| Der       Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren       ist (Lk       19,10).Lukas überliefert eine Reihe von Erzählungen, die man       Gleichnisse des Erbarmens nennen kann. Die Gleichnisse vom verirrten Schaf       (15,1-7), von der verlorenen Drachme (15,8-10) und vom verlorenen Sohn       (15,11-32) sprechen in verschiedenen Bildern den gleichen Grundgedanken       aus: Gott lässt den Sünder nicht laufen, mag er noch so weit abgeirrt       sein, die Liebe Gottes holt ihn ein und bringt ihn auf den rechten Weg.       Lukas hebt besonders die Freude hervor, die Gott über die Rettung des       Verlorenen hat. Gott selbst ist in seiner grenzenlosen Liebe den Menschen       nahe gekommen. So versteht der Evangelist das programmatische Wort Jesu:       Das Reich Gottes ist nahe.
 Anstößiger       Umgang. Alle       Zöllner und Sünder kamen zu ihm, um ihn zu hören. Die Pharisäer und       Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: Er gibt sich mit       Sündern ab und isst sogar mit ihnen (Lk 15,1-2). So beginnt das 15.       Kapitel mit seinen drei Gleichnissen. Für alle ist er gekommen, alle sind       eingeladen, und wenn alle zu ihm kommen, finden sie Aufnahme und Heil.       Damit ist die Sendung Jesu schon deutlich geworden. Die Schriftgelehrten       und Pharisäer nehmen daran Anstoß. Wenn Jesus mit den Sündern isst, so       zeigt er, dass er gerade mit diesen sich verbunden fühlt, er macht sich       eins mit ihnen, er stempelt sich praktisch selbst zum Gottlosen - er, der       Meister und Lehrer, der Dämonen austreibt und Wunder tut.Die folgenden       Gleichnisse, die Jesus erzählt, gehen von dem Ärger aus, die seine       Zuwendung zu den Sündern bei den Frommen hervorrief. Jesus versucht ihr       Verständnis für sein Verhalten zu wecken und ihnen, aber auch uns, zu       zeigen, wie Gott ist. Lukas bietet uns gerade in diesem Kapitel eine       Gotteslehre ohne Formelsprache in lebendigen Bildern.
 Sünderliebe       hat Vorrang. Mit       wenigen Strichen zeichnet der Evangelist im Gleichnis vom verlorenen Schaf       (Lk 15,4 –7) das Bild des Hirten, der wegen eines in der Steppe verlorenen       Schafes 99 zurücklässt, um das verirrte zu suchen. Man empfindet Sympathie       für diesen Hirten, der das Risiko des Verlustes einer großen Herde auf       sich nimmt, weil ihm an jedem einzelnen Tier so viel gelegen ist. Seine       Freude über das wiedergefundene Schaf zeigt sich darin, dass er es nicht       verärgert vor sich her zurücktreibt, sondern auf den Schultern trägt. Gott       geht jedem Verlorenen nach, sucht ihn und freut sich über seine Umkehr.       Die Deutung, die Jesus der Erzählung gibt, überschreitet das Motiv des       Bildes, denn verirrte Schafe können nur gefunden und zurückgeholt werden,       Sünder aber werden zur Umkehr gerufen und eingeladen. Gott sorgt sich um       das Verlorene wie ein Mann, aber auch wie eine Frau im alltäglichen       Lebensbereich.Der wohlhabende Herdenbesitzer und die arme Frau im       Gleichnis der verlorenen Drachme (Lk 15,8-10) sind beispielhaft. Die arme       Frau zündet eine Öllampe an und fegt die Ecken ihrer Wohnung so lange aus,       bis sie schließlich die Münze wiederfindet. Ihrer Freude gibt sie einen       überschwänglichen Ausdruck in der Einladung der Nachbarinnen. Dass die       arme Frau und der Herdenbesitzer zu einem Fest einladen, überschreitet das       aus dem Alltag bekannte Bild und drückt schon die Freude Gottes aus, die       beide Gleichnisse verbindet: Ich sage euch: So wird im Himmel mehr Freude       sein über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über 99 Gerechte, die es       nicht nötig haben umzukehren. (Lk 15,7.10).
 Kehrt       um! Dies       bedeutet nicht, dass Gott an den Gerechten kein Interesse hätte, von       seiner Liebe ist keiner ausgeschlossen: Aber in der Sicht des Lukas hat       die Sünderliebe Gottes den Vorrang. Diese Verkündigung will vielen       Fernstehenden Mut machen, ein neues Leben zu beginnen und selbstgerechtes       Verhalten als gottwidrig entlarven.Mit dem Hirten hat uns Jesus nicht       bloß gleichnishaft ein Bild Gottes gegeben, sondern sich selbst       nachgezeichnet. Er ist der gute Hirte (Joh 10,11-21).
 Der Prophet       Ezechiel hat das Sorge-Thema schon vor Jesus und Lukas verdeutlicht: So       spricht der Herr: Ich habe keinen Gefallen am Tod des Sünders, vielmehr,       dass er seine bösen Wege verlässt und am Leben bleibt! Kehrt um auf euren       bösen Wegen (Ez 3,11). Wie ein Hirte sich um die Tiere seiner Herde       kümmert, (...) die sich verirrt haben, so kümmere ich mich um meine Schafe       und hole sie zurück von allen Orten, wohin sie sich am dunklen, düsteren       Tag zerstreut haben (Ez 34,11f).
 Gleichnis       vom verlorenen Sohn. Dem       Doppelgleichnis hat Lukas als Drittes das Gleichnis vom Vater und den zwei       Söhnen (15,11-32) hinzugefügt. Es stammt aus dem Sondergut des Lukas und       zählt zu den großen Beispielerzählungen, die dem Lukas-Evangelium sein       besonderes Gepräge geben. Kaum ein Evangelientext hat bei Dichtern und       Malern ein solches Echo gefunden, wie das Gleichnis vom verlorenen Sohn,       den der Vater mit offenen Armen aufnimmt und wieder in sein Erbe einsetzt.       Hier wird in einer besonderen Dichte das Wesen der Sünde, die notwendige       Umkehr und die Sünderliebe Gottes anschaulich.Was den Vater betrübt,       ist das Fortgehen seines Sohnes, dieses       Nicht-mehr-Sohn-sein-wollen, die Tatsache, dass er es dem Vater       unmöglich gemacht hat, seinem Sohn Liebe und Güte zu schenken.
 Im       biblischen Hebräisch heißt Sünde das Ziel, die Bestimmung verlieren; vom       Weg abkommen. Der jüngere Sohn ist vom Weg abgekommen. Doch zielt die       Erzählung nicht in erster Linie auf den Ungehorsam, den nur der ältere       Bruder nennt, um ihn seinem eigenen Gehorsam gegenüberzustellen. Er hat       seinen Vater beleidigt, indem er ihn seiner Anwesenheit als Sohn beraubt       hat. Die Wiedergutmachung der Beleidigung wäre also ohne Rückkehr und ohne       Bereitschaft, wieder ganz Sohn sein zu wollen, undenkbar. Doch da ereignet       sich die Bekehrung. Die Bibel verwendet dafür das vielsagende Bild vom       Zurückkehren: Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen       (V.20).
 Verständnis       für den Verlorenen. Und       als der Vater den verkommenen Sohn zurückkehren sieht, vergisst er       sozusagen, wer er selbst ist. Das Erbarmen treibt ihn dazu, ganz gegen die       jüdische Sitte dem unrein Gewordenen – er war bei den Schweinen! –       entgegenzulaufen, ihn zu umarmen und zu küssen. Die Liebe drängt ihn, den       reuig Umkehrenden als sein Kind anzunehmen, ganz ohne Vorleistungen und       auch nicht auf Bewährung! Das Anziehen von Kleid, Ring und Schuhen deutet       an, dass er ihm alle Rechte eines Sohnes zurückgibt.Das Festmahl ist       Ausdruck der Freude über die Heimkehr des Verlorenen, über die Errettung       dessen, der dem Tod verfallen war.
 Zum Abschluss des Gleichnisses       erzählt Jesus noch von dem älteren Sohn. Dieser ist über die Güte des       Vaters verärgert. Wie kleinlich denkt dieser, obwohl ihm doch alles       gehört! Auch den gerechten Sohn liebt der Vater – aber dieser muss       Stellung beziehen zum Verhalten des Vaters. Du müsstest mitfeiern und dich       freuen ... Damit will der Vater ausdrücken: Tust du das, dann bleibst du       in Gemeinschaft mit deinem Vater und deinem Bruder; tust du es nicht, dann       gibst du nicht nur die Gemeinschaft mit deinem Bruder, sondern auch die       Gemeinschaft mit dem Vater auf! Der Vater wirbt um das Verständnis seines       älteren Sohnes und lädt ihn zum Fest ein. Ob dieser sich besinnt oder dem       Fest fernbleibt, wird nicht mehr erzählt. Ebenso wirbt Jesus um das       Verständnis der Pharisäer und Schriftgelehrten, die an seiner einladenden       Offenheit und Güte zu allen Menschen Anstoß nehmen.
 Die       neue Denkart Gottes.       Die       Botschaft vom barmherzigen Gott ist für einen jeden von uns ungeheuer       wichtig. Sie ist eine Zusage, die uns bei all unserer Sündhaftigkeit leben       und bestehen lässt.Wir dürfen uns im verlorenen Sohn wiederfinden und       uns über die Barmherzigkeit des Vaters im Himmel freuen. Unsere Umkehr zum       Vater ist allerdings von kurzer Dauer, wenn wir uns verhalten wie der       unbarmherzige Bruder. Wer unbarmherzig ist, wird die Barmherzigkeit Gottes       wieder verlieren.
 Wer sich vergegenwärtigt, wie viel Liebe und Güte er       von Gott ein Leben lang erfahren hat, der wird dankbar sein und seine       Dankbarkeit zum Ausdruck bringen in konkreter, alltäglicher Liebe zu den       Mitmenschen.
 Jesu Anstößigkeit im Umgang mit jenen Menschen, die als       Sünder galten, wird in Lk 15 verteidigt mit dem Hinweis: Jesus tut das,       was der Vater tut, weil er denkt, wie der Vater denkt. In Jesus kommt die       Liebe Gottes den Menschen nahe, in Jesus offenbart sich diese neue Denkart       Gottes. Jesus handelt nicht nur im Auftrag Gottes, sondern an Gottes       Stelle!
 Empfehlung       für die Kirche. Auch       die Kirche muss die neue Denkart Gottes offenbar machen, sie muss       Gemeinschaft suchen mit den Sündern, den Gott und der Kirche Fernstehenden       – auch wenn es ihr den Widerspruch der Gerechten einträgt. Sie muss das       Wirken Gottes fortsetzen: Den Verlorenen nachgehen und sich freuen über       jeden, der zurückfindet.Lukas mag durch die besondere Betonung der       Sünderliebe Gottes auch manche Fragen der Gemeinde aufgegriffen haben: Wie       verhalten sich Christen in der Gemeinde gegenüber den Sündern, die um       Aufnahme bitten? Wie wird man in der Kirche mit der Schuld fertig, die       trotz göttlichen Verzeihens die Gemeinschaft sehr belasten       kann?
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