Ein Virus wird global!

01. Juni 2020 | von

Bis vor wenigen Monaten kannte man „Corona“ allenfalls als Bier-Marke. Frommeren Seelen war vielleicht die heilige Corona vertraut, eine frühchristliche Märtyrerin. Und wenn man Corona überhaupt mit einem Virus in Verbindung brachte, dann allenfalls im Zusammenhang mit der chinesischen Region Wuhan. Relativ plötzlich war das Virus schließlich aber vor der eigenen Haustüre. Fast alle Nationen auf der ganzen Welt sind betroffen, viele Staaten haben strenge Vorsichtsmaßnahmen ergriffen. Langsam, aber sicher wird deutlich: Unsere gewohnte Normalität ist fürs Erste verschwunden. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass wir uns noch viele Monate mit dem Virus und entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen zu arrangieren haben. Wirkliche Entspannung wird es wohl erst geben können, wenn ein Impfstoff gefunden und dann für die Bevölkerung auch verfügbar ist. Das kann dauern. Unser „Thema des Monats“ will Sie mitnehmen auf eine kleine Weltreise. Wir blicken in die Türkei, nach Uganda, nach Peru und abschließend auch nach Deutschland. Unsere Brüder, die in diesen Ländern leben und arbeiten, berichten aus erster Hand, wie es ihnen in dieser Situation ergeht. 

 

Istanbul, Türkei

Es ist wohl eine Mischung aus Neid und Bewunderung, mit der im Orden von unserer Präsenz in Istanbul gesprochen wird. Es ist nicht so, dass die Brüder Schlange stehen würden, die in der Türkei wirken wollten, aber: Was dort an unserer Kirche geschieht, fasziniert. Vor allem Antonius-Verehrer/innen dürften begeistert sein. Denn an den Dienstagen herrscht hier reges Treiben: Menschen stehen Schlange, um mit einem Priester zu sprechen, unzählige Kerzen werden vor der Statue des heiligen Antonius angezündet und noch mehr Menschen als sonst klopfen bedürftig an der Klosterpforte, um am „Antonius-Brot“ teilzuhaben. Neben dem Brot wird auch Kleidung verteilt – und das wichtigste ist, dass die Religion der Hilfsbedürftigen dabei keine Rolle spielt. Wer in Not ist, dem wird geholfen. Und, so berichten die Brüder immer wieder: „Der heilige Antonius selbst sorgt dafür, dass uns nichts fehlt!“

Ein Dienstag war es auch – nämlich der 24. März – an dem aufgrund des Virus die Türen von Kirche und Kloster aufgrund staatlicher Anordnung erstmals geschlossen bleiben mussten. Ein Zustand, der über mehrere Wochen anhielt. Wie aber umgehen mit den Hilfesuchenden, die ja nach wie vor ihre Nöte haben? Die Brüder stellen fest: „Die Hungrigen kommen immer mehr zu uns, trotz jedes neuen Verbots, das der Staat zur Bekämpfung des Virus verhängt hat. Die meisten der Betroffenen sind Migranten aus Afrika, Asien und dem Nahen Osten, gefolgt von unseren eigenen Gemeindemitgliedern. Diese Menschen haben plötzlich ihr tägliches oder wöchentliches Einkommen verloren. Ihre Ersparnisse, die sie oft in ihre Heimatländer zurückgeschickt haben, reichen nicht mehr aus. Wenn man vielen von ihnen in die Augen schaut, spürt man die wachsende Angst vor einer Brotknappheit.“

Dienstag für Dienstag werden nun mehr als 40 Pakete mit Lebensmitteln vorbereitet. Gedacht sind sie für die bedürftigsten Familien in Haushalten von drei Personen und mehr. Sie bekommen Reis, Öl, Tomatenmark und Salz. Daneben gibt es fast 100 „Gemüsepakete“ mit Kartoffeln, Zwiebeln, Karotten, Gurken und Tomaten. Es wird verteilt „solange der Vorrat reicht“. Und die Brüder zeigen sich überzeugt: „Wahre Wunder geschehen vor unseren Augen, denn die Güte Gottes kennt keine Grenzen. Wir danken für Einzelspenden und für die Spenden zweier Institutionen: der französischen Kirche St. Louis und der türkischen ‚Caritas‘. Wir danken unseren türkischen Freunden und unseren anonymen Spendern.“

 

Munyonyo, Uganda

Auch in Uganda, so berichtet Br. Adam Mutebi Klag, Missionar aus der Krakauer Ordensprovinz, wurden in den Wochen vor Ostern die ersten Corona-Fälle gemeldet: „Die Regierung hat sehr schnell radikale Präventionsmaßnahmen ergriffen. Sie hat alle Schulen, Universitäten und Gotteshäuser, einschließlich Kirchen und Moscheen, geschlossen. Sie hat Geschäften, Bars und Restaurants den Betrieb untersagt und lässt nur noch Anbieter von Lebensmitteln und medizinischen Diensten öffnen. Außerdem gibt es eine kategorische Ausgangssperre zwischen 19.00 und 6.30 Uhr.“ Die Auswirkungen auf die Bevölkerung sind enorm. Viele Menschen haben schon jetzt ihre Arbeit verloren. Die meisten von ihnen haben zuvor etwa drei Euro pro Tag verdient – kaum genug, um sich und ihre Familie zu ernähren. Schon jetzt müssen die ärmsten Menschen mit Lebensmitteln von der Regierung versorgt werden. Einige Krankenhäuser wurden ausgewählt, um sich auf die Aufnahme von Covid-19-Patienten einzustellen. Es gibt jedoch berechtigte Zweifel daran, ob diese für eine derartige Krise wirklich gewappnet sind. 

Danach gefragt, ob er und seine Mitbrüder nicht in die Heimat Polen zurück wollten, denn immerhin hatte die polnische Regierung Sonderflüge angeboten, antwortet Br. Adam: „Wir Brüder haben uns entschieden, zu bleiben. Die Heimat eines Missionars ist das Haus, in dem er gegenwärtig lebt. Von Afrika lernt man keine Heldentaten, man lernt Demut. Wir Brüder folgen nur unserem Ruf.“ Und dann stellt er fest: „In Afrika gibt es schlimmere Probleme als das Coronavirus; zum Beispiel wird Norduganda derzeit von Heuschreckenplagen heimgesucht. Afrika ist auch durch das Ebola-Virus bedroht, das 70% der Infizierten tötet. Ebola wird auf dieselbe Weise wie Covid-19 übertragen, aber es erscheint willkürlich und verschwindet nach einiger Zeit von selbst. Es gibt Typhus, der durch schmutziges Wasser verursacht wird, und 10% der Bevölkerung sind mit dem HI-Virus infiziert. Und schließlich gibt es die Malaria, die ebenso weit verbreitet ist wie die Grippe. Wir glauben, dass mit Gottes Hilfe auch Covid-19 vorübergehen wird und mit menschlicher Solidarität alles überwunden werden kann. Diese Erfahrung wird uns wahrscheinlich besser, wacher und sensibler für andere Menschen machen.“

 

Juli, Peru

Br. Vicente Imhof ist schon seit vielen Jahren als Missionar aus der deutschen Minoritenprovinz in Peru. Zahlreiche Projekte hat er bereits initiiert, andere wurden ihm von der peruanischen Bischofskonferenz anvertraut. Seit einiger Zeit gehört seine Hauptsorge der Migrantenpastoral. Hunderttausende Venezolaner sind vor der Krise in ihrem Heimatland auf der Flucht. Das bevorzugte Ziel: Chile. Und selbst wenn die Lebensumstände in der südperuanischen Region Puno, wo Br. Vicente lebt, aufgrund der Höhenlage eher ungünstig sind: Die Grenze zwischen Peru und Bolivien ist dort nur schlecht bewacht. Viele Menschen sehen hier die Chance, dem Ziel Chile einen entscheidenden Schritt näher zu kommen. Am 5. März 2020 konnte ein Schutzhaus für Flüchtlinge und Migranten eingeweiht werden, ein Haus, so Br. Vicente, „wo sie für zwei, drei Tage ausruhen können, Kleider waschen, etwas Warmes essen und – vor allem! – das Herz ausschütten dürfen.“ Doch dann, am 16. März, kam auch hier Corona an: Die Grenze ist nun komplett dicht, aber das Problem der Migranten und Flüchtlinge keineswegs gelöst, sondern eher erschwert. Und Br. Vicente? „Was bleibt dem Minderbruder anderes übrig, als die Venezolaner, Kolumbianer und Argentinier, die im Schutzhaus gestrandet sind, kurzerhand mitzunehmen in den Bauernhof ‚Palermo‘ in Juli, wo er selber lebt und als neuer Direktor versucht, den Hausfrieden zwischen Rindern, Schafen und Meerschweinchen einigermaßen aufrecht zu erhalten?“ Und er berichtet, dass es bisher „eigentlich ganz gut läuft“: „Wir haben spontan die Lebensgemeinschaft „Laudato Si“ gegründet auf unserem Quarantäne-Hof in der Nähe des großen Titicacasee (viele beneiden uns um die unbeschreiblich schöne Lage!). Das jüngste Mitglied unserer Gruppe aus insgesamt 15 Mitgliedern ist gerade 5 Monate alt... Wie sieht unser Leben aus? Täglich hören wir in den Nachrichten von wachsenden Zahlen von Kranken und Todesopfern des Coronavirus... und sind vor allem erschrocken über den Zusammenbruch des Gesundheitssystems in unserem Land. Bei einer Bevölkerung von fast 32 Millionen gibt es nur rund 500 Intensivstationen in Peru. So bleibt die strenge Ausgangssperre, eine Politik, die vor allem die Stadtbevölkerung betrifft und viele Menschen in den engen Wohnungen in Lima, Arequipa, Trujillo und Cusco großem Stress aussetzt, schlichtweg die einzige Option. Auch wir halten uns genau an die Ausgangssperre. Ich selber bin somit der einzige, der in Juli zum Einkaufen gehen kann, denn die Migranten und Flüchtlinge auf dem Hof wecken in der Stadt irrationale Ängste... Dagegen kommt Ciro, unser Bischof, oft zu Besuch und bringt auch immer etwas mit. Apropos: Viele Freunde in Lima und Cusco fragen nach uns und unterstützen uns mit Spenden.“ Br. Vicente scheint in jeder Lage etwas Gutes zu finden, wenn er erzählt: „Und das ist vielleicht die schönste Erfahrung: Selbstverständlich arbeiten die Mitglieder von ‚Laudato Si‘ mit auf dem Hof, und die Bauern in der Nachbarschaft nehmen erst scheu, und dann mit immer mehr Mut Kontakt auf zu den Menschen, die anders aussehen als wir, anders Spanisch sprechen als wir, andere Probleme haben als wir... Die Monate März und April waren Erntezeit – und wir hatten Glück: gute Erträge bei den Kartoffeln und den Bohnen, auch beim Heu.“ Und ein Schlussfazit unseres Missionars: „Ohne es geplant zu haben, ist der Hof ‚Palermo‘ in Juli mit seiner spontanen Gemeinschaft ‚Laudato Si‘ zu einem ‚Raum für das Evangelium‘ geworden, denn weder die politische Gewalt in Kolumbien, die Dauerkrise in Venezuela oder das Coronavirus, das die ganze Welt in Atem hält, kann uns besiegen: Wir bauen auf unsere gemeinsame Humanität und den Glauben an den Gott des Lebens!“

 

Würzburg, Deutschland

In Würzburg schließt sich der Kreis unserer „Corona-Reise“ – wie in Istanbul begegnet uns hier das Antonius-Brot. Doch es gibt kein Hinweisschild auf „Armenspeisung“, keinen auffällig platzierten Spendenkorb – weder wartet eine warme Mahlzeit, noch eine einladende Sitzecke, aber es gibt zuverlässig eine einfache Brotzeit. „Wer hierher kommt“, so Br. Ludwig Moschel, Pförtner des Würzburger Klosters der Franziskaner-Minoriten, „der hat es wirklich nötig!“ 

Seit er denken kann, wird an der Pforte des Klosters in der Franziskanergasse eine Brotzeit ausgegeben. Sie besteht aus ein paar Scheiben Brot, Butter, Marmelade, Käse und Wurst. Alles sehr einfach. Monat für Monat kommen zwischen 300 und 400 Menschen, um sich auf diese Weise ein paar Euro für Lebensmittel zu sparen. Niemand muss unterschreiben, niemand muss seine Bedürftigkeit nachweisen, nach der Konfession wird erst recht nicht gefragt – es wird einfach geholfen. Meistens geht es um die Brotzeit, manchmal aber auch noch um ein gutes Wort mit auf den Weg, um einen Ratschlag, einen Trost. 

Man macht kein großes Aufheben um dieses Essensangebot an der Pforte, so Guardian Br. Adam Kalinowski, denn: „Es gehört zu unserer Tradition: Wir sind einfach da. Im Mittelalter wurden unsere Klöster an den Stadtrand gebaut, um dort für die Armen da zu sein. Wir waren oft die erste Anlaufstelle, manchmal auch die letzte.“ Natürlich habe der Orden im Lauf der Jahrhunderte auch große Theologen und Päpste hervorgebracht, man habe wichtige Seelsorgsaufträge übernommen und Ordenswerke gegründet, aber der Bezug zum Anfang ging zum Glück nie ganz verloren – das „Da-Sein für Menschen, die in Not sind und einfach Hilfe brauchen“, so Br. Adam. In dieser Tradition sehen sich die 20 Brüder des Würzburger Franziskanerklosters bis heute, unspektakulär, einfach da. 

In der Corona-Krise rücken Angebote wie die Brotzeitausgabe an der Pforte des Franziskanerklosters wieder mehr in den Focus des öffentlichen Interesses. Und so hat auch Br. Ludwig einen Blick in die Statistik geworfen, aus der sehr schnell ein Trend deutlich wird: Im März 2019 wurden 350 Brotzeiten ausgegeben, im März dieses Jahres 451 – ein Anstieg um fast 30%. Im April ist der Zuwachs noch deutlicher: Es wurden 615 Brotzeiten an Bedürftige verteilt. Im Vorjahreszeitraum waren es mit 382 nur etwas mehr als die Hälfte. 

Zuletzt aktualisiert: 01. Juni 2020
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