Ärgernis Abtrünnige

01. Januar 1900 | von

Nero oder Diokletian werden die Meisten auf die Frage antworten, wer die schlimmsten Christenverfolger unter den römischen Kaisern gewesen seien. Der launische Nero ist zwar durch monumentale Verfilmungen weiten Kreisen bekannt, zählt jedoch nicht zu den großen Christenverfolgern. Anders Diokletian, dessen Christenverfolgung der Jahre 303 bis 304 die letzte, aber auch schwerste der römischen Kaiserzeit ist. Kaiser Decius, der einige Jahrzehnte vor Diokletian (249 bis 251) regierte und mit seiner Religionspolitik eine der größten Krisen der alten Kirche auslöste, ist vielen unbekannt.
Seit dem Briefwechsel zwischen Kaiser Trajan und seinem Statthalter Plinius aus dem Jahr 112 kann die kaiserliche Politik gegenüber den Christen so zusammengefasst werden: Christsein war strafbar; doch die staatlichen Behörden suchten nicht nach Christen. Wurden sie angezeigt und überführt, sollten sie bestraft werden. Anonyme Anzeigen wurden nicht berücksichtigt. Viele Kaiser des 2. und 3. Jahrhunderts hielten sich an diese Linie. Phasen friedlicher Koexistenz wechselten mit zumeist regionalen Verfolgungswellen. Die erste Hälfte des dritten Jahrhunderts war für die christlichen Gemeinden überwiegend friedlich verlaufen.

Opfergebot und Verfolgung. Das änderte sich mit der Machtübernahme von Kaiser Decius im Jahr 249. Sein Ziel war eine Erneuerung des römischen Staates durch eine Restauration der alten römischen Staatsreligion. Zu diesem Zweck wurden alle Bürger aufgefordert, vor behördlichen Kommissionen den Staatsgöttern Opfer darzubringen. Diese Aufforderung zum Opfer entwickelte eine ungeheure Dynamik, weil gleichzeitig eine genaue Kontrolle über dessen Durchführung angeordnet wurde. Im gesamten Reich stellten die Behörden den Bürgern, die geopfert hatten, Bescheinigungen, libelli genannt, aus. Nach Ablauf einer Frist mussten die Bürger ihre libelli den Behörden vorlegen. Wer das Opfer verweigert hatte, wurde ins Gefängnis geworfen, oft noch gefoltert, manche getötet.
Die systematische Kontrolle dieser Opfer führte die Großkirche in ihre bisher schwerste Krise. Aus den Briefen der Bischöfe Dionysios von Alexandrien und Cyprian von Karthago wird klar ersichtlich, dass die Zahl der standhaften Christen, die das Opfer verweigerten, weit geringer war als die Zahl der Christen, die dem Opferbefehl in irgendeiner Weise nachkamen. Cyprian listete in seiner Schrift Über die Gefallenen (De lapsis) drei Gruppen auf. Die einen, libellatici genannt, verschafften sich von einem Mitglied der Kontrollkommissionen einen Opferschein. Andere Christen vollzogen das Weihrauchopfer (thurificati) oder das volle Opfer (sacrificati). Aus den Briefen Cyprians wissen wir, dass in Nordafrika und Spanien selbst Bischöfe zu den Abgefallenen zählten.
Die Verfolgung des Decius klang schneller ab, als die Kirche erwarten konnte. Der Behördenapparat zeigte sich von der Durchführung des Opferedikts und dessen Kontrolle überfordert. Kriegerische Auseinandersetzungen mit den Goten zwangen zudem Kaiser Decius zur Abreise aus Rom. Er fiel bei Kämpfen in den Donauprovinzen. Die erste systematische Verfolgung der Christen fand so ein Ende.

Abtrünnige provozieren Krise. Die äußere Krise der Kirche war überwunden, doch eine innere, vielleicht die schwerwiegendere Krise tat sich auf. Bischof Cyprian beschrieb sie mit folgenden Worten: Es ist nämlich, geliebteste Brüder, eine ganz neue Art von Unheil aufgetaucht und gleich, als ob der Sturm der Verfolgung noch zu wenig gewütet hätte, ist zu allem Überfluss unter dem Scheine der Barmherzigkeit ein trügerisches Übel und ein verführerisches Verderben noch hinzugekommen (De lapsis 15). Was hatte sich zugetragen? Die abgefallenen Christen ließen sich von den standhaften Mitgliedern der Gemeinde sogenannte Friedensbriefe ausstellen und drängten wieder in die christlichen Gemeinden. Die Frage des Umgangs mit den Abgefallenen führte zu Spaltungen in den christlichen Gemeinden. Die Gruppe um den Presbyter Fortunatus in Karthago nahm die Abgefallenen wieder in die Gemeinde auf, ohne große Buße zu fordern. Dagegen sammelte der römische Presbyter Novatian Gemeinden um sich, die seinen rigoristischen Standpunkt teilten: Christen, die in der Verfolgung abgefallen waren, können nicht wieder in die christliche Gemeinde aufgenommen werden.

Lax oder rigoros? Bischof Cyprian trat für ein Vorgehen ein, das zwischen den beiden Positionen des Laxismus (keine Bußforderung) und Rigorismus (keine Wiederaufnahme) lag. Eine von ihm einberufenen Synode der Bischöfe Nordafrikas im Jahr 251 einigte sich darauf, eine ernste Buße von allen Abgefallenen zu fordern. Man legte ebenfalls fest, dass libellatici und sacrificati gesondert behandelt werden sollten, da sich die Ersteren nur eine Bescheinigung erschlichen hatten, was als weniger schwer gewertet wurde als das Verhalten derer, die ein heidnisches Opfer vollzogen und dadurch den Glauben verleugnet hatten. Seine Linie, Wiederaufnahme nach geleisteter Buße, wurde auch von der römischen Gemeinde unter ihrem neugewählten Bischof Cornelius übernommen. Doch Novatian fand mit seinem rigoristischen Standpunkt viele Anhänger in Frankreich, Spanien und auch im Osten (Kleinasien, Syrien, Palästina).
So führte die Verfolgung durch Decius im Jahr 250 die Kirche in eine schwere Krise: viele Christen hatten angesichts der Prüfung versagt. In der Frage des Umgangs mit den Abgefallenen setzte sich in der Großkirche eine Vorgehensweise durch, die sich dem Evangelium Jesu verpflichtet wusste: die   Barmherzigkeit Gottes darf niemandem, der zur Buße bereit ist, verweigert werden.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016