Christlicher Einsatz für verletzte Schöpfung

01. Januar 1900 | von

 Rückblende in das Jahr 1855. Der amerikanische Präsident Franklin Pierce tritt mit dem Vorhaben an den Stamm der Duwarnisch-Indianer heran, deren Land zu kaufen. Der Häuptling Seattle antwortet ihm in einer Rede, die später sehr berühmt werden sollte, mit folgenden Worten: „Wenn wir unser Land verkaufen, so müsst ihr euch daran erinnern und eure Kinder lehren: Die Flüsse sind unsere Brüder – und eure – und ihr müsst von nun an den Flüssen eure Güte geben, so wie jedem anderen Bruder auch. ... Wir wissen, dass der weiße Mann unsere Art nicht versteht. Ein Teil des Landes ist ihm gleich jedem anderen; denn er ist ein Fremder, der in der Nacht kommt und von der Erde nimmt, was immer er braucht. Die Erde ist nicht sein Bruder, sondern Feind, und wenn er sie erobert hat, schreitet er weiter. Er lässt die Gräber seiner Väter zurück und kümmert sich nicht. Er stiehlt die Erde von seinen Kindern – und kümmert sich nicht. Seiner Väter Gräber und seiner Kinder Geburtsrecht sind vergessen. Er behandelt seine Mutter, die Erde, und seinen Bruder, den Himmel, wie Dinge zum Kaufen und Plündern, zum Verkaufen wie Schafe oder glänzende Perlen. Sein Hunger wird die Erde verschlingen und nichts zurücklassen als eine Wüste.“ Wenn man 150 Jahre später diese Zeilen liest, ist man betroffen und beeindruckt von der klaren Analyse und der Weitsicht dieses Indianerhäuptlings. 

Biblische Schöpfungssicht. Verbindungslinien zur biblischen Sicht der Schöpfung drängen sich geradezu auf. Die Verbundenheit von Erde und Mensch bringt der Schöpfungsbericht in Genesis 2 am deutlichsten zum Ausdruck: „Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem“ (Gen 2,7). Zutreffend kommentiert Dietrich Bonhoeffer diese Worte: „Der Mensch, den Gott nach seinem Ebenbilde, das heißt in Freiheit geschaffen hat, ist der Mensch, der aus der Erde genommen ist. Stärker konnten selbst Darwin und Feuerbach nicht reden, als hier geredet ist. Aus einem Stück Erde stammt der Mensch. Seine Verbundenheit mit der Erde gehört zu seinem Wesen.“ Diese Verbundenheit des Menschen mit der gesamten Schöpfung besingen die Psalmen, darüber reflektieren die Weisheitstexte des Alten Testaments. Doch die Freude und Dankbarkeit über Gottes gute Schöpfung verstellt den betenden Menschen nicht den Blick auf die Wirklichkeit. „Ich will dem Herrn singen, solange ich lebe, will meinem Gott spielen, solange ich da bin. Möge ihm mein Dichten gefallen. Ich will mich freuen am Herrn. Doch die Sünder sollen von der Erde verschwinden, und es sollen keine Frevler mehr da sein. Lobe den Herrn, meine Seele! Halleluja!“ (Psalm 104,33-35). Mit Sünder und Frevler bezeichnet der Psalmbeter Menschen, deren Beziehung zu Gott und zu ihren Mitmenschen und ihrer Umwelt gestört beziehungsweise abgerissen ist. Solche gestörten Beziehungen führen zu Gewalt unter den Menschen und gegenüber der Schöpfung. 

Kirchliches Engagement. Die christlichen Kirchen in Europa haben in der gemeinsam verabschiedeten „Charta Oecumenica“ im April 2001 erklärt: „Im Glauben an die Liebe Gottes, des Schöpfers, erkennen wir dankbar das Geschenk der Schöpfung, den Wert und die Schönheit der Natur. Aber wir sehen mit Schrecken, dass die Güter der Erde ohne Rücksicht auf ihren Eigenwert, ohne Beachtung ihrer Begrenztheit und ohne Rücksicht auf das Wohl zukünftiger Generationen ausgebeutet werden. Wir wollen uns gemeinsam für nachhaltige Lebensbedingungen für die gesamte Schöpfung einsetzen“(Leitlinie 9). Die „Charta Oecumenica“ ist nur die jüngste einer ganzen Reihe von Erklärungen, in denen sich die christlichen Kirchen verpflichten, sich für Ehrfurcht vor und die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen. Doch Worte allein helfen nicht. Sie müssen zum Handeln führen. 

Umweltschutz konkret. Wie Umweltarbeit in der katholischen Kirche an der Basis aussieht, erklärt der Umweltbeauftragte der Diözese Würzburg, Edmund Gumpert anhand konkreter Projekte und Aktionen. Ein großes Arbeitsfeld ist für ihn wie für die acht nebenberuflichen Umweltberater und zahlreichen  ehrenamtlichen Mitarbeiter der Diözese die Frage des Energieverbrauchs. Telefonische Hilferufe wie „Bei unserer Kirchenheizung laufen uns die Kosten davon. Da muss dringend etwas geschehen. Und wenn schon, dann wollen wir auch etwas für die Umwelt tun“ waren mehrmals der Beginn umweltbewusster Sanierungen. In Knetzgau (Landkreis Hassberge) wurden auf dem Dach des Pfarrsaals Sonnenkollektoren errichtet, die nicht nur für Warmwasser sorgen, sondern auch den Wärmeenergiebedarf der Pfarrkirche decken, in der eine Wandtemperierung eingebaut wurde. Die Pfarrheime in Langendorf und Gauaschach (beide Landkreis Bad Kissingen) werden mit Holzpellets beziehungsweise  Holzhackschnitzeln beheizt, die aus Abfallstoffen der heimischen Holzwirtschaft hergestellt werden. In Schweinfurt-Oberndorf wurde in der Pfarrei St. Josef im Herbst 2002 ein Blockheizkraftwerk in Betrieb genommen, das Pfarrhaus, Kindergarten, Sozialstation und Pfarrzentrum mit Wärme und Energie versorgt. Diese Form der Energiegewinnung setzt 47 Prozent weniger Kohlendioxid frei als die getrennte Erzeugung von Wärme und Strom aus Gas. Auf Pfarrei- und Klosterdächern der Diözese Würzburg arbeiten inzwischen zwanzig Photovoltaikanlagen, die aus der Energie des Sonnenlichts elektrischen Strom herstellen. Derartige Projekte im Dienst des dringend gebotenen Klimaschutzes belegen, so Gumpert, dass die Kirche ihre Verantwortung für Gottes Schöpfung bejaht und ernst nimmt. 

Luxusgut für Reiche? Ein häufig vorgebrachtes Argument lautet: Umweltschutz können sich nur wohlhabende Länder leisten. Doch die gemachten Erfahrungen können diesen Vorwurf entkräften. Zwar sind die umweltschonenden Technologien (vor allem im Energiebereich) in der Anschaffung teurer, doch damit ausgestattete Anlagen beginnen sich bald zu rechnen, weil die Folgekosten für die Anschaffung der Brennmaterialien geringer sind beziehungsweise bei Nutzung der Sonnenenergie sogar ganz entfallen.
Selbst ohne größere Investitionen lassen sich durch umweltbewusstes Verhalten bis zu einem Viertel der Energiekosten einsparen. Eine Fortbildung mit Hausmeistern aus Alten- und Pflegeheimen und Bildungshäusern im Schönstattheim in Würzburg wollte auf diese ungenützten Einsparmöglichkeiten aufmerksam machen. Sie konnten konkret erleben: Umweltschutz rechnet sich.

 „Schwester Wasser“ besingt Franziskus in seinem Sonnengesang als „nützlich und demütig und kostbar und keusch“. In unseren Breiten steht uns Wasser wie selbstverständlich zur Verfügung. Vielleicht spüren wir an den steigenden Kosten für Wasser und Abwasserreinigung, wie kostbar dieses Gut ist. Die UNO hat 2003 zum „Internationalen Jahr des Wassers“ erklärt, um darauf aufmerksam zu machen, dass es bereits heute einer Milliarde Menschen an sauberem Wasser mangelt. Angesichts der wachsenden Bevölkerungszahlen auf der südlichen Erdhälfte befürchten Experten, dass 2025 sogar zwei Drittel der Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser haben werden.
Jeder Einzelne ist gefragt, den Verbrauch und die Belastung des Wassers zu verringern. Wussten Sie, dass ein tropfender Wasserhahn aufs Jahr umgerechnet 20.000 Liter verschwendet? Durch Nutzung des Regenwasser für Garten und Haushalt (Toilettenspülung) können selbst Einzelhaushalte ihren Wasserverbrauch deutlich verringern.
Für Christen ist das Wasser ein zutiefst sakramentales Zeichen. Im Wasser der Taufe werden wir hinein genommen in die Gemeinschaft mit Christus und seiner Kirche. Das Osterwasser erinnert uns an den auferstandenen Christus, der „lebendiges Wasser“ (Joh 4,10; 7,38) schenkt. Bei allen Segnungen ist Wasser ein wesentliches Zeichen. Bei Beerdigungen sprengen die Trauernden Weihwasser auf Sarg und Grab und geben damit ihrem Glauben und ihrer Hoffnung auf Auferstehung und ewiges Leben sichtbar Ausdruck. 

„Mutter Erde“ begegnet uns mit vielen Gesichtern. Wir freuen uns an ihren strahlenden Seiten, an mit Blumen übersäten Wiesen im Frühjahr und Sommer, an den reifen Früchten im Herbst; wir genießen die frische Luft beim Spazierengehen durch Wald und Flur. Doch wir kennen auch das „geschundene Antlitz“ der Erde: Asphalt und Beton bedecken sie mehr und mehr, riesige Löcher erinnern an die Ausbeutung von Bodenschätzen, Schmutz jeder Art entstellt ihr Antlitz. Auch die schleichenden Schädigungen der industrialisierten Landwirtschaft werden uns zunehmend bewusster, die Bodenerosion nimmt zu und das Grundwasser wird durch die verwendeten chemisch-synthetischen Mittel gefährdet. Wir brauchen eine Umkehr vom Raubbau zur behutsamen Pflege. Deshalb fordern die evangelische und katholische Kirche in ihrem gemeinsamen Sozialwort „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ (1997, Ziffer 229): „Zu einer dauerhaften Verbesserung und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen und zur Erhaltung einer umwelt- und naturgerechten Landschaft in ihrer Vielfalt gehört die stärkere ökologische Ausrichtung der Landwirtschaft. ... Die bäuerlich geprägte, neuerdings auch biologische Landwirtschaft gilt es durch tragfähige und sachgerechte politische Rahmenbedingungen zu erhalten“. Gerade hier ist auch der bewusste Konsument gefragt, der durch seine Kaufentscheidung den umweltschonenden, ökologischen Landbau unterstützt. 

„Herr, du liebst Mensch und Tier“ lautet der Titel einer Broschüre, die von Umweltbeauftragten der bayerischen Diözesen herausgegeben wurde. Sie berichten darin von erfolgreichen Initiativen in Verkündigung und Erziehung, in Gottesdienst und Brauchtum, im konkreten Tier- und Artenschutz aus den sieben bayerischen Bistümern. Konkrete Beispiele zeigen Möglichkeiten auf, wie im Leben einer Pfarrgemeinde die Verantwortung für die Tiere als Mitgeschöpfe bewusst gemacht und verwirklicht werden kann. So können Kirchtürme und Dachstühle bedrohten Vogelarten Schutz- und Lebensraum bieten. Der Brauch der Tiersegnung, den das Würzburger Franziskanerkloster seit einigen Jahren am Fest des heiligen Franziskus (4. Oktober) neu belebt hat, will das Gespür für die Tiere als Mitgeschöpfe fördern. „Um unser aller Heil willen müssen wir wieder lernen, allem Lebendigen mit der jedem Lebewesen gebührenden Ehrfurcht zu begegnen. Es ist an der Zeit, unser Konsumverhalten, die Landwirtschaft und die Agrarpolitik tatsächlich an ökologischen Kriterien auszurichten und Tiere als Geschöpfe und nicht als ‚lebendige Ware‘ zu behandeln.“ Diese Forderung von Bischof Gebhard Fürst und dem Diözesanrat von Rottenburg-Stuttgart sollte bei allen Christen auf offene Ohren und Herzen stoßen und zu einer persönlichen Umkehr führen. 

Den Sabbat ehren. Der Sabbat ist das große Geschenk Gottes an die aus der Sklaverei befreiten Israeliten. Der Sabbat beziehungsweise Sonntag ist in unserer Gesellschaft durch Arbeitsverpflichtungen und Konsumzwänge vielfach gefährdet. Dieser von Gott geschenkte Tag des Innehaltens und der Ruhe, der Besinnung und des Gotteslobs würde gerade dem modernen Menschen eine große Chance bieten. Die schöpferische Ruhe dieses Tages könnte dem Menschen helfen, zu sich selbst zu finden und die geschwisterliche Verbundenheit der ganzen Schöpfung neu zu entdecken. Er könnte Kraft für einen schöpfungsgerechten Lebensstil finden und einstimmen in das Lob des Psalmisten: „Herr, wie zahlreich sind deine Werke! Mit Weisheit hast du sie alle gemacht.“ (Ps 104,24) 

Weitere Informationen zu konkreten Aktionen bei: E. Gumpert, Umweltbeauftragter der Diözese Würzburg, Kürschnerhof 2, 97070 Würzburg; e-Mail: umweltbeauftragter@bistum-wuerzburg.de

 

Bausteine zukunftsfähiger Lebensstile

Ein zukunftsfähiger Lebensstil kann für die beziehungsweise den Einzelnen ganz verschieden aussehen. Dennoch seien zur Veranschaulichung einige Beispiele genannt:

– Verzicht oder Verringerung touristischer Fernreisen und weiter Wochenendfahrten

– Bildung von Fahrgemeinschaften für den Weg zur Arbeit

– weniger und dauerhafteres Spielzeug für Kinder

– Bevorzugung von langlebigen Qualitätsprodukten

– mehrfache Nutzung und Wiederverwertung von Produkten

– Mülltrennung

– bewusster Einkauf von Lebensmitteln aus der eigenen Region

– weniger Fleischkonsum und Begrenzung auf Fleisch aus artgerechter Tierhaltung

– Bevorzugung umweltschonend produzierter und verpackter Lebensmittel

– Kauf von Produkten aus fairem Handel

– Unterstützung von Projekten für mehr Gerechtigkeit gegenüber den Entwicklungsländern

– sparsamer Umgang mit Wasser und Energie

– Bevorzugung von Haushaltsgeräten mit guter Umwelttechnik

– bewusstes Freihalten von Zeiten der Muße, der Meditation und des Gebetes

(aus: M. Vogt, Der Zukunft Heimat geben ..., S.27)

 

 

 

 

 

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016