Ein Kind, das verfault

31. Mai 2006 | von

Vor 30 Jahren gründete Padre Giorgio Abram aus der Ordensprovinz Padua die Missionsstation in Ghana. Über die Landesgrenzen hinaus wurde er bekannt für seinen erfolgreichen Kampf gegen die Lepra. Doch nun hat er einen neuen Gegner entdeckt und will ihn niederzwingen: das Buruli-Ulkus, unter dem vor allem Kinder leiden. Der heilige Antonius wird helfen – über seine Wohltäterinnen und Verehrer.

Geboren wurde Padre Abram 1944 bei Trient. Der Name seiner Mutter, Ida Erlicher, klingt für deutsche Ohren nicht gerade fremd. Scheu und zurückhaltend in seinem Auftreten, doch reich an Erfahrungen, ist Padre Abram etwas Unglaubliches gelungen: der Sieg über die Lepra in Ghana. Gekämpft hat er nicht nur mit den Waffen der Medizin Es gelang ihm, Vorurteile auszuräumen und die Ghettos aufzulösen, in die man die Kranken aus Angst vor Ansteckung weggesperrt hatte. Diesen Mentalitätswandel schaffte er mit Geduld und Festigkeit, bei allem Respekt vor der einheimischen Kultur. Für seine Arbeit wurde er mit dem angesehenen Raoul-Follereau-Preis ausgezeichnet.

Was tut ihr für das Kind? Jetzt entdeckte Padre Abram einen zweiten Gegner, und das hat mit unserem Projekt zu tun, dem Geschenk an den heiligen Antonius zu seinem Festtag am 13. Juni.

„Zu mir kam ein Universitätsprofessor aus Genua“, erzählt Padre Abram, „ich soll ihm einen Patienten mit dem Buruli-Geschwür zeigen. Da musste ich mich erst beim Gesundheitsministerium informieren, wo solche Kranke überhaupt zu finden sind. Man verwies mich nach Amasaman, im ländlichen Distrikt Ga, im äußersten Süden von Ghana.“ Wie versteinert blickte Padre Abram dann auf das kranke Kind vor einer Hütte: Ein blutendes Geschwür auf dem rechten Wangenbein; ein Tuchfetzen über dem Bauch; der linke Arm vollständig verbunden. Mit der rechten Hand verscheuchte das Kind mit resignierter Miene die lästigen dicken Fliegen. „Ich schob das Tuch über seinem Schoß ein wenig beiseite: Beine und Füße waren von den Wunden völlig entstellt.“
Fassungslos fragte Padre Abram die Eltern: „Was tut ihr für euer Kind?“ Im ersten Augenblick wollte er die Antwort nicht fassen, sie war für ihn inakzeptabel: „Am Abend tragen wir den Kleinen ins Haus zurück, am Morgen setzen wir ihn wieder nach draußen.“ Dies erklärt sich aus der Kultur und Mentalität jener Menschen. Für sie bedeutet eine unheilbare Krankheit, besonders wenn sie einen Unschuldigen trifft, eine Bestrafung, die direkt von Gott kommt. Durch die Krankheit soll die Schuld, die sich in der Familie angesammelt hat, gebüßt und gesühnt werden. Das Schicksal der Krankheit wird als Opfer verstanden und angenommen, in der Hoffnung, einmal in das Reich der Vorfahren eintreten zu dürfen.

Eine Herausforderung. Für Padre Abram war es in diesem Moment, als drehe sich die Zeit um genau dreißig Jahre zurück. Wieder eine furchtbare Krankheit, die als Schicksal verstanden und hingenommen wird. Ein weiterer Fluch für die arme Bevölkerung des Landes. Wer weiß, wie viele kranke Kinder mit solchen Geschwüren hier in diesen Walddörfern vor sich hin darben.
Zurück auf seiner Missionsstation, konnte Padre Abram in jener Nacht kein Auge schließen: „Ich liege hier in meinem Bett. Und dieses Kind wird hinein und hinaus getragen, während es langsam verfault.“ Von Stunde zu Stunde fand er das unerträglicher. Schwer zu sagen, was letztlich den Ausschlag gab: der Europäer, der noch in ihm steckt, oder der Missionar, der Bruder des heiligen Franziskus, der ja seine Lebensaufgabe gefunden hatte in der Heilung von körperlichen und seelischen Wunden. Jedenfalls stand Padre Abram am nächsten Tag wieder dort vor der Hütte und bat die widerstrebenden Eltern, ihm ihr Kind zu überlassen. „Das war ein enormes Risiko. Wäre das Kind gestorben, hätte ich der Bevölkerung nie deutlich machen können, dass es sich nur um eine Krankheit handelt, und nicht um eine Strafe Gottes.“ Doch das Kind wurde gesund, blieb allerdings geschädigt aufgrund des fortgeschrittenen Stadiums der Krankheit. Mit ihm begann ein neues Kapitel der Mission von Padre Abram.

Das Buruli-Geschwür. Es handelt sich um eine ulzerierende Hauterkrankung, benannt nach einer Stadt in Uganda, wo sie zum ersten Mal diagnostiziert wurde. Hervorgerufen wird das Buruli-Ulkus durch Stäbchenbakterien, ähnlich jenen, die Tuberkulose und Lepra verursachen. Sie kommen meist in stehenden Gewässern tropischer Länder vor, am häufigsten in Ost- und Zentralafrika; die Übertragung erfolgt möglicherweise durch Mücken.
Die Krankheit befällt vor allem Kinder, beginnt mit einem nicht schmerzenden Knötchen, das fortschreitend wuchert, schließlich die Nervenbahnen zerstört und die Lymphgefäße verschließt. Im fortgeschrittenen Stadium werden Gewebe und Knochen nekrotisch und sterben ab; die Gelenke versteifen sich, die Gliedmaßen fallen spontan ab. Im Gesicht werden die Augen zerstört.
Eine Diagnose ist schwer zu treffen. Für arme Leute ist eine Heilung nahezu unmöglich, da sie sich einen chirurgischen Eingriff nicht leisten können (frühzeitiges Ausschneiden bis in gesunde Bereiche hinein, sowie Hauttransplantation). Zudem müssen die Wunden geduldig und kontinuierlich saubergehalten und desinfiziert werden. Die Krankheit gedeiht im Sumpf und Morast armer Gegenden, verstärkt durch den Mangel an angemessenen sanitären Anlagen.
„In Amasaman richteten wir einen Operationsraum für eine Abteilung von zwanzig Betten ein. Die Nachricht von der Heilung des Jungen machte die Runde durch die Dorfsiedlungen. Die Bevölkerung, die zuvor bei dieser Erkrankung nie den offiziellen Gesundheitsdienst in Anspruch genommen hatte, brachte nun die Kinder in das kleine Hospital. Bald kamen auch Erwachsene mit ganz alten Wunden. Im ersten Jahr konnten wir 2200 Fälle heilen. Heute sind es nur noch 700.“ Der deutliche Rückgang der Erkrankungen war ein schöner Erfolg. Das Buruli-Ulkus ist ja heilbar.

Zauberer gewinnen. Da die Erkrankung und ihr Verlauf von Umwelt- und kulturellen Bedingungen abhängt, musste der Kampf an mehreren Fronten gleichzeitig aufgenommen werden. Einerseits ging es um die Trockenlegung der Sumpfgebiete und um den Bau von Brunnen für Trinkwasser. Doch am wichtigsten war es, die Zauberer einzubeziehen. Sie werden bei Erkrankungen aufgesucht und als Vermittler bei der Anrufung der Gottheiten. Die Zauberer mussten unbedingt gewonnen werden für den umfassenden gemeinsamen Kampf gegen das hartnäckige Buruli-Geschwür.
„Mir wurde klar, dass Amasaman ein Gesundheitsmodell sein konnte auch für andere befallene Regionen. Es galt, ein Netzwerk der Vorsorge und der Behandlung dieser Krankheit zu schaffen.“ Dies ist die Vorgeschichte für unser Projekt 2006. Die erste Nachahmung des Modells von Amasaman soll in Dunkwa realisiert werden, ebenfalls im Süden von Ghana. Früher einmal war Dunkwa ein blühendes Bergbaustädtchen mitten im Waldgebiet am Äquator. Heute ist es eine heruntergekommene arme Stadt mit verlassenen Schutthalden und vielen Wassertümpeln. Infolge der Armut liegt die Infrastruktur darnieder. Das große Krankenhaus ist in einem katastrophalen Zustand; es gibt nicht einmal mehr einen Operationssaal. „Im ersten Augenblick machte mir die Idee richtig Angst. Alles schien mir eine Nummer zu groß. Doch die Fälle von Buruli-Geschwür sind hier äußerst häufig. Und schließlich habe ich mich in die Sache hineingestürzt.“

Das Projekt. Nötig sind mindestens zwei Operationssäle und eine Bettenabteilung für 40 Kranke. „Ich arbeite in engem Kontakt mit der Regierung von Ghana. Das ist nicht leicht, es hat Vorteile und Nachteile. So kann ich mir beispielsweise das Personal nicht selbst auswählen. Aber das Krankenhaus wird einmal weitergeführt, auch wenn keine Missionare mehr unterstützend eingreifen. Alles ist äußerst kompliziert. Die kulturellen Unterschiede haben großes Gewicht. Doch letztlich, davon bin ich überzeugt, handelt es sich um eine Aufgabe, die auch nach mir bleiben wird. Denn sie übersteigt meine Kräfte; und es ist ihre Angelegenheit, es ist ihr Haus.“
Padre Abram rechnet damit, dass die Dringlichkeit der Behandlung von Buruli-Geschwüren nur zehn bis zwölf Jahre andauern wird. „Danach wird dieses kleine Krankenhaus, mit Hilfe der Caritas Antoniana funktionsfähig hergerichtet, zu einer Abteilung für Kinderkrankheiten und zum Operationssaal des Krankenhauses von Dunkwa. Es wird Teil des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Ghana sein, ein Sonnenstrahl der Solidarität. Letztlich bedeutet es Leben und Normalität für alle.“ Die Kosten dieses Projektes liegen bei 150.000 Euro.


Geschenk zum Antonius-Festtag

Drei besonders arme Länder in Afrika wählte der Direktor der Caritas Antoniana aus, P. Valentino Maragno, für die Aktion 2006 „Geschenk zum Fest des heiligen Antonius“: Neben der Bekämpfung der Buruli-Krankheit in Ghana sind es Projekte in Äthiopien und Angola. In allen drei Ländern herrschen katastrophale hygienische Zustände.

Von seinen Möglichkeiten her ist Afrika keineswegs ein armer Kontinent. So zielen die drei Projekte darauf ab, die vorhandenen Kräfte und Ressourcen kreativ zu fördern und zu entwickeln. Das neue Konzept der Hilfe liegt in einer Kultur der Vernetzung: Alle Beteiligten – die Helfer, die Berater, die Betroffenen – bringen ihre je eigenen Erfahrungen und Kenntnisse, ihr Wissen und ihre Verbindungen ein. Wer immer etwas beitragen kann - Einzelpersonen, Organisationen, bereits bestehende Strukturen, Wissen und Erfahrung vor Ort oder aus dem Ausland - alle schließen sich zusammen bei diesem Kampf gegen die Ursachen von Armut. Intelligente Zusammenarbeit, Bündelung der Kräfte, befruchtendes Miteinander unterschiedlicher Kulturen – diese Stichworte beleuchten ein wenig unser Vorhaben. Alle ziehen an einem Strang. Die Geberseite legt ihren paternalistischen Stil ab, die Empfängerseite macht sich nicht völlig abhängig von ausländischer Hilfe.
Ein Netzwerk des Fortschritts, ein Netzwerk für das Leben, so versteht die Caritas Antoniana ihre Hilfe anlässlich des Festes unseres Heiligen Sant’Antonio. Zudem feiert die Caritas Antoniana in diesem Jahr ihren dreißigsten Geburtstag. Sie will noch effektiver den Armen dabei behilflich sein, bald auf eigenen Füßen zu stehen und selbst zurechtzukommen.

Angola. In Zusammenarbeit mit der kirchlichen Vereinigung „Ärzte für Afrika“ sollen zwei kommunale Krankenhäuser wieder funktionstüchtig gemacht werden. Sie versorgen eine Region mit 700.000 Einwohnern, in der die Sterblichkeit bei Müttern und Kindern besonders hoch ist. Zudem wird ein Netz von Gesundheitsdiensten aufgebaut, zur Vorbeugung und Überwachung von Epidemien: Tuberkulose, Malaria, Aids und Dengue-Fieber. Geschätzte Kosten: 227.240 Euro, verteilt auf drei Jahre.

Äthiopien. Für sechs Dörfer mit 15.000 Einwohnern in einer isolierten Gegend im Landesinnern soll die Ernährungslage sichergestellt werden. Ein System von Brunnen wurde bereits angelegt. Es geht um folgende Einzelprojekte: Errichtung einer Grundschule und einer Notfallstation; berufliche, ernährungskundliche und medizinische Anleitung der Frauen; Lehrplantage für Obstbäume, Gemüse und Aufforstung; Getreidemühle; Traktor; Rinderzucht speziell für diese Region. Kostenschätzung: 150.000 Euro.

Banda Aceh. Unseren Lesern bekannt ist Minoritenpater Ferdinando Severi, Missionar in Banda Aceh auf der Insel Sumatra in Indonesien. Eineinhalb Jahre nach der Tsunami-Flutkatastrophe leitet er ein Hilfsprojekt für Zweifamilien-Häuser zu je 7.000 Euro. Die Katholiken seiner Pfarrei, die in die Nachbarprovinz Sumatra Utara geflohen sind, sollen wieder zurückkommen, um unter der überwiegend muslimischen Bevölkerung ihr christliches Lebenszeugnis zu geben.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016