Wunder in Hülle und Fülle
Die Wunder, die Gott durch den hl. Antonius wirkt, stehen im Zentrum des nächsten Abschnitts der Benignitas. Wir werden mitgenommen von großen und staunenswerten Taten, die Gottes Macht auf unserer Welt vollbringen kann.
„Si quaeris miracula …“ – „Wenn du suchest Wunderzeichen …“, so lautet ein Gebet, das der Franziskaner Julian von Speyer 1233, also zwei Jahre nach dem Tod des hl. Antonius von Padua, zu dessen Lob und Verehrung verfasste, angeblich um ihn um Hilfe anzurufen, wenn es darum geht, verlorene Dinge wiederzufinden. Seither gilt Antonius als der „Schlampertoni“, dem das Patronat zugesprochen wurde, bei der Suche zu helfen und Verschwundenes wieder zu entdecken.
Unzählig sind die Wunder, die sich um das Leben des hl. Antonius von Padua ranken. Auch die Benignitas fügt ab hier zahlreiche Wunderberichte hinzu, um die Einmaligkeit und Größe des Heiligen hervorzuheben und zu unterstreichen.
I. Eine Predigt des Antonius wird von Menschen verschiedener Sprachen deutlich verstanden.
17.1 Während der Mann Gottes sich einst in der römischen Kurie mit gewissen Fragen über seinen Orden beschäftigte, geschah es, dass eine unzählbare Volksmenge beiderlei Geschlechts und verschiedener Sprachen dorthin strömte, um den österlichen Ablass zu erhalten.
17.2 Und indem er diesen Pilgern im Namen des Papstes feierlich predigte, seht, die Gnade des Heiligen Geistes gestaltete, bereicherte und beschenkte so sehr seine Sprache auf wundersame Weise, wie es den heiligen Aposteln am Pfingsttag widerfahren ist, so dass jeder, der sie hörte, klar die Sprache verstand, in der er geboren und erzogen war. Viele von ihnen bestätigten dieses Ereignis später mit Gewissheit.
Das biblische Pfingstwunder (Apg 2, 6-11), bei dem die Apostel polyglott ihre Botschaft verkündeten und diese von allen in ihrer Muttersprache gehört und verstanden werden konnten, soll sich auch bei Antonius ereignet haben. Heute mit der künstlichen Intelligenz kommen wir diesem Phänomen schon sehr nahe, aber im 13. Jahrhundert war das sehr außergewöhnlich.
II. Wie der Heilige gleichzeitig an zwei Orten gesehen wurde
17.3 Zu der Zeit, als der heilige Mann in Montpellier Theologie lehrte, trug es sich zu, dass er einmal bei einem Festmahl predigte, bei dem der ganze Klerus und das ganze Volk anwesend waren. Als er die Predigt begann, kam ihm der Gedanke, dass er nicht jemand anderem durch Vergesslichkeit seine Aufgabe anvertraut hatte.
17.4 In der Tat war es dort üblich, dass an den Hauptfeierlichkeiten zwei angesehene Brüder bei der Gemeinschaftsmesse das Halleluja sangen. Und an diesem Tag oblag diese Aufgabe dem Mann Gottes.
17.5 Er bedauerte diese Vergesslichkeit sehr, beugte sich ein wenig über das Rednerpult und bedeckte seinen Kopf sofort mit der Kapuze, als ob er schlafen wollte. Im selben Augenblick sah man den Mann Gottes im Chor der Brüder in Montpellier, wie er zusammen mit dem Mitbruder, der mit ihm singen sollte, das Halleluja anstimmte. Unterdessen blieb der Leib des Antonius auf der Kanzel stehen, für die Dauer einer langen Reise, vor den Augen der ganzen Menge.
17.6 Es besteht kein Zweifel, dass der allmächtige Gott, so wie er den berühmten Gelehrten Ambrosius zur Hinrichtung des heiligen Martin überführen und den seligen Vater Franziskus in das Kapitel von Arles versetzen wollte, während unser Heiliger dort über den Triumphtitel des Kreuzes predigte, diesem ehrwürdigen Mann in bewundernswerter Weise dasselbe Wunder gewährte, indem er ihm in gewisser Weise das Verdienst der oben erwähnten heiligen Väter gleichstellte.
17.7 Nachdem der Heilige die eben erwähnte Pflicht gewissenhaft erfüllt hatte, kam er sofort zur Besinnung und setzte die Predigt, die er zuvor begonnen hatte, mit bewundernswerter Weise fort.
An zwei Orten gleichzeitig sein zu können, so heißt das Wunder der Bilokation. Angeblich soll der hl. Ambrosius auch bei der Hinrichtung des hl. Martin in Tours dabei gewesen sein und der hl. Franziskus, wie Giotto es in der Oberkirche San Francesco in Assisi bildlich dargestellt hat, auf wundersame Weise beim Kapitel von Arles aufgetaucht sein, obwohl er gleichzeitig in Italien weilte. Wo und wie genau sich das Wunder der Bilokation im Leben des hl. Antonius ereignete, lässt die Benignitas offen. Es ist nur vom Ort Montpellier die Rede. Antonius ist also gleichzeitig in Italien und Frankreich – ohne die technischen Möglichkeiten, die wir heute haben.
III. Ein gelähmter Junge wird geheilt.
17.8 Ein anderes Mal, als der demütige Diener Gottes bei der Rückkehr von einer Predigt einen einsamen Weg entlangging, um dem Beifall der heimkehrenden Menge zu entgehen, da trat eine Frau auf Abkürzungen und abgelegenen Pfaden auf der Spur des Heiligen Gottes vor und legte zu Füßen dessen, der ihr entgegengekommen war, ihr eigenes Kind, das von Geburt an Armen und Beinen geschrumpft war. Mit Seufzen und Tränen flehte sie ihn an, das Kind mit dem Kreuzzeichen zu segnen, und dies aus Mitleid mit einer betrübten Mutter.
17.9 Sie hoffte fest darauf, dass ihr Sohn sofort geheilt werden würde.
17.10 Der Diener Gottes, von tiefer Demut durchdrungen, versuchte zu entkommen, während die Frau, ihre Tränen vermehrend und ihr Flehen verdoppelnd, eindringlich zu rufen begann: „Mein Herr, Pater Antonius, erbarme dich meiner!“
17.11 Schließlich betete der fromme Vater, überwältigt vom Mitleid mit der trauernden Mutter und mit diesem leidenden Geschöpf, auch von seinem Gefährten Bruder Lukas, einem Mann, der für seine Güte berühmt war, indem er ein Kreuzzeichen machte und den Kranken in der Kraft und im Namen Christi segnete.
17.12 Bewundernswert zu sagen! Sofort stand das Kind geheilt auf. Und die Mutter, die ihn traurig krank auf ihren Armen getragen hatte, führte ihn freudig nach Hause, der nun allein ging.
17.13 Der heilige Mann aber, der das Wunder nicht seinen eigenen Verdiensten, sondern dem Glauben der Frau zuschrieb, empfahl ihr, solange er lebe, niemanden davon wissen zu lassen.
Die Heilungsberichte erinnern doch sehr stark an die Vorlagen im Neuen Testament: „Geh hin, dein Glaube hat dir geholfen.“ (Mk 10,52) Jesus hatte auch Mitleid mit den Kranken, die von ihm Heilung erhofften. Das Wort „sofort“ soll das unmittelbare Eingreifen Gottes beweisen. Die Verpflichtung, über das Wunder zu Lebzeiten des Heilers Stillschweigen zu bewahren, ist biblisch gut fundiert.
IV. Ein gelähmtes und epileptisches Mädchen wird geheilt.
17.14 Ein vierjähriges Mädchen, namens Paduana, das seine Füße nicht bewegen konnte, schleppte sich wie eine Schlange dahin. Darüber hinaus drehte sie sich, da sie an einer chronischen Krankheit litt, häufig mit schäumendem Mund auf den Boden und warf sich zu Boden, dass es einem vor Mitleid das Herz zerriss.
17.15 Ihr Vater, der Pietro hieß, trug sie auf seinen Armen und traf unerwartet den seligen Pater Antonius, der gerade von einer Predigt zurückkehrte.
17.16 Petrus lief andächtig zu ihm und begann ihn eindringlich zu bitten, er möge das lebensspendende Kreuzzeichen über dem Kind machen.
17.17 Sobald der fromme Vater seinen aufrichtigen Glauben gesehen hatte, bezeichnete er das Kind von Kopf bis Fuß mit dem Kreuz, und es wurde sogleich von den Übeln befreit, die es bedrückten.
Was in Benignitas 17.8-13 von einem Jungen erzählt wurde, ähnliches wird nun auch von einem Mädchen berichtet. Das Krankheitsbild der Epilepsie kommt so in der Bibel noch nicht vor, aber der Evangelist Matthäus (Mt 4,24 und Mt 17,15) spricht in diesem Zusammenhang jeweils von Mondsüchtigkeit.