Lieber Bruder Antonius....

27. April 2020 | von

Mit einer Serie von Briefen widmen wir uns einem historischen und folgenreichen Ereignis: Vor 800 Jahren schließt sich der Augustiner-Chorherr Fernando der neuen Gemeinschaft der Minderen Brüder an. Als Antonius von Padua gehört er heute zu den bekanntesten Heiligen der Kirche.

Lieber Bruder Antonius!

Mittlerweile darf ich dich also ganz offiziell so nennen. Denn vor 800 Jahren ist aus dem Augustiner-Chorherren Fernando nun der Minderbruder Antonius geworden. Ein junger Mann, der eigentlich jetzt schon zum zweiten Mal ausgestiegen ist: Von der wohlhabenden, angesehenen Familie ins Kloster – und schließlich von der sicheren Existenz als einer der berühmten Chorherren zu den noch völlig unbekannten, umherziehenden Minderbrüdern, die in Assisi um Franziskus ihren Ursprung nahmen. Eine junge Gemeinschaft ohne viel Erfahrung und mit noch weniger Geschichte, aber eine Gruppe von rasch zahlreicher werdenden Brüdern, die ihr Leben voll Leidenschaft in den Dienst Gottes stellen. 
Und es war ja schon die Rede von Berard und seinen Gefährten, die nach Marokko gezogen sind, um für den katholischen Glauben zu missionieren, und die schließlich als Märtyrer auf europäischen Boden zurückkehrten. Du warst ganz offensichtlich fasziniert, ergriffen, begeistert von einer derartigen Bereitschaft, alles, und wirklich alles, für den Glauben zu geben. Und du scheinst dann ja auch gar nicht weit entfernt zu sein, mit dem gleichen Einsatz dein Leben für Jesus zu riskieren. Aber wieder einmal kommt es anders...

Einer deiner Biografen, der Verfasser der Rigaldina, schreibt in kurzer Zusammenfassung: „Nachdem alle notwendigen Schritte nach dem Ordenseintritt getan waren, verging noch eine kurze Zeit und da erhielt er die Erlaubnis, in das Land der Sarazenen zu gehen, um öffentlich den Heiden Christus zu predigen und sich mitten unter ihnen als Opfer anzubieten, damit die Wahrheit des Glaubens bezeugt sei, durch die Liebe Christi, der sich für uns auf dem Altar des Kreuzes hingegeben hat.
Aber Christus, die ewige Weisheit, die sich mit Macht von einem Ende zum andern Ende der Welt erstreckt und alles mit Milde bestimmt, hat anders entschieden, und bewahrte Antonius für eine größere Mission und bereitete ihn darauf vor. In der Zeit, als er unter den Sarazenen lebte, konnte er seinen Vorsatz nicht verwirklichen, da der Wille Gottes ein anderer war, auch wenn Antonius keine Kräfte sparte, um die Palme des ersehnten Martyriums zu erreichen. Geschlagen von einer langen und schweren Erkrankung, wurde es ihm bewusst, dass er gemäß seinem innigen Wunsch nichts tun konnte, und er sah sich gezwungen, in die Gebiete der Christen zurück zu kehren. Dennoch erlitt er, der sich selbst an das Kreuz der Buße zusammen mit Christus genagelt hatte, der für Christus lebte und der Welt starb, ein unaufhörliches Martyrium. Folglich: Als er sein gescheitertes Vorhaben sah, entschied er, nach Spanien zurückzukehren.“

Ich muss gestehen, dass ich immer ein bisschen schmunzeln muss, wenn ich so etwas lese. Der Biograf weiß natürlich schon, wie deine Geschichte weitergeht und wie Großes noch vor dir liegt. Aber es ist doch alles ein bisschen knapp zusammengefasst und vielleicht ein bisschen zu „glatt“. 
Eigentlich nämlich erlebst du da gerade ein großes Scheitern, vielleicht sogar das größtmögliche: die sichere Existenz aufgegeben, dem Traum, der Sehnsucht gefolgt – und dann geht alles schief. Die Krankheit kommt dazwischen. Der Traum von der radikalsten Jesus-Nachfolge: geplatzt. 
Mich erinnert dieser Lebensabschnitt an den Gründer unserer Gemeinschaft. Als er auf der Suche nach seinem Platz im Leben eines Tages glaubt, seine Bestimmung wäre es, Ritter werden zu müssen, und dieser Traum schließlich die Zustimmung der Eltern findet, da gerät gleich sein erster Kriegseinsatz zum Desaster. Assisis Bürger verlieren gegen Perugia, Franziskus gerät in Gefangenschaft. Lebenstraum kaputt.

Eine spannende, ganz praktische Frage wäre – ganz jenseits der Überlegung, wie du dieses Scheitern wohl innerlich verarbeitet hast: Wie konntest du die Krankheit im fernen Land überleben?
Naheliegend dürfte die Annahme sein, dass deine Gefährten für dich sorgten, so gut und so lange es eben ging. Bruderschaft ist ja kein theoretisches Konstrukt, kein bloßes missionarisches Einsatzteam, sondern auch eine Lebensgemeinschaft, in der einer für den anderen einsteht. Vielleicht konntet ihr auch auf die Hilfe von portugiesischen Kaufleuten in Marokko zurückgreifen. Solidarität unter Landsleuten ist im Ausland ja oft ein hilfreiches Gut. Vorstellbar ist aber auch, dass du in deiner Krankheit Hilfe von den Einheimischen bekamst – trotz der Religionsunterschiede und deines ursprünglichen Wunsches, möglichst viele Muslime für das Christentum zu gewinnen. Gut möglich, dass du nun zum Nutznießer der muslimischen Barmherzigkeit geworden bist. Durch die Forderung des Almosengebens sind auch Muslime zu dem verpflichtet, was wir Christen unter dem Begriff der „Nächstenliebe“ zusammenfassen. Ein überlieferter Hadith wird da ziemlich deutlich: „Diejenigen, die nicht barmherzig sind, werden keine Barmherzigkeit erlangen.“
Eine sichere Antwort wird es auf diese Frage wohl heute nicht mehr geben können – ebenso wie auf die Spekulation, wie es dir gelungen ist, die Hoffnung nicht aufzugeben und irgendwann sogar zu der Einsicht zu kommen, dass du deinen Traum vom Martyrium in Marokko nicht wirst verwirklichen können. Denn schließlich, so berichtet dein Biograf, entscheidest du dich für das Zurück – zurück nach Spanien. Es klingt für mich wie ein versöhntes Einverständnis, dass dein Traum gescheitert ist. 

Und dann wird es wohl wieder ganz praktisch darum gehen, ein Schiff zu suchen und die Rückreise zu organisieren. Das Ziel, so berichtet der Verfasser der Rigaldina, ist Spanien und von dort wirst du wohl geplant haben, nach Portugal zurückzukehren. Aber die Minderbrüder haben noch keine stabilen Klöster – du wirst kaum eine Adresse in der Hand haben, wo du sicher sein könntest, dort erwartet zu sein. Bei den Augustiner-Chorherren wäre das alles ein klarer Fall, aber in deiner neuen Gemeinschaft? Franz von Assisi legt mit seiner radikalen Jesus-Nachfolge ja gerade Wert darauf, dass die Brüder kein festes Zuhause haben, auch um sich ganz konkret bewusst zu halten, dass die letztliche Heimat des Menschen bei Gott ist. Theoretisch dürfte so etwas immer klar sein, aber ich kann mir gut vorstellen: Wenn man in Not ist, wäre man sicher erst einmal froh, einen sicheren Hafen zu haben.
Und dann kommt vielleicht noch die Sorge hinzu: Was werden die sagen, die dich kennen – die sich noch erinnern an deinen leidenschaftlichen Missionseifer und die dich jetzt als Gescheiterten zurückkommen sehen. Mit dem ein oder anderen spöttischen Kommentar dürfte da wohl zu rechnen sein. Ich kann mir vorstellen, dass in dir so einiges los ist – dass du aber dich wohl getragen weißt von dem Gott, für den du alles aufzugeben bereit warst. 
Wie auch immer: Irgendwann wirst du das Schiff bestiegen haben. Das Kapitel Marokko ist abgeschlossen. Vor dir liegt die Überfahrt nach Spanien. Und dann wird es irgendwie neu losgehen. Irgendeine Lösung wird sich finden auf der heimischen Halbinsel. Dass wieder einmal alles anders kommt, wird dich kaum noch überraschen. 
Aber für heute soll es nun genug sein. 

Ich grüße dich herzlich: Bis zum nächsten Mal!

Dein Bruder Andreas

 

Zuletzt aktualisiert: 27. April 2020
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