Kommunikation auf neue Art

03. Mai 2021 | von

Eine Dienstbesprechung via Online-Konferenz, ein Familientreffen in digitaler Form oder ein Videoanruf bei den Angehörigen im Pflegeheim: Viele Menschen haben in den vergangenen Monaten mit neuen Kommunikationswegen Erfahrungen gesammelt. 

Vielleicht können Sie es nicht mehr hören: „Corona“ wird unser Leben verändern. Dieser Satz ist im Futur formuliert. Das ist gut so, denn wir wissen noch nicht, wie die Pandemie sich auswirken wird auf unser Leben. Wir stecken mittendrin. Objektivieren, die Situation analytisch von außen zu betrachten, ist nur begrenzt möglich, wenn man inmitten eines ungewohnten Prozesses steckt, ohne auf Erfahrungsreserven zurückgreifen zu können. Wir alle fremdeln seit einem Jahr mit unserem Leben auf Distanz.

Gesuchte und verordnete Distanz
Distanz – Distanz auch zu Familienangehörigen und Freunden, wer hätte sich das nicht schon einmal gewünscht, wenn es einfach zu eng wird oder uns der andere auf die Nerven geht. Für sich sein, sich nicht ärgern zu müssen, nicht genervt werden… „social distancing“ – normalerweise genießen wir das in unserem Leben, ziehen uns immer mal wieder zurück. Die Distanz aber, die seit mehr als einem Jahr gefordert ist, hat eine andere Qualität. Sie ist nicht selbst gewählt, sondern verordnet. 
Jedes Ver- oder Ge-bot bringt meistens Stress mit sich, weil wir immer mit Sanktionen rechnen müssen. Eine vielsagende Szene spielte sich vor einigen Wochen im Deutschen Bundestag ab, als die Kanzlerin feststellte, dass sie ihre FFP2-Maske vergessen hatte. Man sieht ihr das Erschrecken förmlich an, als sie die fehlende Maske bemerkt. 

Körperkontakt und Online-Lösungen
Wir haben meistens unsere alltägliche Form von körperlicher Nähe und Distanz gefunden – passend zu unserer jeweiligen Lebensform. In der Pandemie sind diese alltäglichen Formen nicht mehr möglich. Für mich als Ordensmann gab es in den letzten zwölf Monaten exakt zwei Situationen, in denen ich einen körperlichen Kontakt hatte: Beim Zahnarzt und bei einer Taufe, als mir der Täufling die Maske vom Gesicht riss. 
Für viele Menschen waren Treffen, Sitzungen oder Konferenzen nicht mehr möglich. Und am Horizont erschien eine neue Form des Kontakts, eine Form, ungewohnt, aber auch spannend. Sie bot neue Einblicke, bereitete aber auch stressige technische Probleme. Online geht plötzlich vieles: Neue Möglichkeiten tun sich ebenso auf wie Grenzen, die sichtbar werden.
Im Folgenden soll es um Videokonferenzen und ähnliche Formate, wie etwas Chats oder Telefonkonferenzen, gehen. Nicht berücksichtigen kann ich die vielfältigen Formen von gestreamten Gottesdienstformaten. Das ist ein eigenes Feld, auf dem viel Gutes getan wird; ein Feld, das aber auch manchmal enge Grenzen hat. Der Mut einzelner Akteure ist beeindruckend. Manchmal ist es aber tatsächlich grenzwertig, was man da im ersten Lockdown sehen konnte. 

Entgrenzte Kommunikation
Was vorher so nicht möglich war: Man unterbricht eine Sitzung, um an einer anderen Konferenz teilzunehmen, obwohl sich die Teilnehmenden an ganz unterschiedlichen Orten aufhalten. 
Grenzen der Zeit sind nicht aufgehoben, aber wohl die Grenze des Raumes. Wir können nahezu von jedem Ort, wenn es denn ein „Netz“ gibt, mit anderen Menschen über Video sprechen, wir können Texte miteinander anschauen und umgestalten.  
Als Verantwortlicher für die Finanzen meiner internationalen Ordensgemeinschaft wäre ich in den letzten zwölf Monaten mindestens sechs Mal von Düsseldorf nach Rom geflogen, um an den Generalleitungssitzungen teilzunehmen. Es hätte ein Besuch in Madagaskar angestanden und ein internationales Treffen der Mitbrüder in La Salette, in den französischen Alpen. Allein für die Flüge nach Rom hätte ich 2,8 t CO2 verursacht. Nun klicke ich drei Mal und bin über „Zoom“ mit den Mitbrüdern in der Generalleitung verbunden. 
Normalerweise hätte ich mich um kurz vor 7:00 Uhr ins Auto gesetzt, wäre zum Flughafen Düsseldorf gefahren. Der Flug dauert mit allem knapp zwei Stunden. Ein Mitbruder hätte mich am Flughafen in Rom abgeholt und ich hätte mit den Mitbrüdern um 13:00 Uhr zu Mittag gegessen. Dann hätte ich Zeit gehabt, anzukommen, Berichte oder Sitzungsunterlagen zu lesen, einen Spaziergang am Tiber zu machen... Wir hätten letztlich fünf Stunden für die Sitzung gebraucht und ich wäre dann drei oder vier Tage in Rom gewesen. Nahezu eine Woche mit Vorbereitungen, Ankommen, Arbeiten, Packen, wieder zu Hause ankommen. Für die Besprechung der Finanzberichte der Provinzen und Delegationen haben wir in der Generalleitung via Zoom im Mai 2020 lediglich einen einzigen Tag gebraucht, mit üppiger Mittagspause. 
Die neuen Online-Formate ermöglichen ein effektives Arbeiten in den Bereichen von 
- Informationsaustausch, 
- Beurteilungen von Vorgängen, 
- Entwicklung nächster Arbeitsschritte 
- Terminmanagement.
Auch Entlastungen für die Gesundheit sind Früchte der Coronakrise. Für eine Vorstandssitzung des Solidarwerks, meistens in Würzburg, hätte ich acht Stunden im Auto gesessen, um die Sitzung von drei bis vier Stunden Dauer zu leiten. 

Nähe, auch in der Distanz
Wir können via Zoom miteinander und füreinander präsenter sein als über Briefe, E-Mail oder Telefon. Die Informatiker Carman Neustaedter und Saul Greenberg haben im Jahr 2012 Möglichkeiten von Paaren untersucht, die in einer Fernbeziehung leben müssen, aber über Zoom oder Skype verbunden waren (Die Zeit, 2020, 23. Ausgabe). Um zu spüren, der andere ist da für mich, haben Paare zum Beispiel miteinander Brettspiele gespielt, Fotos auf dem Bildschirm angeschaut oder online miteinander in der jeweiligen eigenen Küche gestanden und gekocht. Es ist eine Form von Verbundenheit und Miteinander möglich, wenn auch nicht so, als wenn man leibhaftig miteinander wäre. 
Grundsätzlich würde ich allein die Tatsache, dass man sich sieht, dass man in einem Forum etwas beitragen kann und miteinander in Kontakt sein kann, als positiv ansehen. Die Form über Chat und Videokonferenzen kann sehr entlastend sein, sehr hilfreich und mehr als eine Notlösung. 

Grenzen 
Natürlich sind die Formate nicht für alles, was man miteinander besprechen oder aushandeln muss, geeignet. In einer Videokonferenz erlebe ich die anderen Teilnehmenden nicht unmittelbar. Es fehlt das Unmittelbare der normalen Gesprächssituation. 
Bei einer Ausbildungseinheit für angehende Ordenspriester, für die ich zuständig bin, musste die „Einführung in die Seelsorge“ letztes Jahr als Videokonferenz gestaltet werden. Es war mindestens doppelt so anstrengend, als die Inhalte und Haltungen des Pastoralseminars bei einer Präsensveranstaltung zu vermitteln. 

Fehlende Resonanz 
Bei einer Präsenzveranstaltung bekommt der Referierende viel unmittelbarer mit, ob Teilnehmende noch bei der Sache sind. Unruhe wird spürbar. Wir sagen ja, dass etwas in der Luft liegt, die Atmosphäre knistert. Das zu spüren, ist über eine Videokonferenz oder beim Distanzunterricht nur schwer möglich. Kommunikationswissenschaftler und Psychologen weisen immer wieder darauf hin, dass wir ganz wichtige Signale des Gegenübers unterhalb der bewussten Wahrnehmung mitbekommen. Außerdem nehmen wir diese Gefühlsregungen und andere Signale innerhalb von Millisekunden wahr. Auch das ist online nicht möglich. Unter dem Stichwort „Wahrnehmungstheorie“ findet man im Internet eine Fülle guter Literatur. 
Wir haben als Sprecher oder Handelnde ein großes Sensorium dafür, wenn uns zugestimmt wird oder wir eher Skepsis und Vorbehalt auslösen. 

Emotionen und Körperlichkeit 
Ein Bild von einem Teilnehmer bei einer Videokonferenz hat nichts mit körperlichem Ausdruck zu tun. Bei Videokonferenzen sieht man sich nur abgeschnitten – den Kopf und einen Teil des Oberkörpers. Wir bekommen keinen vollständigen Eindruck vom anderen. Manchmal kann man Angst oder Angespanntheit förmlich riechen, wenn wir uns leibhaftig in einem Raum befinden. 
Ich erinnere mich an ein Treffen via Zoom mit Freundinnen und Freunden. Ein Thema, das einfach auftauchte, brachte eine Freundin zum Weinen, und wir saßen vor dem Bildschirm und konnten nichts tun, jedenfalls nicht unmittelbar. Leibhaftig hätte bestimmt jemand Körperkontakt aufgenommen, die andere in den Arm genommen. Bei Zoom gibt es diese Funktion nicht. 

Holprige Kommunikationswege
Normalerweise sieht man sich selbst nicht zu, wenn man spricht. Das ist bei Skype oder Zoom befremdlich. Matthias Sellmann, Pastoraltheologe an der Ruhr-Uni in Bochum, hat vor Kurzem darüber auf dem Portal katholisch.de geschrieben. Interessante Einblicke können Sie dort bekommen. 
Mir fällt es immer noch schwer, mir bei einer Videokonferenz selbst zuzuschauen.

Blickkontakte
Katrin Schoenenberg, Psychologin an der Bergischen Universität Wuppertal, hat in einem Interview gesagt: „Der Blickkontakt ist es, der beim Videoanruf besonders fehlt. Normalerweise ist er der Hauptanker für unsere Kommunikation. Er aktiviert das soziale Gehirn – ein Netzwerk von Hirnregionen, die nonverbale Signale wie Bewegungen, winzige Veränderungen der Stimme oder Mimik verarbeiten und uns reagieren lassen. Fällt dieser Schlüsselreiz weg, ist man weniger aufmerksam. Aber in die Kamera zu schauen – auf diesen kleinen Punkt über dem Bildschirm – ist nicht gerade das, was man intuitiv tun möchte. Die Reaktionen der Kollegen, Freunde oder Familie sieht man schließlich auf dem Bildschirm darunter.“ (Die Zeit, 2020, 23. Ausgabe) Und vor allem fehlt der Smalltalk. Manchmal sind ja die Gespräche am Rande einer Präsenzveranstaltung wertvoller als die eigentliche Sitzung. 

Empathie 
Es ist noch nicht gänzlich erforscht, ob wir in Gesprächssituationen über Video wirklich Empathie entwickeln können. Mitarbeitende in der Telefonseelsorge werden besonders geschult, um möglichst viel von dem Ratsuchenden am anderen Ende der Leitung mitzubekommen. Sehr Erfahrene wissen aber auch um die Grenzen der Möglichkeit, wirkliches Mitgefühl, echte Empathie zu entwickeln, besonders wenn man den Gesprächspartner nicht kennt, ihm zum ersten Mal begegnet. 

Auf was man achten muss...
Traf man sich vor der Pandemie vorwiegend in Büros, im Sitzungszimmer, im Cafe oder beim Essen, ist man bei einer Videokonferenz bei anderen Leuten zu Hause, sieht die Wohnungseinrichtung, die Bilder an der Wand und Bücherregale. Andere Menschen leibhaftig zu besuchen, sie in ihrer Privatsphäre aufzusuchen, lässt uns eher vorsichtig sein. Wir gehen behutsam ins Private. Solche Wertschätzung braucht es auch, wenn wir digital bei anderen zu Gast sind. 
Auch wir selbst müssen achtsam mit uns selbst in solchen Situationen umgehen. 

Rahmen
„Auf einmal sind ganz viele fremde Leute in meinem Zimmer.“ Das sagte mir eine befreundete Ordensfrau. Nicht wenige Ordensleute leben auch heute noch in einer Art von Klausur. Es ist selbst in Konventen ohne ausdrückliche Klausur nicht üblich, Besuch in den eigenen vier Wänden zu bekommen. Hier wird die Privatsphäre auch der mitbewohnenden Schwestern und Brüder geachtet. Plötzlich habe ich virtuell vielleicht sogar Fremde in meinem Zimmer, in meinem Büro, in einem Sitzungsraum. 
Nach Videokonferenzen mit Mitbrüdern aus der Generalleitung erlebe ich das besonders stark. Während der Sitzung gibt es Gebete und Arbeitsphasen. Ich kann an Vertrautes anknüpfen, aber am Ende bin ich geschafft, weil ich aus dem Stand das Ganze auch noch in einer Fremdsprache hinbekommen muss. Mittlerweile habe ich kleine Rituale entwickelt, um die Brüder wieder „loszuwerden“: 
- Fenster und Türen aufmachen 
- einen kleinen Spaziergang machen
- ganz bewusst mich auch innerlich verabschieden. 
Hilfreich kann es sein, für eine Videokonferenz auch ganz bewusst die Garderobe zu wechseln. 
Treffen, Sitzungen und Konferenzen in Form von leibhaftiger Präsenz sind wir gewohnt. Meistens haben die Treffen auch eine feste Form, einen Rahmen. Bei den digitalen Formaten sind wir meistens zu Beginn nicht mit Kommunikation miteinander beschäftigt, sondern müssen technische Probleme lösen. Das frisst Aufmerksamkeit, Geduld und Spaß. Da müssen wir noch besser werden und die Anbieter auch. 
Digitale Formate sind anstrengender als leibhaftige. Es braucht Pausen, Gelegenheiten, um die Sitzung zu unterbrechen, Video und Mikro auszuschalten. 

Unser Autor
P. Michael Baumbach MSF, Jahrgang 1965, trat 1985 in den Orden der Missionare von der Heiligen Familie ein. Im Jahr 1991 wurde er zum Priester geweiht. Er ist verantwortlich für die Leitung des Pastoralseminars in Münster und seit dem Jahr 2013 Generalökonom seiner Gemeinschaft.

Zuletzt aktualisiert: 03. Mai 2021
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