Ein Appell gegen die Gewalt

21. März 2022 | von

Die italienische Ausgabe des Sendboten versucht, Antonius in unsere Zeit hinein zu aktualisieren. Den folgenden Beitrag mit seinem ganz eigenen Stil haben wir übernommen und wollen damit zum Nachdenken anregen: Was hat Liebe zu sich selbst mit dem Wunder des heiligen Antonius zu tun, der einem jungen Mann den Fuß geheilt hat, den er sich, nachdem er seine Mutter getreten hatte, abgeschlagen hatte?

In meiner Klasse ist es nicht leicht, über bestimmte Themen zu sprechen. Heute hat zum Beispiel die Religionslehrerin vorgeschlagen, über Gewaltverzicht zu diskutieren. Ich habe nicht sofort verstanden, worauf sie hinauswollte, denn sie begann damit, uns von einem Wunder des heiligen Antonius aus Padua zu erzählen. Mehr oder weniger ging es dabei darum: Einmal ging ein Typ zum heiligen Antonius, um ihm zu sagen, dass er seine Mutter so feste getreten habe, dass sie sogar hingefallen sei. Der heilige Antonius fand das natürlich fürchterlich und sagte ihm, dass der Fuß, der so etwas der Mutter oder dem Vater antut, eigentlich abgeschlagen gehört. Also, der Typ hat das tatsächlich geglaubt, und ich bin mir sicher, dass er richtig verzweifelt war, denn er hat sich dann zuhause wohl wirklich den Fuß abgeschlagen. Aber der heilige Antonius hatte es nicht wortwörtlich gemeint, und sobald er davon erfahren hatte, ist er sofort zu dem Jungen nach Hause gegangen und hat den Fuß wieder angesetzt. Danach, so hat es uns die Religionslehrerin erzählt, war der junge Mann überglücklich und hat Gott und Antonius gedankt.

Aktualisierung ins Heute

Ich habe gedacht: Was ist das denn für eine Geschichte? Die Lehrerin hat uns aber nicht viel Zeit gegeben, um Fragen zu stellen, und hat sofort mit einem seltsamen Blick gesagt: „Erinnert ihr euch an den Mord an Willy Monteiro Duarte in Colleferro (der farbige Willy, 21 Jahre alt, wurde im September 2020 von den zwei gleichaltrigen Bianchi-Brüdern kaltblütig ermordet, als er bei einem Streit einem Freund helfen wollte)? Ihr habt ja sicher auch gehört, dass seine Mörder nun vor Gericht erschienen sind für den Prozess. Was denkt ihr über diesen Mord?“

Die ganze Klasse döste, wie so oft, vor sich hin. In der Stunde davor hatten wir eine Matheklausur und in der danach war es wahrscheinlich, dass der Kunstlehrer wahllos abfragen würde. Für kurze Zeit herrschte totale Stille. Zum Glück hat sich Sara schließlich gemeldet, die hat ja immer etwas zu sagen: „Klar erinnere ich mich an die Sache mit Willy und ich war auch wirklich erschüttert, als ich darüber in den Socials las und in den Nachrichten davon gesprochen wurde. Ich kann diese dummen, muskelprotzigen Brüder ohne Hirn und voller Tattoos nicht ausstehen, die ohne Rücksicht auf einen Schwächeren wie Willy eingeprügelt haben.“ „Sorry, aber was haben Muskeln und Tattoos damit zu tun? Das waren zwei gewalttätige Killer, aber jetzt sieht es so aus, als läge es daran, weil sie ständig ins Fitnessstudio rennen und sich tätowieren lassen, aber es sind einfach nur feige Mörder.“ Das kam von Luca aus der letzten Reihe. Auch er hat jeden Monat ein neues Tattoo und scheint für das Fitnessstudio zu leben. Ich glaube, Sara hat ihn an einem wunden Punkt getroffen. Auch Giulia hatte etwas dazu zu sagen: „Ich habe auch Nachrichten gehört und habe echt gut aufgepasst: Es wurde oft gesagt, dass sich die beiden Brüder nicht als Monster bezeichnet sehen wollen, wie so viele es getan haben. Aber entschuldigen Sie, vielleicht bin ich es jetzt, die hier irgendetwas nicht kapiert, aber was haben der Tod von Willy und die beiden Brüder mit dem Wunder des heiligen Antonius zu tun, von dem Sie uns vorhin erzählt haben?“

Gewalt an allen Enden?

Daraufhin frotzelt Lorenzo, der immer ein wenig mit Giulia im Clinch liegt: „Siehst du, du kapierst ja nie etwas!“ Er kann sie nicht leiden und fährt fort: „Auf jeden Fall sind diese zwei für mich schon so etwas wie Monster, sie scheinen ja fast aufs Töten programmiert zu sein, auch durch den Sport, Mixed Martial Arts (ein brutaler Kampfsport, bei dem fast alles erlaubt ist), den sie schon machen, seit sie klein sind. Und auch der Typ, der sich den Fuß abgeschnitten hat, also ich weiß nicht, erst tritt er seine Mutter und dann hackt er sich den Fuß ab – so jemand hat doch keinen Verstand, so jemand ist gewalttätig allen gegenüber, ein wenig wie diese beiden Brüder!“

Daraufhin entgegnet Giulia, die immer das letzte Wort haben möchte: „Auch du scheinst ja gut informiert zu sein über diese Brüder, aber ich habe das Gefühl, dass wir uns hier von Willy entfernen, der ja schließlich das Opfer ist, und ich glaube echt, dass der es draufhatte. Wenn ich mich richtig erinnere, ist er in eine Schlägerei eingeschritten, um einem Freund zu helfen, der verprügelt wurde, und dann haben sie ihn selbst ewig lange massakriert, diese Schweine!“

Glück oder Leere?

Mittlerweile haben sich die Gemüter erhitzt und keiner döste mehr vor sich hin oder lernte heimlich für die Abfrage. Nur die Lehrerin war weiterhin ruhig und ging durch die Klasse. Dann aber hat Siria etwas sehr Merkwürdiges gesagt: „Aber glaubt ihr denn, dass diese beiden Brüder, Muskelprotze, Kampfsport-Experten, von allen gefürchtet und respektiert, glücklich waren, bevor das passiert ist?“ Und dann hat sie noch hinzugefügt: „Und der Mann, der sich den Fuß abgeschlagen hat, war der wohl ein glücklicher Mensch?“

Auf einmal herrschte betroffene Stille in der Klasse, wir haben uns angeschaut, bevor jemand darauf antwortete, manche haben schief gegrinst, andere haben nur erstaunt geschaut. Bis Riki dann etwas zu sagen hatte. Riki ist ein cooler Typ, der alles immer aus einer anderen Perspektive betrachtet: „Also ich glaube, jemand, der sich pausenlos Muskeln antrainiert und einen Extremsport macht, um von anderen anerkannt zu werden und immer allen überlegen ist, und sich jeden Samstagabend prügeln muss, dem kann es ja nicht wirklich gut gehen, deshalb glaube ich echt nicht, dass diese beiden glücklich waren. Auch der Typ vom heiligen Antonius – also was soll das denn, seine Mutter so dolle zu treten… Und sobald er dann Antonius reden hört, haut er sich sofort den Fuß ab. Für mich war das einer, der sich schon vorher weh getan hat, ganz richtig im Kopf war der sicher nicht, der hatte bestimmt eine riesige Leere in sich. Ich glaube aber, dass Willy glücklich war, er machte sein Ding, hatte seine Freunde, seinen Job, ihm ging es gut in seiner Familie und er hatte schöne Projekte für die Zukunft!“

Selbst- und Nächstenliebe

Und da schaltet sich auch wieder Giulia ein: „Also willst du damit sagen, dass die zwei auch schon vorher gegenüber sich selbst gewalttätig waren, dass all das Chemiezeug, das sie sich wegen der Muskeln eingeworfen haben, das ständige Training nicht unbedingt ein Zeichen dafür sind, dass sie sich selbst geliebt haben? Und Sie, Frau Lehrerin, haben Sie uns nicht immer gesagt, dass im Evangelium steht, dass man den anderen so lieben soll wie sich selbst? Denn die hier, die haben den anderen gehasst wie sie sich selbst gehasst haben!“

Und da endlich schaltet sich die Lehrerin ein: „Das heißt also, dass diejenigen, die zu Monstern werden, wie die beiden Brüder nicht genannt werden wollen, vorher erst ihre eigenen Ängste verdrängen mussten und sozusagen Gas gegeben haben, um sich, in diesem Fall, einen gestählten Körper zu schaffen, der zu einer tödlichen Waffe geworden ist? Und, wie Giulia ja schon gesagt hat, Gott möchte ja auch, dass wir voller Liebe uns selbst gegenüber sein sollen, aber voll echter Liebe, die wirklich glücklich macht… Und dann käme es wohl nicht dazu, anderen gegenüber gewalttätig zu sein.“

Worum geht es eigentlich?

„Ja, das glaube ich auch“, sagt die extrem magere Stella mit leiser Stimme. „Auch ich halte immer Diät, bin mir aber nicht sicher, ob das Liebe zu meinem Körper ist, der für mich ein großes Problem ist. Und oft bin ich so wütend, dass ich zuhause mit allen streite, mit Sachen schmeiße. Und meine Schwester, die sich kein bisschen anstrengen muss, um gut auszusehen, ertrage ich eh nicht. Was wohl Gott über mich denkt, wenn er sieht, dass ich jeden Tag nur zwei Äpfel esse, um gut auszusehen, und dann immer so zornig allen gegenüber bin, weil ich so genervt bin?“

Was da heute alles in der Klasse auf den Tisch gekommen ist… Leider hat es dann geklingelt. Aber eines will ich doch verstehen, und zwar warum ich, wenn ich meinen Körper nicht mag und akzeptiere, gewalttätig werden könnte… Ich glaube, dass dieses Mal die Lehrerin am Thema vorbeigeredet hat, denn schließlich ging es doch eigentlich um die Ablehnung von Gewalt in jeglicher Form… oder nicht?

Zuletzt aktualisiert: 21. März 2022
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