Gott ohne Jugend?

21. September 2018 | von

Hat die Kirche den Draht zur Jugend verloren? Immerhin beschäftigt sich nun im Oktober eine Bischofssynode mit dem drängenden Zukunftsthema, unserem „Thema des Monats“.

Jugend und Kirche – wohl nicht erst seit gestern ein spannungsreiches Verhältnis. Doch wo es vor einigen Jahrzehnten in den Gemeinden noch ernstliche Auseinandersetzungen zwischen den Generationen gab, sei es um theologische Fragen von Jungfrauengeburt bis hin zur Unfehlbarkeit oder praktische Anliegen rund um Gottesdienstgestaltung und Beteiligung an Entscheidungsprozessen, haben junge Menschen heute häufig der Kirche den Rücken gekehrt. Nicht selten wird ein nahezu völliger Traditionsabbruch in der Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation konstatiert. Selbst in bislang noch „gut katholischen“ Gegenden, macht man sich zunehmend Sorgen, wer nach dem Ausscheiden der „Babyboomer-Generation“ wichtige Aufgaben in den Gemeinden vor Ort übernimmt – vom Mesner/Sakristan bis hin zur Kirchenpflegerin. Alte Gottesdienstbesucher, die sterben, werden nicht durch neue Gläubige „ersetzt“ – jedenfalls nicht in der gewohnten Regelmäßigkeit und Kirchenbindung. Kein Wunder, dass sich nicht selten Resignation und Zukunftssorgen breitmachen.

Statistik – und Einstellungen
Rein statistisch betrachtet, wären solche Sorgen vielleicht gar nicht einmal so drängend. Die regelmäßig für die katholische Kirche in Deutschland veröffentlichten Zahlen machen deutlich, dass der Anteil der Kinder, die getauft werden, seit mittlerweile drei Jahrzehnten in etwa stabil ist: 86,3% der neugeborenen Kinder werden getauft, wenn mindestens ein Elternteil katholisch ist. Nahezu alle Getauften nehmen dann im Grundschulalter an der Erstkommunion teil. Erst beim Sakrament der Firmung lichtet sich schließlich das Feld – doch immer noch drei von vier Jugendlichen entscheiden sich zu diesem Schritt. 
Deutschlandweit ministrieren 360.000 Jugendliche und damit knapp 10% der gleichaltrigen Katholiken. Im Bund der Deutschen Katholischen Jugend sind 660.000 junge Menschen zwischen 7 und 28 Jahren engagiert. Die Zahlen könnten durchaus schlechter sein…
Blickt man dann jedoch auf die Einstellungen, die sich hinter bloßen Statistikdaten bei den Jugendlichen erheben lassen, so muss man beispielsweise mit der letzten Shell-Jugendstudie von 2015 ernüchtert feststellen: Obwohl noch ca. zwei Drittel der Jugendlichen Mitglied in einer Glaubensgemeinschaft sind, ist der Glaube an Gott nur für 33% wichtig. Sage und schreibe 50% der katholischen Jugendlichen geben an, sie würden selten oder nie beten. Und wenn man sich gerade noch freut über die Feststellung, dass 67% der Jugendlichen „es gut finden, dass es die Kirche gibt“, wird man schnell wieder ernüchtert, dass 57% der jungen Leute den Satz unterschreiben: „Auf die Fragen, die mich wirklich bewegen, hat die Kirche keine Antwort.“

Suche nach Lösungen
Was also tun? Vor Ort werden verschiedene Projekte ausprobiert, man versucht, sich auf veränderte Lebensbedingungen und Verhaltensweisen der Jugendlichen einzustellen, passt Erstkommunion- und Firmvorbereitung den neuen Umständen an. Auf höher geordneten Ebenen werden Forschungsstellen eingerichtet, Studien in Auftrag gegeben und neue Konzepte ausgearbeitet. Und von höchster Stelle, von Papst Franziskus, wurde im Oktober 2016 als Fortsetzung der Familiensynoden 2014 und 2015 eine weitere Bischofssynode angekündigt, die sich mit der Jugend beschäftigen sollte. In einem Brief an die Jugendlichen teilte der Papst sein Anliegen mit: Er wünscht, so schreibt er den jungen Menschen, „dass Ihr im Zentrum des Interesses steht, da ich Euch im Herzen trage.“ 
Vom 03.-28 Oktober ist es nun so weit. Unter dem Leitwort „Jugend, Glaube und Berufungsunterscheidung“ werden sich im Vatikan 250-350 Teilnehmer treffen, um sich dieser Zukunftsfrage der Kirche zu stellen. Beraten werden dabei dann aber nicht nur Kardinäle und Bischöfe: Etwa 40 Vertreter der Jugend sind eingeladen, sich an den Diskussionen zu beteiligen. Papst Franziskus hat seiner brieflichen Ankündigung – „Auch die Kirche möchte auf Eure Stimme hören, auf Eure Sensibilität, auf Euren Glauben, ja auch auf Eure Zweifel und Eure Kritik“ – also Taten folgen lassen, auch wenn die Jugendlichen beim Verabschieden des Abschlussdokuments kein Stimmrecht haben werden.

Beteiligung der Jugend
Bereits auf dem Weg zur Bischofssynode konnten die Jugendlichen sich aktiv beteiligen. Ein ausführlicher Fragebogen wollte die Meinung möglichst vieler junger Menschen zu verschiedenen Themen erheben. Nach Angaben des Vatikans haben weltweit 221.000 Jugendliche den Fragebogen online ausgefüllt, von denen gut die Hälfte zwischen 16 und 19 Jahre alt gewesen sei. Über die Hälfte der Antworten kam aus Europa, überwiegend von Jugendlichen, die angaben, dass die Religion für sie eine wichtige Rolle spiele. 
Die Antworten aus dem Fragebogen, sowie vom Papst erbetene drei Beispiele für „beispielhafte Projekte“ in der Jugendarbeit flossen dann in eine „Vorsynode“ ein, die Ende März mit etwa 300 jugendlichen Teilnehmern in Rom veranstaltet wurde. 
Magdalena Hartmann von der Schönstatt-Jugend und eine von zwei Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz bei dieser Vorsynode schreibt – auch im Blick auf die weltweite Beteiligung der Jugend an der Synode über die sozialen Medien: „Von der wirklich engagierten und überwältigenden Beteiligung per Facebook bin ich begeistert. Hier im Vatikan hat, glaube ich, niemand mit einer solch hohen Partizipation gerechnet. Dadurch konnten wir als junge Generation der Kirche aber zeigen, dass wir Interesse haben und auch bereit sind, uns einzubringen. Wenn es gelingt, diese wertvolle Stimmung bis zur Synode und danach aufrecht zu erhalten, können wir hoffentlich weiterdenken und konkret für Deutschland überlegen, was wir aus der Synode ziehen möchten.“

Beobachtungen aus dem Leben heraus
Selbst wenn im Abschlussdokument wohl vieles Erwähnung findet, „was man sowieso und schon immer weiß“, lohnt es sich wohl, die Jugend einmal etwas ausführlicher zu Wort kommen zu lassen, wenn beispielsweise festgestellt wird:
• Oft wirkt die Kirche zu streng und wird mit übertriebenem Moralismus verbunden. Manchmal ist es schwer, in der Kirche die Logik des „Das war schon immer so“ zu überwinden.
• „Religion wird heute nicht mehr als Hauptquelle gesehen, über die junge Menschen nach Lebenssinn suchen, daher wenden sie sich eher modernen Strömungen und Ideologien zu. Skandale in der Kirche – tatsächliche wie vermeintliche – erschüttern das Vertrauen junger Menschen in die Kirche.
• Es gibt oft große Meinungsverschiedenheiten unter jungen Leuten, in der Kirche wie außerhalb, über kontroverse Lehren der Kirche. Dazu gehören Verhütung, Abtreibung, Homosexualität, Zusammenleben, Ehe oder die Wahrnehmung des Priesteramtes.
• Für viele junge Menschen ist der Glaube zu einer privaten statt einer gemeinschaftlichen Angelegenheit geworden. Dazu haben negative Erfahrungen einiger mit der Kirche beigetragen.
• Hinsichtlich der Hierarchie sagen wir: Seid transparent, offen, ehrlich, einladend, kommunikativ, zugänglich, freudig und eine Gemeinschaft im Austausch. Eine glaubwürdige Kirche hat keine Angst, als verletzlich zu gelten.
• Die Kirche muss junge Menschen stärker an Entscheidungsprozessen beteiligen und ihnen Verantwortung übertragen.
• Die Kirche muss eine Sprache entwickeln, die zu den Gewohnheiten und Kulturen der Jungen passt, so dass alle die Chance haben, die Botschaft des Evangeliums zu hören.

Zusammenschau der Wirklichkeit
Die verschiedenen Elemente des Vorbereitungsweges, unter anderem also die erwähnten Fragebögen und das Abschlussdokument der Vorsynode, sind in ein 214 Punkte umfassendes Arbeitspapier („Instrumentum Laboris“) eingeflossen, das eine möglichst umfassende Sicht auf die Lage der Jugend weltweit und ihre Lebens- und Glaubensentscheidungen bieten will. Es wird nun als Beratungsgrundlage für die dreieinhalbwöchige Synode herangezogen. 
Wer sich die Mühe macht, das 80-seitige Papier durchzulesen, wird positiv überrascht sein: Es haben tatsächlich nicht nur Zitate vatikanischer Dikasterien oder nationaler Bischofskonferenz Eingang gefunden, sondern auch Feststellungen der jugendlichen Vorsynode und sogar Einzelzitate aus den Fragebögen: „Ein Jugendlicher spricht für viele, wenn er im Online-Fragebogen antwortet: ‚Wir möchten miteinbezogen und geachtet werden, wir wollen uns mitverantwortlich fühlen für das, was gemacht wird‘.“ (Instrumentum Laboris, Nr. 199)
Grundsätzlich spricht das Arbeitspapier fast alle nur denkbaren Themen an: Familie und Single-Dasein, Generationenunterschiede, Auswirkungen des digitalen Wandels, Drogen, Migration und Flucht, Arbeitslosigkeit, Globalisierung, Gerechtigkeit, Glaube und Kirche oder Musik und Sport. Dass die Kirche sich dieser Fragen und der Jugend annehmen muss, wird gleich zu Beginn des Dokuments unmissverständlich klargestellt: „Die Betreuung und Begleitung der Jugendlichen ist keine fakultative Aufgabe der Kirche, sondern ein wesentlicher Bestandteil ihrer Berufung und ihres Auftrags im Lauf der Geschichte.“ (1) 
Kirche, so ist man folgerichtig überzeugt, kann „nur gemeinsam mit den Jugendlichen ‚gemacht‘ werden, nämlich indem wir ihnen wirklich die Hauptrolle zugestehen und ihnen nicht mit einer ‚Das war schon immer so‘-Haltung begegnen. (…) Sie erwarten Begleitung; nicht durch einen unbeugsamen Richter und auch nicht durch ängstliche Eltern, deren übermäßiger Beschützerinstinkt nur Abhängigkeit schafft, sondern durch jemanden, der keine Angst vor der eigenen Schwäche hat und der den Schatz zum Leuchten bringt, den er wie ein „zerbrechliches Tongefäß“ (vgl. 2 Kor 4, 7) in sich trägt. Sonst wenden sie sich woanders hin, vor allem in einer Zeit, in der es an Alternativen nicht mangelt“ (142). 

Vorprogrammierte Kontroversen
Nicht nur angesichts des langen und breit angelegten Vorbereitungswegs darf man gespannt sein, wie die Synode verläuft und welche Ergebnisse sie mit sich bringt. Vielleicht geht es in den Erwartungen vieler Jugendlicher nicht einmal darum, die Kirche komplett neu zu erfinden. Thomas Adonie, Bundesvorsitzender des BDKJ, stellt im Interview fest: „Viele kirchliche Positionen sind gut und richtig, müssen aber neu erklärt und in die heutige Lebenswelt junger Menschen übersetzt werden.“ Denn: „Viele Lebensrealitäten haben sich verändert und sind weiter im Wandel. Wir brauchen Antworten auf Fragen, die es vor Jahrzehnten noch nicht gab. In einer Sprache, die alle jungen Menschen verstehen, diejenigen in der Mitte, aber auch diejenigen an den Rändern unserer Gesellschaft.“ – Wenn der BDKJ in seinem Forderungskatalog die Zulassung von Frauen zum kirchlichen Weiheamt und die Anerkennung von Beziehungsformen jenseits der Ehe zwischen Mann und Frau prominent platziert, stößt das nicht nur bei Jugendbischof Stefan Oster, der an der Synode teilnimmt, auf Widerstand: „Dass das nicht geht, ist Bestandteil des überlieferten Glaubensgutes.“

Offener Ausgang
Ob man also wieder einmal Erwartungen geweckt hat, die man von vornherein nicht wird erfüllen können (oder wollen)? Oder wird durch den Gesprächsprozess zumindest ein tieferes Verständnis für unterschiedliche Positionen hergestellt? Kann es gelingen, durch Synodenbeschlüsse die Jugend wieder in die Kirche und vor allem zu Gott zu bringen? Oder kommt da nicht doch alles ein paar Jahrzehnte zu spät?
Auf solche und ähnliche Fragen verbieten sich wohl pauschale Antworten. Vielleicht wird es am Ende sein wie so oft: Man spricht miteinander, manches lässt sich erreichen, vieles bleibt offen – und entscheidend für den persönlichen Glauben sind am Ende dann doch allermeist ganz konkrete Beziehungen zu anderen Gläubigen, Priestern oder Ordensleuten im eigenen Alltag. Und das wird wohl der Bereich sein, in dem jede und jeder Einzelne aktiv werden, missionarisch sein kann im Dienst an der Zukunft der Kirche.

Zuletzt aktualisiert: 01. Oktober 2018
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