Siegen verboten

12. Februar 2017 | von

Die italienische Ausgabe des Sendboten hat in einem Beitrag über Johann Trollmann berichtet. Gerne übernehmen wir dieses Thema auch für unsere deutschsprachige Ausgabe.

Wirklich große Menschen sterben nie. Und wenn sie doch einmal vergessen werden sollten, taucht ihre Geschichte irgendwann wieder auf, wie die des Johann Trollmann, einer der talentiertesten Boxer im Deutschland der 1930er-Jahre (siehe Foto links). Ein Zigeuner aus der Gruppe der Sinti, der im Juni 1933 Deutscher Meister im Halbschwergewicht wurde – just zu dem Zeitpunkt, als sich Adolf Hitlers Macht zunehmend verfestigte und „nicht-arische“ Volksgruppen mit immer mehr Einschränkungen und Verfolgungen zu rechnen hatten. 
Seine Geschichte fesselte auch den italienischen Nobelpreisträger für Literatur, Dario Fo (1926-2016), der Trollmann ein Buch mit dem Titel „Razza di Zingaro“ widmete, oder die Macher des 2013 erschienen Dokumentarfilms „Gibsy – Die Geschichte des Boxers Johann Rukeli Trollmann“.

Talentierter Boxer
Die Biografie Johann Trollmanns zu rekonstruieren, der auf den Spitznamen „Rukeli“ hörte, was in der Sprache der Sinti und Roma so viel wie „Baum“ bedeutet, ist kompliziert. Nicht selten vermischen sich Wirklichkeit und Legende. Die Erinnerung wird bei den Sinti mündlich weitergetragen und nicht selten je nach Bedarf ausgeschmückt. Sicher weiß man aber, dass Johann im Jahr 1907 geboren wurde. Mit seinen acht Geschwistern wächst er in der Nähe von Hannover auf und steht dort mit acht Jahren bereits im Ring. Seine Trainer ahnen instinktiv seine phänomenale Begabung. Er entwickelt einen leichten, eleganten, beinahe tänzerischen Boxstil. So gelang es ihm, dem Gegner kaum ein Angriffsziel zu geben und ihn dann geschickt auszukontern. Ähnlich wird später einmal Muhammad Ali boxen – und siegen. 
Dank seines Managers Ernst Zirzow kommt Trollmann 1929 nach Berlin, mitten hinein in die goldenen Jahre des Boxsports. Der sehr attraktive Boxer erkämpft sich im Jahr 1930 
13 Siege, einen nach dem anderen. Doch schon 1928 war er vom Boxverband nicht für die Olympischen Spiele in Amsterdam nominiert worden – wohl ein Vorbote der nationalsozialistischen Rassenideologie. 

Gewaltsam beendete Karriere
Sein Deutscher Meisterschaftstitel im Halbschwergewicht, den er am 9. Juni 1933 in der Bockbrauerei in Berlin erkämpft, er passt da nicht ins Konzept. Verbandschef Georg Radamm, der schon im Verlauf des Kampfes Johann Trollmann gegen Adolf Witt den für den Sieger bestimmten Ehrenkranz verschwinden ließ, wollte sich weigern, den nach Punkten klaren Sieger offiziell als solchen zu küren. Das Publikum, noch nicht völlig infiziert von der Rassenideologie, protestierte lautstark, und es blieb dem Verband nichts anderes übrig – und Rukeli weint vor Glück. Dieses „undeutsche Verhalten“, „eines Boxers unwürdig“, wird ihm wenig später zum Verhängnis: Der Titel wird ihm aberkannt.  
Wenige Wochen später, am 21. Juli 1933, bietet sich eine neue Chance, wohl aber eine vergiftete. Trollmann soll gegen Gustav Eder boxen, ist aber strikt angewiesen, auf seinen eigenen, tänzelnden Stil zu verzichten. Hier wird ein Boxkampf missbraucht, um die Überlegenheit der „arischen Herrenrasse“ zu „beweisen“. Rukeli färbt sich selbst die Haare blond, pudert seine dunkel gebräunte Haut – und wird von seinem Gegner gnadenlos k.o. geschlagen. Seine Karriere ist am Ende, wenig später verliert er auch seine Boxlizenz.

Lebensweg voller Schikanen
Privat findet Johann Trollmann mit der Deutschen Olga Frieda Bilda sein Glück, die er 1935 ehelicht und mit der er eine Tochter hat. Doch als die Nürnberger Gesetze, die unter anderem „Mischehen“ zwischen Deutschen und Juden verboten, auch auf Sinti und Roma ausgedehnt wurden, muss Rukeli sich 1938 scheiden lassen, um seine Frau und seine Tochter zu schützen. Wenig später muss er sich sogar sterilisieren lassen. 1939 wird er in die Wehrmacht eingezogen und 1941 an der Ostfront eingesetzt. 1942 wird der Erlass, dass Roma und Sinti nicht mehr in der Wehrmacht kämpfen dürfen, verschärft durchgesetzt, und Trollmann ist quasi vogelfrei. Bald wird er verhaftet und in das Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg deportiert. Ab jetzt ist er nur noch eine Nummer: 9841. 
Von einem SS-Aufseher, einem ehemaligen Boxrichter, wird er erkannt und nach den Zwangsarbeiten auch noch zum Boxen gegen die Lagersoldaten gezwungen. Er ist schwach und körperlich am Ende. Es gelingt ihm, unter anderer Identität in das KZ-Außenlager Wittenberge zu kommen, wo ihn aber bald der Kapo Emil Cornelius, bekannt für seine Grausamkeit, als Boxer wiedererkennt. Unerwartet verliert Emil Cornelius gegen den ausgemergelten Häftling – eine Schade, die, wie er meint, nur mit Blut wieder zu bereinigen ist. Bei sich bietender Gelegenheit erschlägt der Kapo ihn mit einer Schaufel. Der Tag ist unbekannt, das Todesjahr: 1944.
Eine Weile wird Johann „Rukeli“ Trollmann vergessen. Erst 1980 beginnt man allmählich, wieder von ihm zu sprechen und sich an seine Geschichte zu erinnern. Bis 2003 dauert es, dass der Bund Deutscher Berufsboxer e.V. ihm den 1933 erkämpften Meistertitel offiziell zuerkennt. Eine späte Anerkennung seines Sieges.

Zuletzt aktualisiert: 12. Februar 2017
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