Höhepunkte, aber auch Durststrecken. Eine Wiederbelebung gelang schließlich in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Bestseller wie Paulo Coelhos „Auf dem Jakobsweg" oder Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg" (meist verkauftes Buch Deutschlands im Jahr 2006) haben den Jakobspilgerweg noch einmal mehr ins Bewusstsein gerufen.

Aus den unterschiedlichsten Motiven machen sich heute Menschen aus aller Welt, überwiegend aus Spanien, Italien und Deutschland, auf den Weg.



Herberge für eine Nacht



In Ponferrada begegnen mir zum Beispiel: Rafał, ein Pole, der in Spanien unterwegs war und zunächst dachte, die Jakobsmuschel, die den Weg markiert, sei ein Hinweis auf eine Aussichtsplattform; oder ein namenloser Ungar, der auf der Suche nach dem letzten Tempelritter ist; mit Martin auch ein Deutscher, der überlegt, wie es nach seinem Schulabschluss nun weitergehen soll; oder ein Norweger, der vom Weg abgekommen ist und völlig ausgetrocknet von einem Polizeihubschrauber gefunden wurde – zu meiner Überraschung bekam er dann statt eines Bußgeldbescheids für unverantwortliches Verhalten die Adresse des Polizeibeamten mit der Bitte, ihm eine Karte zu schreiben, sobald er in Santiago angekommen sei. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie sind für eine Nacht in der Pilgerherberge „San Nicolás de Flüe", die von der Stadtpfarrei unterhalten wird. Das Schweizer Pilgerehepaar Ursula und Josef Leutenegger hatte mit einer großzügigen Stiftung den Bau dieser 175 Schlafplätze bietenden Unterkunft ermöglicht und als Patron den Schweizer Heiligen vorgeschlagen. Bereits in den ersten neun Monaten nach der Inbetriebnahme im April 2000 übernachteten hier 13.000 Pilger auf dem Weg nach Santiago. Während der Sommermonate ist die Herberge, die von ehrenamtlichen Helfern („Hospitaleros") und dem unvergleichlichen Herbergsvater Evaristo betreut wird, ständig belegt: Es kommt schon mal vor, dass über 300 Menschen hier einen Schlafplatz finden.

Im Winter hingegen ist es ruhiger. Am letzten Weihnachtstag waren es aber immerhin noch sieben Personen, die hier den Heiligen Abend feierten. Sie alle übernachten kostenlos, werden lediglich um eine Spende gebeten. Etwas erschrickt man dann aber schon, wenn man hört, dass der Spendendurchschnitt pro Kopf bei knapp zwei Euro liegt.



Putzen und Pastoral



Die Aufgabe von uns Franziskaner-Minoriten während der Sommerzeit: morgens halfen wir beim Putzen, am Nachmittag und Abend standen wir für Pilger zur Verfügung, wenn sie ein seelsorgliches Gespräch suchten. Hier ergaben sich viele gute Begegnungen, deren Ergebnis freilich nur schwer beschreibbar ist. Aber vielleicht konnten wir für den einen oder anderen auf dem Pilgerweg nach Santiago für einen Augenblick gute Begleiter sein – Überbringer der Frohen Botschaft. Denn mehr als ein paar Augenblicke dauerten die Begegnungen oft nicht: Die meisten hatten ja für den nächsten Tag wieder ein gehöriges Laufpensum zu bewältigen. Ich denke an den 19-jährigen Michał aus Krakau, der jeden Tag über 40 Kilometer lief und am Abend in der Herberge nach Mitspielern für ein Fußballspiel suchte… da war ich dann mal schnell weg.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016