Wo Saulus zum Paulus wurde

18. März 2005

Nicht einmal 10 Prozent der Syrer sind christlichen Glaubens. Doch der islamische Staat gesteht der Minderheit mehr Freiheiten zu als jeder andere im Nahen Osten. Vielleicht liegt es daran, dass sich dort das Christentum zur Zeit der Antike schnell ausbreitete, und sich in der Hauptstadt Damaskus ein wichtiger Brückenkopf des Glaubens bildete, der die Zeiten überdauerte.


Syrien ist ein islamisches Land. Damaskus, seine Hauptstadt ist ebenfalls vom Islam und seinen Moscheen geprägt. Die Christen bilden in Syrien eine kleine Minderheit. Nicht einmal 10 Prozent der 17,2 Millionen Einwohner bekennen sich zum christlichen Glauben, und doch sagt der Vertreter des Vatikans in Damaskus, Erzbischof Diego Causero: “In keinem nahöstlichen Land haben die Christen, egal welchen Bekenntnisses, so große Freiheiten wie wir“. Doch die Christen sind in viele Konfessionen zersplittert.
Jesus selbst hat seine Heimat Palästina wohl niemals verlassen. Aber gab es offensichtlich bereits zu seinen Lebzeiten eine kleine Gemeinde von Christen in Damaskus. Sie wurden Anhänger des Weges genannt.

Geteilte Christenheit. Die erste große Spaltung der Christen im vorderen Orient entzündete sich an der Frage, ob Christus zwei Naturen habe, nämlich eine menschliche und eine göttliche, oder als das “Fleisch gewordene Wort Gottes“ nur eine. Die Vielzahl der christlichen Bekenntnisse in Syrien ist auf eine nur schwer zu ermessende Verquickung von historischen Umständen, theologischen Disputen, machtpolitischen Verhältnissen und psychologischen Mechanismen über Jahrhunderte hinweg zurückzuführen.
Zu den Kirchen, die dem Konzil von Chalcedon folgten, gehört als mitgliederstärkste die griechisch-orthodoxe. Sie macht etwa 6 Prozent der Bevölkerung aus. Außerdem gibt es syrisch-orthodoxe Christen, orthodoxe Armenier sowie sehr wenige Mitglieder der kleinen asyrischen Kirche des Ostens. Insgesamt fünf Kirchen – Melkiten, Syrer, Armenier, Chaldäer, und Maroniten – sind mit dem Vatikan verbunden und haben eine fast unüberschaubare Vielfalt liturgischer Traditionen (byzantinisch, armenisch, syrisch) angenommen und entwickelt. Daneben gibt es noch eine kleine Gruppe römisch-katholischer Christen sowie mehrere evangelische Kirchen, die sich meist im 19. Jahrhundert von den orthodoxen Kirchen als reformatorische Gruppen abgespaltet haben.

Christliches Viertel. In Damaskus allein residieren drei “Patriarchen von Antiochia“ (griechisch-orthodox, syrisch-orthodox, melkitisch-katholisch). Man kann geradezu von einem christlichen Viertel im Nordosten der Stadt Damaskus reden. Heute sind hier armenische Katholiken und armenische Orthodoxe, Franziskaner und Maroniten, Gläubige des griechisch-orthodoxen und des syrisch-katholischen Ritus mit ihren Gotteshäusern nebeneinander.
Angesichts der tolerierten Vielfalt der christlichen Bekenntnisse darf eines der dunkelsten Kapitel der jüngeren Stadtgeschichte nicht vergessen werden: das Christenmassaker im Sommer 1860. Damals waren libanesische Drusen in die Stadt eingedrungen und hatten mit stillschweigender Billigung der osmanischen Machthaber im Christenviertel ein Blutbad angerichtet. Die Christen wurden verdächtigt, ihre Gleichstellung mit den Moslems zu missbrauchen, um mit den verhassten europäischen Mächten zu kooperieren.

Haus des Hananias. Die winkligen Straßen des heutigen Christenviertels führen von Kirche zu Kirche. Hier lebte auch der Jude Hananias, von dem die Apostelgeschichte berichtet.
Nach der Überlieferung der Ostkirche war er einer der 72 Jünger, die Jesus eigens aussandte. Es wird weiter berichtet, er sei schließlich Bischof von Damaskus geworden. Sein in der Altstadt gelegenes Haus wurde zu einer Kirche umgebaut. In einer Überlieferung Anfang des 17. Jahrhunderts heißt es: “Das Haus des Hananias befindet sich im östlichen Teil der Stadt. Es ist eine unterirdische Wohnung, die man von Osten durch eine enge Türe betritt“.
Heute ist das Haus des Hananias eine aus zwei Räumen bestehende Krypta. Im 1. Jahrhundert war dieser Raum noch auf Straßenhöhe. Franziskaner betreuen dieses Heiligtum. Seit dem 14. Jahrhundert wirken sie hier im Dienst des Herrn.

Stadt der Saulusbekehrung. Es gibt eine Reihe von Bildern in diesem Heiligtum, die näher erklären, was dort geschehen ist. Die Apostelgeschichte, Kap. 9, kann uns dabei als Wegweiserin dienen. Da wird die Erfahrung des Paulus auf seinem Weg nach Damaskus geschildert, wo er “die Anhänger des Weges“, die er dort finden würde, fesseln und nach Jerusalem bringen wollte. Unterwegs umstrahlte ihn plötzlich ein Licht vom Himmel, so dass er zu Boden stürzte und eine Stimme hörte: “Saul, Saul, warum verfolgst du mich? Er antwortete, wer bist du, Herr? Dieser sagte: Ich bin Jesus, den du verfolgst, steh auf und geh in die Stadt; dort wird dir gesagt werden, was du tun sollst.“ Paulus war plötzlich blind, und seine Gefährten führten ihn nach Damaskus hinein.
Die Apostelgeschichte berichtet weiter von einem Jünger Jesu, namens Hananias, dem der Herr sagte: “Steh auf und geh zur so genannten Geraden Straße und frag im Haus des Judas nach einem Mann namens Saulus aus Tarsus. Er betet gerade und hat in einer Vision gesehen, wie ein Mann namens Hananias hereinkommt und ihm die Hände auflegt, damit er wieder sieht.“ Paulus wurde wieder sehend und ließ sich taufen. Paulus blieb bei den Jüngern Jesu in Damaskus und verkündete Jesus in den Synagogen und sagte: “Er ist der Sohn Gottes“. Es heißt von Paulus, alle die ihn hörten, gerieten in Aufregung und sagten: “Ist das nicht der Mann, der in Jerusalem alle vernichten wollte, die diesen Namen anrufen“.
Da Paulus noch kraftvoller auftrat und bewies, dass Jesus der Messias ist, brachte er die Juden in Damaskus in Verwirrung, so dass sie beschlossen, ihn zu töten. Paulus erfuhr von diesem Plan. Obwohl die Juden Tag und Nacht die Stadttore bewachten, konnte er fliehen. Seine christlichen Brüder holten ihn in der Nacht und ließen ihn in einem Korb von der Stadtmauer hinab.
Man kann durchaus sagen: Damaskus ist die Stadt, in der der große Völkerapostel Saulus zum Paulus, das heißt zum Christen wurde. Es ist die Stadt, in der der Schritt des Christentums aus dem Judentum heraus in die Welt begann. Durch das Osttor von Damaskus, Bab Sharki, hat Paulus die Stadt betreten. Am Bab Kaisan, dem Südosttor, soll ihm die Flucht gelungen sein. Zum Gedächtnis an dieses Ereignis zeigt die Stadtmauer auf beiden Seiten das XP, das Christuszeichen. Unter dem Torbogen wurde eine Pauluskapelle errichtet. Neben dem Tor ist eine Bronzeplastik, die das Damaskuserlebnis des Paulus schildert.

Problem Auswanderung. Die Liturgie der Christen in Damaskus wird vor allem in arabischer Sprache gehalten. Die Armenier haben eine eigene Sprache. Leider erlebten die Christen in den vergangenen zehn Jahren starke Wellen der Auswanderung. Da es in Syrien keine Ausbildungseinrichtungen für Priester gibt, ist der einheimische junge Klerus auch schwer im Land zu halten. Wer eine Berufung verspürt, geht zum Studium nach Europa, Amerika oder in den Libanon. Leider bleiben diese jungen Männer nach ihrer Ausbildung oft in ihrem Studienland. Einerseits werden die USA in Syrien als der große Feind gesehen, andererseits nehmen junge gebildete Syrer gerne eine Ausreisegenehmigung an. Christen sind zwar aufgrund ihrer Bildung und ihrer arabischen Herkunft angesehen, aber als religiöse Minderheit müssen sie sich den muslimisch geprägten Gesellschaftsformen fügen. In Syrien ist es zwar möglich, dass man als Christ einen Moslem heiratet. Doch die Kinder aus einer solchen Verbindung müssen traditionsgemäß den muslimischen Glauben annehmen. Konversionen vom Islam zum Christentum werden staatlicherseits als “Destabilisierung“ gesehen.
Nach der syrischen Verfassung ist zwar die Gleichheit von Mann und Frau gegeben, aber die Ehre des Mannes steht doch höher als jene der Frau. Es ist auch unmöglich, dass eine Frau nach der Scheidung für ihre Kinder finanzielle Unterstützung erhält.

Was die Ökumene betrifft, ist Syrien noch Niemandsland. Die westlichen Christen sind stark vom Rationalismus geprägt. In Syrien gibt es wenig Ansporn, sich verstandesmäßig mit der Religion auseinanderzusetzen. Den Christen geht es vor allem darum, ihren Glauben in einer muslimischen Umwelt ungestört leben zu können. Unter den Christen in Damaskus gibt es kaum Austausch. Man kennt sich gegenseitig nur wenig. Lediglich die Kirchenleitungen begegnen sich ab und zu. Religiöser Austausch zwischen Muslimen und Christen ist auch gering. Offene Feindseligkeiten unter den Religionen gibt es nicht. Man lebt nebeneinander her, begegnet sich allenfalls dort, wo man sich notwendiger Weise begegnen muss. Über allem steht das vom Geheimdienst überwachte staatliche Bemühen nach “friedlichem Miteinander leben“.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016