Im Dienst der Heiligen
Der Monat November beginnt mit dem Hochfest „Allerheiligen“. Einen besseren Anlass könnte es kaum geben, um den neuen Generalpostulator der Franziskaner-Minoriten in Rom zu treffen. Unser Autor hat ihn vor kurzem am Sitz der Generalleitung des Ordens getroffen.
Generalkapitel einer Ordensgemeinschaft bringen es mit sich, dass Aufgaben neu verteilt werden. Hatte im Juni in Rom noch Br. Zdzisław Kijas für die versammelten Kapitulare den Bericht über seinen Dienst in den vergangenen Jahren vorgetragen, ist seine bisherige Aufgabe von der neu gewählten Generalleitung nun Br. Valdo Nogueira anvertraut worden.
Als ich Br. Valdo in Rom besuche, treffe ich ihn in seinem Büro im 2. Stock unserer Generalkurie an. Das Türschild lautet „Postulatore Generale“, Generalpostulator. Er ist künftig für die Selig- und Heiligsprechungsverfahren des Ordens zuständig, das heißt: Er sammelt Erkenntnisse über Leben und Werk von Brüdern, für die ein Kanonisationsverfahren angestrebt wird. Er sichtet ihre Schriften, trägt schriftliche und mündliche Zeugnisse von Zeitzeugen und aus Archiven zusammen und sorgt dafür, dass die möglicherweise künftig seligen beziehungsweise heiligen Personen unter den Gläubigen bekannter werden. Er prüft auch die Schwierigkeiten, die sich einem Heiligsprechungsverfahren entgegenstellen können, und verwaltet die finanziellen Mittel eines solchen Verfahrens. Denn der große Aufwand, der mit der genauen Prüfung im Rahmen eines solchen Verfahrens verbunden ist, will natürlich auch bezahlt sein.
Heilige des Ordens
Der Orden der Franziskaner-Minoriten mit seinen ihm verbundenen Frauen- und Laiengemeinschaften zählt aktuell 56 Personen, die als heilig und selig verehrt werden dürfen oder die sich mit der Kategorie „Verehrungswürdige“ oder „Diener Gottes“ in einer Vorstufe zum Seligsprechungsverfahren befinden. Für 17 Personen läuft aktuell das Kanonisationsverfahren. Von den 56 Schwestern und Brüdern, die im Heiligenkalender aufgenommen sind, zählen allerdings nur vier zu den Heiligen: Angela von Foligno (1248-1309), Josef von Copertino (1603-1663), Franziskus Antonius Fasani (1681-1742) und Maximilian Maria Kolbe (1894-1941).
Reliquienschatz
Im Archiv des Generalpostulators werden nicht nur die Akten der abgeschlossenen und laufenden Verfahren aufbewahrt, sondern auch die Reliquien der Seligen und Heiligen – auch solcher, die zur gesamten franziskanischen Familie gezählt werden, wie zum Beispiel der Gründer selbst, Franziskus, oder auch Antonius von Padua und Elisabeth von Thüringen. P. Valdo ist zum Beispiel ganz stolz, dass er als Generalpostulator einen Habit des hl. Franziskus hüten darf oder eine Kopfbedeckung des hl. Maximilian M. Kolbe.
Was die Reliquien betrifft, kommen dafür Anfragen aus der ganzen Welt. Es ist die Herausforderung des Generalpostulators, diese Anfrage zu prüfen und auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen: Wird eine Reliquie für die Ausstattung einer Kirche erbeten – oder fragt ein Reliquiensammler an, der sich damit schmücken möchte, von möglichst vielen Heiligen Erinnerungsstücke zu Hause zu sammeln?
Heilige in Warteschleife
Neben dem um das Jahr 1560 in Amberg geborenen P. Bartholomäus Agricola, der am 23. Mai 1621 in Neapel im Ruf der Heiligkeit starb, ist für den deutschen Sprachraum noch ein zweiter Name interessant: P. Léon Veuthey (siehe Foto). Er wurde am 3. März 1896 im schweizerischen Dorénaz geboren und absolvierte im mittelfränkischen Kloster Schwarzenberg 1921 sein Noviziatsjahr. Am 19. Oktober 1922 legte er seine Erstprofess ab; die Bindung an den Orden auf Lebenszeit folgte drei Jahre später in Fribourg. Dort wurde er am 16. August 1925 zum Priester geweiht. Er unterrichtete am Kolleg „Père Girard“, dann wirkte er mehrere Jahre als Professor in Rom. Mystische Theologie, Religionsgeschichte und die Gedankenwelt des hl. Bonaventura waren seine Spezialgebiete. Er hatte enge Beziehungen zur Fokolar-Bewegung und wirkte mehrere Jahre als Generalassistent. Zwischen 1954 und 1965 wirkte er als Pfarrseelsorger in Bordeaux, bevor er wieder zurück nach Rom geschickt wurde, um die Aufgabe des Spirituals am Kolleg Seraphicum zu übernehmen. Mit 78 Jahren starb er, an Parkinson erkrankt, am 7. Juni 1974. Der Vor-Vorgänger von Br. Valdo als Generalpostulator, Br. Damian-Gheorge Pa˘tras¸cu, zählt ihn zu den „bedeutendsten Minoriten des 20. Jahrhunderts“. Trotz aller schwierigen Umstände seines Alltags verkündete er den Glauben durch ein Leben des Gebets und der Treue zur franziskanischen Regel und wurde für Viele zum geistlichen Führer: „Er war ein Mann von großer Hoffnung, und im Lichte dieser Hoffnung ging er seinen Weg der Heiligkeit in der ständigen Sehnsucht nach dem himmlischen Jerusalem.“ Am 17. März 2021 unterzeichnete Papst Franziskus das Dekret über den „heroischen Tugendgrad“, womit eine Hürde auf dem Weg zur Seligsprechung genommen ist.
Beide – P. Bartholomäus und P. Léon – warten nun gewissermaßen auf ein Wunder, das auf ihre Fürsprache hin geschieht: eine notwendige Voraussetzung, um zur Ehre der Altäre erhoben zu werden.
Br. Valdo, du bist schon seit vielen Jahren in Rom – und wurdest jetzt am 26. Juli 2025 zum Generalpostulator des Ordens ernannt….
Ich lebe seit Juli 2021 in Rom. Damals bat mich unser Generalminister um meine Zustimmung, in die Generalkurie versetzt zu werden. Ich bekam dann die Aufgabe des Pfarrvikars in unserer Pfarrei Santi XII Apostoli anvertraut. Meine Wurzeln liegen im Nordosten Brasiliens, wo ich geboren wurde und wo mein Berufungsweg begann, der mich im Jahr 2000 zum Eintritt in den Orden führte. Nach dem Noviziat im Jahr 2002 und der zeitlichen Profess im Jahr 2003 wurde ich 2009 zum Priester geweiht. In den folgenden Jahren habe ich in der Kustodie San Bonaventura in Brasilien in verschiedenen Aufgaben gearbeitet, von der Pfarrarbeit bis hin zur Verantwortung als Vikar der Kustodie und Mitglied der Provinzleitung. Dieser Weg, reich an pastoralen und brüderlichen Erfahrungen, hat mich darauf vorbereitet, den neuen Dienst, der mir nun anvertraut worden ist, mit Bereitschaft und Vertrauen anzunehmen.
Muss man sich als Generalpostulator bewerben? Oder wird man ausgewählt?
Auf keinen Fall: Man bewirbt sich natürlich nicht! Zumindest war das bei mir nicht so: Ich habe mich nicht für dieses Amt „beworben”, sondern habe es als eine Entscheidung angenommen, die in erster Linie vom Herrn und dann auch von den Oberen getroffen wurde. Alles begann 2019, als ich in meiner Kustodie zum Vize-Postulator der Causa des Dieners Gottes P. Antonio Sinibaldi ernannt wurde. Um mich darauf vorzubereiten, kam ich 2020 nach Rom, um einen Kurs des Dikasteriums für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse zu besuchen: Das war der erste Schritt, der mich auf diesen Weg gebracht hat. Nichts im Leben geschieht zufällig. Im Jahr 2023 hat mich der Generalminister, P. Carlos Trovarelli, zum stellvertretenden Generalpostulator ernannt: Ihm gilt meine tiefe Dankbarkeit für sein Vertrauen und seine Unterstützung, die ich als konkrete Zeichen der Vorsehung betrachte.
Was fasziniert dich an den Heiligen?
Was mich an den Heiligen am meisten fasziniert, ist ihre Menschlichkeit. Es mag widersprüchlich erscheinen, aber die Heiligkeit beseitigt nicht die menschlichen Grenzen und Schwächen, sondern verwandelt sie. Oft denkt man, dass die Heiligen schon perfekt geboren wurden, fast immun gegen Schwierigkeiten. In Wirklichkeit haben sie Prüfungen, Mühen und Missverständnisse erlebt und gerade dort gelernt, im Vertrauen auf Gott zu leben. Papst Franziskus erinnert uns in Gaudete et exultate daran, dass die Heiligkeit eine Berufung für alle ist und sich oft im einfachen, alltäglichen Leben „nebenan“ zeigt. Ich denke zum Beispiel an den hl. Franziskus Antonius Fasani, der ein Mann des Volkes war und Studium, Gebet und konkrete Nächstenliebe miteinander verband, oder an den hl. Maximilian M. Kolbe, der die evangelische Nächstenliebe bis zum Äußersten lebte, indem er sein Leben für einen anderen opferte. Diese Beispiele geben mir das Gefühl, dass Heiligkeit kein abstraktes Ideal ist, sondern ein konkreter Weg, der auch mich herausfordert.
Womit wirst du dich als Generalpostulator am meisten beschäftigen müssen?
Meine erste Aufgabe als Generalpostulator ist es, die „Fälle“ unseres Ordens aufmerksam und engagiert zu verfolgen, damit unsere Heiligen, Seligen, Ehrwürdigen und Diener Gottes bekannt und verehrt werden. Es ist wichtig, die Verehrung der Heiligen zu fördern und unsere Seligen, Ehrwürdigen und Diener Gottes bekannt zu machen, damit sie durch ihren Ruf der Heiligkeit und ihre Fürsprache weiterhin Gnaden und Wunder wirken können, die sie zur Heiligsprechung führen. Mein Wunsch ist es, ihr Zeugnis lebendiger zu machen, indem ich zeige, wie die Heiligen das Außergewöhnliche im Alltäglichen ihres Lebens gelebt haben und wie ihre Glaubenserfahrung auch heute noch unseren Weg erhellen und ermutigen kann. Konkret wird meine Verantwortung in der Archivarbeit, in der Pflege von Dokumenten und Berichten (Positio), im brüderlichen Austausch mit den Diözesen und den Vize-Postulatoren und in der Nutzung pastoraler und kultureller Mittel – wie Konferenzen, Veröffentlichungen, Veranstaltungen – bestehen, um diese Persönlichkeiten ins Bewusstsein der Gläubigen zu rücken. Es ist ein Dienst, der Sorgfalt und Hingabe erfordert und den ich als Erweiterung meines Glaubensweges und meiner Berufung betrachte.
Haben P. Léon und P. Bartholomäus eine Chance, in den nächsten Jahren seliggesprochen zu werden?
Wir hoffen es: P. Léon Veuthey und P. Bartholomäus Agricola sind von der Kirche bereits als ehrwürdig anerkannt und warten auf die Anerkennung eines Wunders, um seliggesprochen werden zu können. P. Léon Veuthey, ein Schweizer Franziskaner-Minorit, war ein Lehrer des spirituellen Lebens und Zeuge einer tiefen Vereinigung mit Gott. P. Bartholomäus Agricola, Priester und Missionar, hat sein ganzes Leben in den Dienst des Evangeliums und seiner Brüder gestellt. Es ist wichtig, das Wissen über ihr Leben und ihr Zeugnis zu verbreiten, damit das Volk Gottes ihre Fürsprache anrufen kann. Durch diese Verehrung können Gnaden und Wunder geschehen, Zeichen der Heiligkeit, die die Kirche dann offiziell anerkennt. Ich möchte auch allen danken, die schon für ihre Seligsprechung beten: Das ist eine wertvolle Unterstützung, die den Weg der Kirche bei der Anerkennung der Heiligkeit ihrer Kinder begleitet.
Wie lange dauert normalerweise eine Heiligsprechung? Was sind die einzelnen Schritte, bis es so weit ist?
Die Zeit bis zur Heiligsprechung ist nie gleich: Sie kann sehr kurz sein oder Jahrhunderte dauern. Alles beginnt mit einer einfachen, aber grundlegenden Sache: dem Ruf der Heiligkeit, d.h. der Wahrnehmung des Volkes Gottes, dass diese Person das Evangelium auf außergewöhnliche Weise gelebt hat.
Von da an beginnt der offizielle Prozess: Die Person wird zum Diener Gottes, und alle Unterlagen über ihr Leben werden gesammelt. Wenn der Papst dann anerkennt, dass sie auf heldenhafte Weise die christlichen Tugenden gelebt oder ihr Leben als Märtyrer gegeben hat, wird sie für verehrungswürdig erklärt. Um selig gesprochen zu werden, braucht es ein Wunder (außer bei Märtyrern, die auch ohne Wunder seliggesprochen werden können, d.h. nachdem ihr Martyrium anerkannt wurde), und um heiliggesprochen zu werden, verlangt die Kirche in der Regel ein zweites Wunder, das nach der Seligsprechung geschehen ist.
Die Beispiele zeigen diese Vielfalt gut: Der hl. Franz von Assisi wurde in nur zwei Jahren heiliggesprochen, so groß war der Ruf der Heiligkeit, der ihn umgab. In anderen Fällen ist der Weg hingegen sehr lang: denken wir an Persönlichkeiten von großer spiritueller Tiefe, die nach Jahrhunderten noch immer auf die offizielle Anerkennung warten.
Es gibt auch Sonderfälle: Bei Johannes Paul II. hat die Kirche zum Beispiel eine Ausnahmeregelung gemacht, um den Prozess zu beschleunigen, während Papst Johannes XXIII. ohne das zweite, eigentlich erforderliche Wunder heiliggesprochen wurde, weil er so wichtig für das Leben der Kirche war.
Anstatt von Standardzeiten können wir also eher von einem Weg sprechen, der aus Unterscheidung und Hören auf den Heiligen Geist besteht und mit der Geschichte, dem Glauben und dem Leben des Volkes Gottes verflochten ist.
Was müssen wir tun, um heilig zu werden?
Heiligkeit ist vor allem eine Erfahrung der unentgeltlichen Liebe Gottes. Wir dürfen Heiligkeit nicht nur als die der heiliggesprochenen Heiligen betrachten, denn alle Christinnen und Christen sind zur Heiligkeit berufen. Die Kirche schlägt offiziell einige als Vorbilder vor, aber es ist unmöglich, einen Heiligsprechungsprozess für alle vorzusehen, die treu nach dem Evangelium gelebt haben.
Um heilig zu werden, geht es darum, sein Leben so zu leben, dass Christus immer im Mittelpunkt steht. Das heißt, sich von seinem Wort und seiner Gnade leiten zu lassen, damit auch in den Stürmen des Alltags nie das Vertrauen fehlt, dass der Herr mit uns geht. Er ist es, der mit seiner Gegenwart die Stürme beherrscht und die menschliche Schwäche in eine Gelegenheit der Gnade verwandelt.
Der hl. Franz von Assisi sagte seinen Brüdern, sie sollten das Evangelium „sine glossa“ leben, also ohne etwas hinzuzufügen oder wegzulassen: der einfachste und radikalste Weg für jeden Getauften, der nach Heiligkeit strebt.