Herrscher des Ausgleichs

01. Januar 1900 | von

Um Theoderich des Großen Leben und Werk würdigen zu können, muss der geschichtliche Kontext seines Lebens kurz geschildert werden. Europa ist in Aufruhr. Die germanischen Stämme der Goten, Franken, Vandalen und Burgunder sind auf Wanderung. Ausgelöst wurde diese Wanderbewegung durch den Einfall der Hunnen gegen Ende des 4. Jahrhunderts. Der Stamm der Goten teilt sich in zwei Gruppen. Die Westgoten ziehen über das südliche Donaugebiet unter ihrem König Alarich nach Italien, plündern im Jahr 410 Rom und gründen dann das westgotische Reich in Südfrankreich und Spanien. Die Ostgoten lassen sich zunächst in Pannonien, dem heutigen Ungarn, nieder. Dort wird im Jahr 454 Theoderich als Sohn des Ostgotenkönigs Theodomir geboren.

Arianische Konfession. Auch eine kirchliche Auseinandersetzung wird das Leben des Theoderich beeinflussen. Eigentlich ist die Auseinandersetzung um Arius, der lehrte, dass Jesus nicht Gott gleich sei, schon seit mehr als hundert Jahren entschieden. Das Konzil von Nikaia hatte 325 die Lehre des Athanasius als rechtgläubig angenommen, dass Jesus eines Wesens mit dem Vater sei. Das Konzil von Konstantinopel (381) hatte diese Lehre bekräftigt. Doch die Lehre des Arius hatte bei den germanischen Völkern weitergelebt. Bischof Wulfila, der im 4. Jahrhundert die Bibel ins Gotische übertragen hatte, brachte den West- und Ostgoten den christlichen Glauben in der Form des Arius.

Geraubte Kindheit. Im Alter von acht Jahren wird Theoderich als Geisel an den byzantinischen Kaiserhof in Konstantinopel gebracht. Zehn lange Jahre wird er dort verbringen. Es ist verständlich, wenn ein Kind in einer solchen Situation sich gegenüber humanistischen Studien, Griechisch und Latein verweigert. Mit mehr Interesse verfolgte er dagegen politische und militärische Ereignisse.
Mit 18 Jahren kann Theoderich endlich zu seinem Volk zurückkehren. Als sein Vater im Jahr 474 stirbt, wird er im Alter von 20 Jahren König der Ostgoten.

König der Ostgoten. Er ist ein geschickter Militärführer und stellt sich in verschiedenen Konflikten auf die Seite des oströmischen Kaisers Zeno. In der Zwischenzeit hat 476 ein germanischer Söldnerführer, Odoaker, den letzten weströmischen Kaiser Romulus Augustulus abgesetzt, und sich selbst zum König von Italien gemacht. Im Jahr 487 bekommt Theoderich von Kaiser Zeno Italien als Herrschaftsgebiet angeboten.
Im Herbst 488 beginnt er mit 300.000 Personen den Eroberungszug nach Italien. Es kommt zu heftigen Kämpfen mit den Armeen Odoakers. Die Verluste auf beiden Seiten sind riesig. Nach mehreren Niederlagen zieht sich Odoaker nach Ravenna zurück. Theoderich verfolgt und belagert ihn drei Jahre. Odoaker gibt schließlich auf. Im März 493 zieht Theoderich im Triumph in Ravenna ein. Trotz eidlicher Zusagen für Freiheit und Leben des Odoaker lässt Theoderich diesen kurz darauf umbringen.
Ravenna als Hauptstadt. 493 beginnen drei Jahrzehnte relativer Ruhe und Wohlstands für das Ostgotenreich in Italien. Theoderich übernimmt das politische Konzept seines Gegners Odoaker, zwei Völker in einem Gebiet nebeneinander leben zu lassen. Die militärische Herrschaft übernehmen die Ostgoten, doch die zivile römische Verwaltung und Gerichtsbarkeit bleibt bestehen. Nach Jahrzehnten des Krieges können Landwirtschaft, Handwerk und Handel wieder aufblühen. Engere Beziehungen zwischen den Goten und der einheimischen römischen Bevölkerung verhindert ein Heiratsverbot. Die umliegenden germanischen Stämme der Vandalen, Westgoten, Burgunder und Franken versucht Theoderich dagegen durch Heiraten als Verbündete zu gewinnen.

Friedliche Koexistenz. Das Stadtbild Ravennas zeugt bis heute von dieser Blütezeit. Da Theoderich und sein Volk das arianische Christusbekenntnis vertreten, lässt er für die arianische Konfession ein Baptisterium und eine Kathedrale bauen und mit Mosaiken ausschmücken. Die ehemalige Palastkirche, heute Sant’Apollinare Nuovo genannt, bildet sicherlich den Höhepunkt der Mosaikkunst zu Beginn des 6. Jahrhunderts. Ravenna mit seinen zwei Kathedralen und zwei Baptisterien bietet heute das einzige Beispiel für das Zusammenleben zweier christlicher Konfessionen in der Spätantike. Aus den letzten Lebensjahren Theoderichs ist sein Grabmal erhalten, das in schlichtem gotischen Stil aus riesigen Kalksteinblöcken gebaut wurde. Die Grundsteinlegung für die Basilika San Vitale fällt in sein letztes Lebensjahr.

Lebenswerk in Gefahr. Theoderichs Reich gerät in seinen letzten Regierungsjahren von zwei Seiten unter Druck. Die politischen Bündnisse mit den germanischen Stämmen zerfallen. Der neue oströmische Kaiser Justin betreibt eine Politik gegen Theoderich. Er nutzt dazu die konfessionellen Unterschiede zwischen Arianern und Katholiken. Die zunehmende Verständigung zwischen oströmischem Kaiser und dem Papst und den alten römischen Senatsfamilien in Rom macht Theoderich misstrauisch. Er sieht sich überall von Feinden umgeben. Selbst enge Vertrauenspersonen wie seinen Berater, den römischen Philosophen Boethius, lässt er 524 zusammen mit anderen hinrichten. Der aus Byzanz zurückkehrende Papst wird von Theoderich gefangen gesetzt und stirbt im Mai 526 im Gefängnis. Der Konflikt zwischen den Konfessionen eskaliert. Am 30. August 526, dem Tag, an dem Theoderich die Beschlagnahmung der katholischen Kirchen zu Gunsten der Arianer anordnet, stirbt er unerwartet. Die Symptome, starke innere Schmerzen, deuten auf eine Vergiftung hin. Die Legendenbildung konnte beginnen.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016