Ich bin doch kein Rassist

08. April 2021 | von

Regelmäßig wird heiß diskutiert: Heißen „Schokoküsse“ nun „Schokoküsse“ oder bleibt’s bei den „Negerküssen“? Muss sich eine Apotheke mit dem Namen „Mohrenapotheke“ umbenennen? Sagt man besser „Schwarzer“ oder „Neger“ oder „Person of Color“? Darf das „Nicknegerchen“ in der weihnachtlichen Kirchenkrippe stehen? Unser Monatsthema beschäftigt sich mit dem Rassismus.

Donald Trump, Amerikas Ex-Präsident, polarisiert. Das mag für den Zusammenhalt einer großen Gesellschaft problematisch sein. Er hat es mit seiner Art aber nicht zuletzt geschafft, große Teile der Vereinigten Staaten viele Jahre lang (und über seine Amtszeit hinaus) hinter sich zu bringen. Geholfen hat ihm dabei nicht selten seine unbestrittene Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge griffig formuliert auf einen Punkt zu bringen. Natürlich hatte man meistens den Eindruck, dass es ihm vor allem darum geht, selbst in einem möglichst guten Licht zu stehen. Als man ihm im Juni 2016 vorgeworfen hat, er wäre ein Rassist, gab er zur Antwort: „Ich bin kein Rassist. In der Tat bin ich der am wenigsten rassistische Mensch, den Sie je getroffen haben.“ 

Ausgrenzung und Diskriminierung
Für den einen ist damit alles klar und Donald Trump weiterhin über jeden Zweifel erhaben – ein anderer wird’s kaum fassen können und bringt angesichts einer solchen Selbstaussage allenfalls noch ein gequält-ironisches Grinsen zustande. Denn relativ unbestritten dürfte sein, dass Donald Trump den Rassismus in den USA während seiner Amtszeit neu entfacht hat. Schon sein Wahlkampf war durchzogen von rassistischen Äußerungen, nicht zuletzt gegenüber dem damaligen Präsidenten Barack Obama. Donald Trump gilt als glühender Verfechter der „Birther-Bewegung“. Deren Anhänger zeigen sich davon überzeugt, dass Barack Obama nicht in den USA geboren worden sei und damit überhaupt kein Recht gehabt hätte, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden – denn nur wer dort geboren ist, kann gewählt werden. Was daran rassistisch ist? Wenn Barack Obama keine dunklere Hautfarbe als er selbst hätte, wäre Donald Trump wohl nie auf eine solche Behauptung gekommen. Interessant: Auch bei Kamala Harris, der heutigen Vize-Präsidentin, meldeten sich im Wahlkampf die „Birther“ wieder auf der Bühne zurück. Doch auch sie ist eine waschechte Amerikanerin, in Kalifornien geboren – ihre Eltern „aber“ kommen aus Indien bzw. Jamaika und damit ist ihre Hautfarbe eben anders als die von Donald Trump. 
Als Donald Trump ein Gerichtsurteil akzeptieren musste, das sich gegen seine Einwanderungspolitik wandte, erklärte er den Richter kurzerhand für befangen, weil er „mexikanisch“ sei. Am Namen und an der Hautfarbe machte der US-Präsident diese Äußerung fest. Doch auch dieser Richter war in den USA geboren und nun Opfer präsidialer Ausgrenzung geworden. 

Gewalt explodiert
Dass die Lage in einem Klima solcher Äußerungen irgendwann explodieren kann, ließ sich vor knapp einem Jahr in den USA schließlich wieder einmal beobachten. Der Afroamerikaner George Floyd wurde am 25. Mai 2020 in Minneapolis von der Polizei festgenommen. Er stand im Verdacht, sich in einem Lebensmittelgeschäft Zigaretten gekauft und mit Falschgeld bezahlt zu haben. Dabei ging es um 20 Dollar. In solchen Fällen muss im Bundesstaat Minnesota die Polizei gerufen werden. Die näherte sich dem Wagen von George Floyd mit gestreckter Waffe – ohne den Grund des Einsatzes zu wissen. Der ganze Vorgang ist mittlerweile minutiös im Internet dokumentiert. Mehrere Videos wurden von Passanten gedreht. George Floyd war offenbar früher schon durch Waffen traumatisiert worden, war gerade erst von Covid-19 genesen – aber dann wird er mit dem Knie eines Polizisten auf den Boden gedrückt, schreit mehrfach, dass er keine Luft mehr bekommt. Wird bewusstlos. Stirbt. In der Folge erstarkte eine Protestbewegung namens Black Lives Matter, die bereits seit 2013 auf die Ungerechtigkeit und die Folgen des Rassismus aufmerksam zu machen versucht. Die Statistik gibt ihr Recht: Amerikaner mit schwarzer Hautfarbe sterben fast drei Mal so häufig bei Polizeieinsätzen als weiße Amerikaner. Die Gründe? Sie sind sicher zahlreich. Prof. Dr. Michael Hochgeschwender, Professor für Nordamerikanische Kulturgeschichte in München, nennt vor allem drei. Zunächst sind die Lebensbedingungen der schwarzen Bevölkerung tendenziell eher geprägt von Armut und fehlender Bildung. In der Folge ist das Risiko zur Gewaltbereitschaft höher. Auf der anderen Seite steht eine teilweise mangelnde Professionalität der Polizei. Gewalt im Dienst kann dann zum „Ersatz“ werden für eine hohe Belastung, eine schlechte Bezahlung und die mangelhafte Ausbildung. Schließlich verweist der Münchner Professor auf historisch gewachsene rassistische Vorurteile. Die Vorstellung vom „schwarzen Gewalttäter“ hat die Sklavenzeit überlebt. 

Gesinnung bedingt Handeln
Dabei ist der Rassismus als solcher kein rein amerikanisches Problem. Etwas allgemeiner definiert lässt sich festhalten: Rassismus ist eine Gesinnung, die Menschen aufgrund äußerer Merkmale, die eine bestimmte Abstammung vermuten lassen, in eine bestimmte „Rasse“ einsortiert. Das kann zum Beispiel die Hautfarbe sein, aber auch Körpergröße oder Sprache. Auch Dinge wie Kleidung oder Bräuche können eine solche Einsortierung begründen. 
Aus der Einsortierung ergibt sich dann eine Wertigkeit, das heißt: Wer mir ähnlich ist, der ist grundsätzlich höherwertig – wer mir unähnlicher ist, ist weniger wert. 
Aus der Gesinnung folgt schließlich das diskriminierende Handeln. Das kann mitunter so weit gehen, dass einer „Rasse“ (oder dann auch einem „Volk“) die Existenzberechtigung abgesprochen wird – siehe die deutsche Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus und rechtsextreme Positionen bis in die Gegenwart. Wenn Rassismus schließlich die Einzeleinstellung eines Menschen übersteigt, kann er zum „institutionellen Rassismus“ werden. Bestimmten Gruppen werden dann Vorteile oder Rechte verweigert, andere hingegen werden privilegiert.

Entwicklung des „modernen“ Rassismus
Der Rassismus ist kein Phänomen nur unserer Tage. Historische Rassismen wie beispielsweise im indischen Kastenwesen oder im antiken Griechenland betrachteten Andere aber „nur“ als kulturell zurückgeblieben, während der moderne Rassismus auf dem Konzept einer „rassischen Minderwertigkeit“ basiert. Entstanden ist diese „moderne“ Form im 14./15. Jahrhundert und war interessanterweise ursprünglich eher religiös begründet. 
Der größere Zusammenhang ist die „Reconquista“, die Rückeroberung Andalusiens durch die Spanier. Dabei wurden Juden und Muslime als „fremde Eindringlinge“ und „Schweine“ verfolgt. Sie wurden vertrieben. Eine Möglichkeit des Bleibens hatten sie: sich taufen zu lassen. Man hat ihnen aber weiterhin unterstellt, dass sie heimlich ihren Ursprungsglauben ausüben würden. Sie wurden also nie vollwertige Mitglieder der Gesellschaft. Zum inneren Wesen, zur „Essenz“ des Menschen wird damit also „das Jüdische“, „das Muslimische“ oder eben „das Christliche“. Diesen „Makel“ konnte auch eine Konversion nicht tilgen – der Rassismus entsteht. Denn: Es liegt einem damit die Religion „im Blut“. Damit wird aus der christlichen Glaubensgemeinschaft Schritt für Schritt eine „Abstammungsgemeinschaft“. 
Im Lauf der Zeit kommt ein „naturwissenschaftlich-biologischer“ Bezug hinzu. Der französische Philosoph Voltaire (1694-1778) schreibt als „Aufklärer“ im Jahr 1755: „Die Rasse der Neger ist eine von der unsrigen völlig verschiedene Menschenart, wie die der Spaniels sich von der der Windhunde unterscheidet [...] Man kann sagen, dass ihre Intelligenz nicht einfach anders geartet ist als die unsrige, sie ist ihr weit unterlegen.“
Immer weiter nimmt das Unheil seinen Lauf. Ein Professor Georgius Hornius (1620-1670) teilt die Menschheit in Japhetiten (weiß), Semiten (gelb) und Hamiten (schwarz), weil er glaubte, dass die Menschheit von den drei Söhnen Noachs abstammt: Japhet, Sem und Ham. Immer häufiger werden von nun an „Rassen“ kategorisiert, und die jeweils andere Rasse als minderwertig „wissenschaftlich belegt“. Zum Teil wurden diese Rassenideologien dann zur offiziellen Doktrin von Staaten, beispielsweise während der Hochphase der Rassendiskriminierung in den USA zwischen 1890 und 1960, in den Rassegesetzen der NS-Zeit, in der Politik des Apartheidregimes in Südafrika oder der Politik der australischen Regierung gegenüber den Aborigines – und richteten unendliches Leid an.

Wider die Rassendiskriminierung
Ein wichtiger Schritt der letzten Jahrzehnte, an der Rassen-diskriminierung etwas zu ändern, war die UNESCO-Konferenz „Gegen Rassismus, Gewalt und Diskriminierung“ im Jahr 1995. Dort wurde die Ächtung jeder biologischen und soziologischen Ableitung von rasseähnlichen Kategorien beschlossen. Denn man war davon überzeugt:
Kriterien, anhand derer Rassen definiert werden, seien beliebig wählbar.
Die genetischen Unterschiede zwischen Menschen innerhalb einer „Rasse“ seien im Durchschnitt quantitativ größer als die genetischen Unterschiede zwischen verschiedenen „Rassen“.
Es bestehe kein Zusammenhang zwischen ausgeprägten Körpermerkmalen wie der Hautfarbe und anderen Eigenschaften wie Charakter oder Intelligenz.
Aktuell plant die deutsche Bundesregierung, den Begriff „Rasse“ aus Artikel 3 des Grundgesetzes zu streichen. Wo bislang davon die Rede ist, dass niemand „wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens,…“ benachteiligt oder bevorzugt werden darf, soll künftig die Diskriminierung aus „rassistischen Gründen“ verboten werden. Denn die bisherige Formulierung transportiere weiterhin die Vorstellung, dass es menschliche Rassen gäbe – diese seien aber, siehe nicht zuletzt der UNESCO-Beschluss, Ergebnis willkürlicher Festlegung.

Persönliches Beispiel
Freilich: Was so weit verbreitet ist wie der Rassismus und oft auch einen festen Platz im Unterbewussten eingenommen hat, ist oft nur langsam und mit viel Anstrengung zu ändern. Dazu ein persönliches Beispiel. „Natürlich“ halte ich mich persönlich für keinen Rassisten. Menschen aufgrund von Hautfarbe, Herkunft oder Sprache zu diskriminieren und auszugrenzen, liegt mir fern – eigentlich. An Weihnachten 2019 habe ich eine Schlüsselerfahrung gemacht. Ich war zur Aushilfe in unserer Pfarrei in Hamburg, einer sehr international geprägten Gemeinde. An einem Tag haben zwei kleine Mädchen ministriert. Sie haben nicht „deutsch“ ausgesehen. Was macht man in so einem Fall, wenn man vor der Messe noch ein bisschen plaudern will, um miteinander in Kontakt zu kommen? Erste Frage: „Wo kommt ihr denn her?“ – Sie haben mich groß angeschaut. Und sich vielleicht gedacht, was dieser komische Bayer überhaupt will. Und dann die Antwort: „Aus Hamburg.“ – Ich habe mich in Grund und Boden geschämt. Und ich schäme mich bis heute. 
Meine Frage hatte keinen bewusst-rassistischen Hintergrund. – Aber es war doch in gewissem Maß eine rassistische Frage: Ich habe jemanden aufgrund von Hautfarbe in eine Schublade gesteckt und hatte als Antwort „Afrika“ oder „Philippinen“ erwartet. 

Erst denken, dann sprechen
In der Rassismus-Diskussion wird das als Othering bezeichnet. Jemand wird zu einem „Anderen“ gemacht: Du bist anders, jetzt musst du dich rechtfertigen, erklären, begründen.
Der Journalist Mohamed Amjahid macht in seinem Buch „Unter Weißen“ (2017) darauf aufmerksam, dass selbst ein vermeintlich aufbauendes Argument wie „Du sprichst aber gut Deutsch!“ für den, der es hört, durchaus einen bitteren Beigeschmack haben kann: „Jemand sieht mich. Ordnet mich als Ausländer ein. Gibt mir von oben herab ein Kompliment.“
Mohamed Amjahid berichtet, was in solchen Alltagssituationen häufig geschieht: „Wir Deutschen“ verlangsamen unsere Sprache, lassen Verben weg – ahmen „Ausländerdeutsch“ nach. Und das mag nicht böse gemeint sein – aber im Ergebnis ist es durchaus das Gleiche.
Dahinter steckt, so Mohamed Amjahid, die Paternalismusfalle oder der Retterkomplex. An mir selbst habe ich das zum ersten Mal so richtig entdeckt, als ich in Würzburg während des Studiums mit indischen Brüdern Kontakt bekam. Die kamen aus dem „armen Indien“ und ich habe gemeint: „Jetzt muss man ihnen helfen!“ Bis ich schließlich gemerkt habe, dass offensichtlich viele dachten, dass man ihnen helfen müsse, und sie bald sehr viel mehr technische Geräte hatten als ich und ich begriffen habe, dass sie schon auch einigermaßen gut selbst zurechtkommen. Sie sind keineswegs nach Deutschland gekommen, um von uns Deutschen „gerettet“ zu werden…
Damit wird deutlich: Rassismus ist nicht nur eine Frage im fernen Amerika oder in der großen Politik. Jede/r ist selbst aufgefordert, sein Denken, sein Sprechen und Handeln auf den Prüfstand zu stellen. Eine Patentlösung für eine rassismusfreie Welt wird es nicht geben. Aber viel dürfte gewonnen sein, wenn ich für mich reflektiere: Wie kommt das, was ich sage und tue beim Andern an? Und das gilt sicher nicht nur für Fragen rund um den Rassismus… 
 

Unser Buchtipp:
Persönlich geschrieben, intelligent formuliert, gut lesbar – bisweilen schockierend, in jedem Fall Augen öffnend: das neue Buch des Journalisten Mohamed Amjahid. Er setzt sich ein für mehr Gerechtigkeit zwischen den Menschen und schreibt sein Buch „für alle weißen Menschen, die einen Wandel herbeiführen möchten“.

Mohamed Amjahid: 
Der weiße Fleck. Eine Anleltung zu antirassistischem Denken. Piper-Verlag, 224 Seiten, broschiert, € 16,00 (D), € 16,50 (A), CHF 23,90.

Zuletzt aktualisiert: 08. April 2021
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