Gewalt an Frauen im KZ

14. Februar 2022 | von

Vor 75 Jahren – im Februar 1947 – ging der erste von sieben Ravensbrück-Prozessen zu Ende. Angeklagt waren Angehörige des Lager-personals des Konzentrationslagers Ravensbrück. Man geht davon aus, dass in dem auch als „Frauenlager“ bezeichneten KZ etwa 28.000 Menschen ums Leben gebracht wurden.

Seit dem Jahr 1959 erinnert eine Nationale Mahn- und Gedenkstätte an die Verbrechen der Nationalsozialisten in Ravensbrück, das heute zur Stadt Fürstenberg im Bundesland Brandenburg gehört. Von Dezember 1938 bis April 1939 war dort von der SS ein Konzentrationslager errichtet worden, das zunächst ausschließlich Frauen aufnehmen sollte. Die ersten 900 Häftlinge werden zum weiteren Ausbau des Lagers und zur Errichtung von Unterkünften für die SS-Wachleute herangezogen. Mit der Umstellung auf die Kriegswirtschaft wird im Juni 1940 eine Gesellschaft für Textil- und Lederverwertung gegründet, für welche die inhaftierten Frauen unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten müssen. Im Lauf der ersten eineinhalb Jahre wächst die Zahl der internierten Frauen auf etwa 4.200, davon ein Drittel aus Polen. Von 1939 bis 1945 werden es etwa 120.000 Frauen sein, die im KZ Ravensbrück unglaubliche Qualen aushalten müssen. In einem angeschlossenen Männerlager sind im Verlauf der Kriegsjahre etwa 20.000 Männer interniert; außerdem gibt es ein eigenes Jugendkonzentrationslager. 1.000 SS-Leute und 550 Aufseherinnen sorgen für die Bewachung.

Der Menschenwürde beraubt

Bei der Ankunft werden die Frauen namentlich registriert, sie erhalten ihre Häftlingsnummer und ein farbiges Stoffdreieck, das auf einen Blick den „Grund“ der Inhaftierung und die Herkunft erkennen lässt. Diese Einteilung – von Zeuginnen Jehovas über „Asoziale“, „Politische“ und „jüdische Häftlinge“ – bestimmt fortan über den Wert eines Menschenlebens. Geringfügige Verstöße gegen die Lagerordnung oder die Laune der Aufseher/innen führen oft zu drakonischen Strafen: Peitschenhiebe auf das nackte Gesäß, Bunkerhaft, Nahrungsentzug, stundenlanges Appellstehen bei Wind und Wetter – oder willkürliche Erschießungen.

Den Moment des Ankommens in dieser Schreckenswelt vergisst man nicht mehr. Maria Rutkowska, am 20. Juni 1942 in Ravensbrück interniert, verarbeitet ihre Erfahrungen unter dem Titel „Ankunft“ literarisch:

Sie beraubten uns ganz und gar:
Der Kleider, des letzten Hemdes,
Und entzogen uns das Recht auf den eigenen Körper,Hatten alles beherrscht.
Abgemagert, blau vom Foltern
Standen wir als wehrlose Schar
In einem großen Saal,
Wie die Tiere hinter Gittern
Zur Schau gestellt. (…)
Der Blick, zu Boden geschlagen,
Sieht lediglich, wie sich die Beine
Auf dem elenden Weg
In die neue Wohnstätte wagen,
Eng wie ein Netz.
Die Schenkel, Leiber und Brüste
Brennen vor vergeblicher Scham,
Gelächter, brutal und infam,
Taxieren bei jeder Geste
Das, was deines war. (…)
Für den gestohlenen Besitz
Geben sie uns ein dunkles Leinenkleid.
Ärmlig und voller Leid,
Mit dem zur Maske erstarrten Antlitz
Geh´ ich mit der Masse von dannen.
Sollst Du meiner ansichtig sein,
Erkennst mich nicht, da ich so verwandelt bin –
Wie ein herabgestürzter Stern,
Wie ein gestoßener Stein,
Der nichts fühlen kann.
Ohne Privatsphäre, ohne Rechte

Untergebracht sind die Häftlinge in Holzbaracken, zu Hunderten zusammengepfercht in einem chronisch überfüllten Lager, in dem schließlich sogar ein Notzelt aufgestellt wird. Darin fristen bis zu 4.000 Häftlinge unter katastrophalen hygienischen Bedingungen ihr Dasein.

Es sind wohl die Zeugnisse der überlebenden Frauen am eindrücklichsten und am authentischsten, wenn es darum geht, nachzuempfinden, was die Inhaftierten damals gefühlt haben. Maria Elz˙bieta Jeziersk erzählt: „Nicht einmal im WC konnte man allein sein. Man konnte nicht klagen und seine Schmerzen verbergen, wenn man krank war; jeder sah den nackten Leib des anderen und wusste um seine Krankheiten und ob der Nachbar unter sich gemacht hatte. Weder konnte man sich allein eines Briefes freuen, noch weinen – oder sterben. Sogar dieses letzte Recht war uns genommen! Alle abstoßenden Erscheinungen des Todes waren bloßgelegt. Der Hunger nach Schönheit ließ mich fast wahnsinnig werden, denn alles, was uns umgab – die Erde, die Architektur, die Menschen, die Kleidung – war schmutzig und widerlich.“

Menschenversuche

Als ob schlechte Unterkunft und Verpflegung, harte Zwangsarbeit – unter anderem im sogenannten „Siemenslager“ – und gewalttätige Willkür der Nationalsozialisten noch nicht ausreichten, werden über den Zeitraum von mindestens einem Jahr unter der Leitung von Prof. Dr. Karl Gebhardt pseudomedizinische Experimente durchgeführt. Der nach dem Krieg zum Tod verurteilte Leibarzt Heinrich Himmlers experimentiert unter anderem mit Sulfonamid. Gebhardt „simuliert“ dazu an KZ-Gefangenen Kriegsverletzungen, lässt Waden aufschneiden, Holzsplitter in Wunden einnähen und Schussverletzungen zufügen, um dann den Wund- und Heilverlauf beobachten zu können. Mehrere Frauen sterben, Dutzende müssen ihr ganzes restliches Leben mit teils schweren Behinderungen verbringen. Der Polin Zofia Pocilowska gelingt es, im März/April 1943 einen Brief aus dem Lager zu schmuggeln, von dem sie hofft, dass er, zu den Regierungen von Polen und England gebracht, irgendwie eine Besserung der Lage herbeiführen könnte. In ihrem Brief ist über die brutalen Menschenversuche aus erster Hand zu lesen: „Chirurgische Versuche: Es wurden bislang 80 Operationen durchgeführt (ausschließlich an Polinnen, fast nur an Frauen aus Lublin), ohne Rücksicht auf Proteste der für die Operationen Vorgesehenen. Fünf starben. Der Rest sind Krüppel, unfähig, normal zu laufen. Es wurden Beine operiert und vermutlich Knochen herausgenommen. Die Operationen werden unter Geheimhaltung vollzogen; Häftlingskrankenschwestern dürfen dabei nicht assistieren. Die Operierten leiden sehr. Sie bleiben wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang Krüppel. (…) Das Verbrechen dieser Operationen hat nicht seinesgleichen. Ungeachtet der schwierigen Bedingungen bleiben wir stark. Wir warten auf den Tag der Befreiung.“

Befreiung mit neuen Schrecken

Der ersehnte Tag der Befreiung kommt. Im Frühjahr 1945 rückt die Front immer näher. Rudolf Höß, ehemaliger Lagerkommandant von Auschwitz, ist seit November 1944 in Ravensbrück und koordiniert Massentötungen in einer provisorisch eingerichteten Gaskammer. So schnell wie möglich sollen so viele Zeuginnen wie möglich umgebracht werden. Andere werden auf Todesmärsche geschickt, so dass die sowjetischen Truppen, die am 30. April das Lager erreichen, nur noch etwa rund 3.000 Menschen antreffen. Doch die Grausamkeiten, die die Insassinnen aushalten müssen, nehmen damit noch kein Ende: Zahlreiche Berichte sprechen von Vergewaltigungen durch die russischen „Befreier“. Wieder sind die ausgemergelten Frauen schutzlos ausgeliefert.

Verurteilte Straftäter/innen

Die juristische Aufarbeitung der Verbrechen im KZ Ravensbrück beginnt im Dezember 1946 mit der Einrichtung eines Militärgerichts unter britischer und französischer Führung. Berücksichtigt wurden dabei ausschließlich Straftaten gegen nicht-deutsche Staatsangehörige. Angeklagt sind Personen aller Rangstufen des Lagerpersonals: Lagerführer, Ärzte, Aufseherinnen und Aufseher und auch ehemalige Gefangene, die andere Häftlinge misshandelt hatten. Insgesamt werden am Gerichtsort Hamburg 38 Prozesse gegen Beteiligte geführt. Von den 16 Angeklagten des ersten Prozesses werden elf zum „Tod durch den Strang“ verurteilt, eine Person stirbt während des Prozesses, die anderen werden mit mehrjährigen Haftstrafen belegt. Zahlreiche weitere Täter/innen werden in sechs nachfolgenden Prozessen verurteilt; einige wenige Angeklagte werden aus Mangeln an Beweisen freigesprochen. – Die Erinnerung bleibt eine fortwährende Verpflichtung für alle nachfolgenden Generationen.

Wer sich ausführlich mit der Geschichte des KZ Ravensbrück befassen möchte, findet im umfangreichen Buch der britischen Journalistin Sarah Helm eine erschütternde Lektüre: 

Ohne Haar und ohne Namen. Im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. WBG Theiss, 820 Seiten, gebunden, € 19,95 (D), € 20,60, CHF 29,90.

Zuletzt aktualisiert: 21. März 2022
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