Stimme des geknechteten Volkes

22. Februar 2005 | von

Eigentlich war Oscar Arnulfo Romero der Wunschkandidat der Regierung von El Salvador, als es 1977 um die Bestellung eines neuen Erzbischofs von San Salvador ging. Doch dann kam die Überraschung: Mutig setzte sich der Bischof für die Armen und Entrechteten seines Landes ein.

“Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“ Mit diesem Satz eröffneten die auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil versammelten Bischöfe den Konzilstext über die Kirche in der Welt von heute. Sie formulierten darin ihre Erkenntnis, dass Kirche sich nicht aus den Alltagsproblemen und -konflikten der Menschen heraushalten darf und kann. Schon wenige Jahre nach dem Konzil entwickelten die Bischöfe Lateinamerikas auf ihrer Versammlung in Medellin diese Einsicht weiter, indem sie eine vorrangige Option für die Armen in den pastoralen Bemühungen ihrer Kirchen forderten. Der salvadorianische Bischof Oscar Arnulfo Romero räumte diese Option konkret ein. Angesichts des sozialen Elends in seinem Land ergriff er mutig und konsequent die Partei der Armen und Entrechteten. Das Volk liebte ihn dafür, die Machthaber suchten, ihn zu vernichten.

Ausbeutung und Gewalt. Wie diese ungerechten Strukturen, die Oscar Romero wütend machten, konkret aussahen beziehungsweise bis heute aussehen? Zwei Prozent der Bevölkerung kontrollieren in El Salvador zwei Drittel des Bodens. Die meisten Menschen verdienen nicht einmal einen Dollar am Tag. Nur jeder Fünfte hat während des ganzen Jahres Arbeit. Sechs von zehn Kindern sterben, bevor sie erwachsen sind.
In den 70er Jahren herrschten Terror und Gewalt. Militär, Polizei und paramilitärische Todesschwadronen kämpften gegen Guerrilleros und andere Oppositionelle. Priester, Katechisten, Nonnen und viele einfache Gemeindemitglieder wurden gefangen genommen, gefoltert und ermordet. “Tu’ was für dein Vaterland, töte einen Priester!“, stand auf Flugblättern, die in der Hauptstadt San Salvador verteilt wurden. In dieser explosiven Lage wurde 1977 Oscar Romero zum Erzbischof von San Salvador ernannt.

Zunächst konservativ. Der damals 60-Jährige galt als konservativer Bischof, der in Rom an der Gregoriana studiert hatte, als ein Freund der Bücher und der feierlichen Liturgie. Kämpfe um soziale Gerechtigkeit lagen ihm fern. Dabei wuchs er selbst in einem kleinen Gebirgsstädtchen in bescheidenen Familienverhältnissen auf, litt Hunger, musste von klein auf arbeiten. Von seinen Wurzeln entfernte er sich während seines Theologiestudiums, wie er selbst in einem Interview mit dem Jesuiten P. Jerez beschrieb: “Als ich meine Studien begann und man mir sagte, ich solle sie hier in Rom beenden, habe ich Jahr um Jahr zwischen Büchern verbracht und meine Herkunft ganz vergessen. Ich habe mir eine andere Welt geschaffen.“
Dann wurde er – nach der Priesterweihe in Rom – ab 1943 wieder in seiner Heimat El Salvador eingesetzt. Zunächst arbeitete er als Pfarrer in Anamorós, dann als Sekretär der Diözese San Miguel, ab 1967 war er Generalsekretär der Nationalen Bischofskonferenz. 1970 wurde er zum Weihbischof des Erzbistums von San Salvador ernannt. Während dieser Zeit sympathisierte er mit dem Opus Dei und war als eher konservativer Theologe bekannt, der die Befreiungstheologie eher misstrauisch betrachtete. Der Wandel kam 1974. Romero wurde als Bischof in der Diözese Santiago de Maria eingesetzt: “...dort stieß ich wieder auf das Elend. Bei den Kindern, die allein schon an dem Wasser sterben, das sie getrunken haben, bei den Campesinos, die sich bei der Ernte zugrunde richten… Ich habe mich geändert, ja, aber ich bin auch zurückgekehrt.“ (zitiert aus: López Virgil, Oscar Romero, Luzern 1999, 124f.)

Parteinahme. In diesem Interview nannte Oscar Romero zwei Erfahrungen, die seine Rückkehr zu den Armen bewirkten. Zum einen ist das die Konfrontation mit dem Elend während seiner Bischofszeit (1975-76) in der neu gegründeten Diözese Santiago de Maria, zum anderen der Mord an dem Jesuiten Rutilio Grande, der wegen seines Einsatzes an der Seite der verarmten Bauern umgebracht wurde. Romero spürte, dass er sich nicht aus dem sozialen Konflikt El Salvadors heraus halten konnte. Er stellte sich mit immer größerer Entschiedenheit an die Seite der Opfer von Gewalt und Ausbeutung. “Entweder dienen wir dem Leben der Menschen in El Salvador oder wir sind Komplizen ihres Todes“, hielt er den besorgten Mitbrüdern und frommen Katholiken entgegen, die ihm rieten, sich auf seine geistlichen Aufgaben zu beschränken.

Mord am Altar. Romero selbst hatte in wenigen Monaten viel Leid gesehen und miterlebt: Verstümmelte Tote, ermordete Priester, geplünderte Gemeindehäuser, zerstörte Kirchen. Er konnte nicht mehr schweigen. Er baute die katholische Radiostation YSAX auf, um durch seine Stimme den Menschen ohne Stimme Gehör zu verschaffen. Im ganzen Land, sogar in vielen Ländern des lateinamerikanischen Kontinents, wurden seine Sonntagspredigten übertragen. Viele Verleumdungen und Todesdrohungen hielten Romero nicht ab, Sonntag für Sonntag die Missstände El Salvadors zu benennen und Abhilfe zu fordern. Am Passionssonntag, dem 23. März 1980, schloss Romero seine Predigt mit der Aufforderung an Polizisten und Soldaten, die “sündhaften Befehle“ zu verweigern. Den Mächtigen war dies zuviel. Am nächsten Tag, den 24. März 1980, ließen sie Oscar Romero während der Messfeier durch einen Scharfschützen ermorden.
Zwei Wochen vor seinem Tod hatte Romero in einem Interview bekannt: “Ich muss ihnen sagen, als Christ glaube ich nicht an den Tod ohne Auferstehung: Wenn sie mich töten, werde ich im Volk von El Salvador wieder auferstehen.“
Gedenken wir dieses mutigen Bischofs mit den Worten seines Amtsbruders Pedro Casaldaliga aus Brasilien, der sein Gedicht auf Oscar Romero mit den Worten beschließt: “Heiliger Romero von Amerika, unser Hirte und Märtyrer, niemand wird deine letzte Predigt zum Schweigen bringen.“

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016