|              Kirchliche             Klarstellung. Für             Lightfoot stellte sich die Frage gar nicht erst, ob und in welchem             Maße die Heilige Schrift zeitbedingte Anschauungen, lückenhafte             Erkenntnisse oder wissenschaftlich unhaltbare Aussagen enthalte,             weil er den Bibeltext wortwörtlich verstand. Weil diese             fundamentalistische Auffassung auch heute noch in manchen Köpfen             herumgeistert, sah sich die Päpstliche Bibelkommission in einem 1993             erschienenen Dokument über Die Interpretation der Bibel im Leben der             Kirche zu einer Klarstellung veranlasst: Der Fundamentalismus betont             über Gebühr die Irrtumslosigkeit der biblischen Texte, besonders was             historische Fakten oder so genannte wissenschaftliche Wahrheit             betrifft. Oft fasst er als geschichtlich auf, was gar nicht den             Anspruch auf Historizität erhebt; denn für den Fundamentalismus ist             alles geschichtlich, was in der Vergangenheitsform berichtet oder             erzählt wird, ohne dass er auch nur der Möglichkeit eines             symbolischen oder figurativen Sinnes die notwendige Beachtung             schenkt.              Ideologie             mit klaren Lösungen. Für fundamentalistisch orientierte             Bibelleser und -leserinnen gibt es kein Problem, für das ein             bibelverankerter Glaube keine Lösung bereithielte. Denn Gottes Wort             ist evident, sein Sinn eindeutig, sein Anspruch endgültig. Es             vermittelt eine klare Weltsicht, es enthält eine unmissverständliche             Lehre und es erfordert eine unzweideutige             Stellungnahme! Auffallenderweise haben die Anhänger und             Verfechterinnen einer fundamentalistischen Bibellektüre nichts             Kreatives zur Schriftinterpretation beizutragen – es sei denn, es             biete sich ihnen die Gelegenheit gegen Andersdenkende anzutreten,             ein Phänomen dies, welches schon die Anfänge dieser Bewegung             charakterisiert. Ursprünglich verstand man unter Fundamentalismus             eine aus dem nordamerikanischen Protestantismus hervorgegangene             Strömung, die sich mit der Schriftenreihe The Fundamentals: A             Testimony to the Truth (1910-1915) gegen neue Methoden der             Schriftinterpretation wandten, deren Anwendung sie für den überhand             nehmenden Glaubensverfall verantwortlich machten.             Antworten             im Voraus.             Eine fundamentalistische Lektüre der Schrift geht davon aus, dass             diese gewissermaßen im luftleeren Raum entstanden sei. Sie beachtet             weder die psychologischen und charakterlichen Eigenschaften der             menschlichen Verfasser, noch deren jeweilige Aussageabsicht. Sie             trägt der konkreten Lebens– und Glaubenssituation der ursprünglichen             Adressaten keinerlei Rechnung. Und schon gar nicht berücksichtigt             sie die literarischen Gattungen und Formen der einzelnen biblischen             Bücher. Letztlich läuft diese Art des Umgangs mit der Bibel nicht             auf eine Aneignung, sondern auf eine bloße Wiederholung der darin             enthaltenen Aussagen heraus. Diese werden wörtlich zitiert und             weitergegeben, ähnlich wie ein Schmuckstück in einer Familie von der             Großmutter auf die Mutter und von dieser auf die Tochter vererbt             wird. Damit aber erweist sich, dass die Grundlage der eigenen             Überzeugung gar nicht die Bibel ist, sondern die willkürliche Art             wie man an mit ihr umgeht. In Wirklichkeit beruht der             Fundamentalismus auf einer subjektiven Vorentscheidung und stellt so             seinerseits eine Weise der ‚Interpretation‘ dar. Fundamentalistisch             ausgerichtete Gläubige kennen ohnehin alle Antworten im Voraus, die             sie in der Bibel suchen. Suchen? Tatsächlich verhalten sie sich doch             wie Leute, die Ostereier verstecken und hinterher dann genau wissen,             wo sie zu finden sind.             Wurzel             Angst. Die             Neigung, biblische Texte buchstäblich zu verstehen, und die             Weigerung, sie im Zusammenhang auszulegen, hat nur sehr entfernt             religiöse Ursachen. Vielmehr scheint es, dass dabei vor allem             (unbewusste) psychologische Beweggründe ausschlaggebend             sind. Infolge der immer effektiver funktionierenden Informations-             und Kommunikationsmöglichkeiten sind die Menschen heute weit mehr             als früher mit einer Vielzahl von politischen Bewegungen und             kulturellen Strömungen, mit einander widersprechenden             Weltanschauungen und Wertauffassungen und so mit allen nur möglichen             Ideologien und Theorien konfrontiert. Wenn fundamentalistische             Gruppen heute im kirchlichen Raum wiederum vermehrt Zulauf finden,             hat das seine Ursache zweifellos auch in einer weit verbreiteten             Verunsicherung der Gläubigen. Von dem aufgrund der rasanten             Fortentwicklung der modernen Kommunikationsmittel um sich greifenden             Pluralismus blieb auch die Kirche nicht verschont. Wo früher             Gehorsam geleistet wurde, werden plötzlich Zweifel             angemeldet. Unbestritten ist, dass der Glaube schrumpft, dass die             Zweifel sich dehnen, dass die Unsicherheit wächst – und zwar auf             Seiten des Kichenvolkes und auf Seiten derer, die mit der             Verkündigung beauftragt sind. Wenn man sich aber nicht mehr auf             Gewissheiten berufen kann, welche von allen oder doch von einer             überwiegenden Mehrheit geteilt werden, entsteht Angst. Dieser Angst             begegnet man häufig dadurch, dass man andere Ansichten unterdrückt             und gleichzeitig die eigene Einstellung, und sei es mit Gewalt,             durchsetzen versucht.              |                    Denn                   der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig. Der                   Apostel Paulus in seinem 1. Brief an die Gemeinde von Korinth,                   Kapitel 3, Vers 6.   |  
 Simplifizierende             Antworten. Unsicherheit             und Angst drängen auf Vereinheitlichung und damit zur             Vereinfachungen. Von daher erklärt es sich, dass             orientierungshungrige Menschen vermehrt bei Gurus und deren             Heilslehren (Stichworte: New Age, Esoterik, Transzendentale             Meditation...) Zuflucht suchen, die durch ihre vereinfachenden             Antworten überzeugen. Die in ihrem christlichen Glauben             Verunsicherten finden solche simplifizierenden Antworten in             fundamentalistisch orientierten Diskussionsgruppen und Bibelzirkeln.             Bemerkenswert ist die Tatsache, dass diese Kreise sich nicht etwa             auf das kirchliche Lehramt berufen (dem es nach katholischer Lehre             obliegt, die Schrift verbindlich auszulegen), sondern unmittelbar             auf den Wortlaut der Bibel rekurrieren. Der sakrosankte Text bildet             die unanfechtbare Grundlage nicht nur für die individuelle             Lebensführung, sondern auch für das Verhältnis zur religiösen             Gemeinschaft.              Beispiel             Landverheißung.             Welch weit reichende Folgen eine fundamentalistische             Schriftinterpretation gelegentlich zeitigt, sei hier am Beispiel der             biblischen Landverheißung demonstriert. Die Landverheißung (und             die Hoffnung auf deren Erfüllung) gehört neben der Erwählung durch             Jahwe, der Errettung aus dem ägyptischen Sklavendasein und dem             Sinaibund zum unverzichtbaren Grundbestand des israelitischen             Glaubens und damit der jüdischen Religion. Wo aber liegt dieses             gelobte Land? Welches sind seine Grenzen? In der Hebräischen Bibel             finden sich diesbezüglich recht unterschiedliche             Vorstellungen. Da ist zunächst die Verheißung, die an Abraham             ergeht: An diesem Tag schloss der Herr mit Abram folgenden Bund:             Deinen Nachkommen gebe ich dieses Land vom Grenzbach Ägyptens bis             zum großen Strom Euphrat (Gen 15,18) – also fast den ganzen Vorderen             Orient. Später werden diese Grenzen neu definiert; jetzt reichen             sie bereits vom Euphrat bis zum Mittelmeer (Deuteronomium 1,7-8;             vgl. 11,24). Noch einmal anders (und erheblich kleiner) präsentiert             sich das fragliche Gebiet im Ezechielbuch, das gegen Ende des 6.             vorchristlichen Jahrhunderts entstanden sein dürfte (vgl. Ezechiel             47,15-20). Offensichtlich haben wir es hier mit             unterschiedlichen, eine endzeitliche Verheißung einschließenden             Vorstellungen zu tun, die zeitbedingt sind. Dies aber bedeutet, dass             die Bibel keine Handhabe bietet, wenn es darum geht, die Grenzen des             Staates Israels festzulegen. Die ultraorthodoxen Gruppen scheren             sich wenig darum. Sie nehmen den einen oder anderen biblischen Text             wortwörtlich. Unser Beispiel zeigt, dass es nicht genügt, biblische             Aussagen einfach zu repetieren. Will man diese Aussagen verstehen,             kommt man nicht darum herum, sie zu interpretieren!             |                     Ausführlich                   setzt sich der Verfasser dieses Beitrags mit dem                   Fundamentalismus auseinander in seinem Buch Lust auf die                   Bibel. Praxisorientierte Zugänge zur Heiligen Schrift,                   Echter Verlag, Würzburg 2000.  |  
 Gefährliches             Glaubensverständnis. Jedes             Bibelverständnis setzt eine Interpretation voraus. Vor beliebigen             interessebedingten und damit einseitigen Deutungen hat die Kirche             schon immer gewarnt. In dem bereits erwähnten Dokument über Die             Interpretation der Bibel im Leben der Kirche verwahrt sich die             päpstliche Bibelkommission ausdrücklich gegen eine             fundamentalistische Lektüre der Bibel: Der fundamentalistische             Zugang ist gefährlich, denn er zieht Personen an, die auf ihre             Lebensprobleme biblische Antworten suchen. Er kann sie täuschen,             indem er ihnen fromme, aber illusorische Interpretationen anbietet,             statt ihnen zu sagen, dass die Bibel nicht unbedingt sofortige,             direkte Antworten auf jedes dieser Probleme bereithält. Ohne es zu             sagen lädt der Fundamentalismus zu einer Form der Selbstaufgabe des             Denkens ein. Er gibt eine trügerische Sicherheit, indem er unbewusst             die menschlichen Grenzen der biblischen Botschaft mit dem göttlichen             Inhalt dieser Botschaft verwechselt.              |                    Dem                   Fundamentalismus kann man eine Tendenz zu geistiger Enge nicht                   absprechen. Er erachtet zum Beispiel eine alte vergangene                   Kosmologie, weil man sie in der Bibel findet, als                   übereinstimmend mit der Realität. Dies verhindert jeglichen                   Dialog mit einer offenen Auffassung der Beziehung zwischen                   Kultur und Glauben. Er stützt sich auf eine unkritische                   Interpretation gewisser Bibeltexte, um politische Ideen und                   soziales Verhalten zu rechtfertigen, das von Vorurteilen                   gekennzeichnet ist, die ganz einfach im klaren Gegensatz zum                   Evangelium stehen, wie zum Beispiel Rassendiskrimination und                   dergleichen mehr. Päpstliche Bibelkommission, Die                   Interpretation der Bibel im Leben der Kirche (Das                   Dokument der Päpstlichen Bibelkommission ist erhältlich beim                   Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstraße 163,                   53113 Bonn)  |  
 
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