Umwege, immer wieder Umwege

11. September 2023 | von

Auch wenn man es sich wohl bisweilen wünscht: Lebenswege verlaufen selten glatt und geradlinig. Manche Umwege wählt man selbst, andere passieren einfach. Dem frisch gebackenen Minderbruder Antonius geht es da nicht anders.

Man würde doch meinen: Jetzt muss es endlich richtig rund laufen. Jetzt muss er doch endlich an seinem Platz angekommen sein. Seine Suche hat mittlerweile einige Zeit angedauert und der junge Fernando hat so manche Station hinter sich. Als junger Mann ist er – nach dem Besuch der Kathedral-schule – in das Kloster der Augustiner-Chorherren von Lissabon eingetreten. Dort haben zahlreiche Besuche von Freunden und Verwandten „ihren“ Fernando vom Studium und der klösterlichen Ruhe abgelenkt, so dass er schließlich die Oberen bittet, in das Kloster nach Coimbra wechseln zu dürfen. Die Bitte wird ihm gewährt. Er wächst in seiner Berufung, wird mehr und mehr in die Gemeinschaft integriert, macht dann aber die Bekanntschaft mit der franziskanischen Bewegung. Der Eifer dieser kleinen Gruppe von Minderbrüdern fasziniert ihn. Die Bewunderung ihrer Bereitschaft, das eigene Leben für die Verkündigung der Botschaft Jesu aufs Spiel zu setzen, lässt ihn nicht mehr los. Und noch einmal stellt er sein Leben auf Anfang, wenn er in der Begegnung mit ihnen erkennt, was der charismatische Gründer Franz von Assisi in einer ähnlichen Situation im Suchen nach seiner Berufung eines Tages ausgerufen hatte: „Dies ist‘s, was ich will. Dies ist‘s, was ich suche, dies begehre ich mit allen Kräften der Seele zu tun.“

Sehnsucht nach dem Martyrium

Fernando verlässt die ihm vertraute Gemeinschaft und schließt sich der noch jungen Franziskus-Bewegung an. Von jetzt ab heißt er nicht mehr Fernando, sondern hört auf den Namen Antonius. Und sein Ziel ist klar: Schluss mit Studium, Schluss mit klösterlicher Beschaulichkeit. Für ihn heißt es: Aufbrechen und durch die Verkündigung des Evangeliums unter den Heiden so rasch wie möglich das Martyrium erlangen, um dann für immer bei Gott zu sein.

Sein Biograf, der Verfasser der Assidua, berichtet: „Der Eifer, den Glauben zu verbreiten, drängte ihn mit stets zunehmender Kraft, und die Sehnsucht nach dem Martyrium, die in seinem Herzen brannte, ließ ihm keine Ruhe mehr. Und so geschah es, dass Antonius – dem Versprechen gemäß, das man ihm gegeben hatte und nachdem er die Erlaubnis bekommen hatte – eilig in das Land der Sarazenen aufbrach.“

Zum Greifen nah

Wer sich im Leben zurückerinnert an eigene Ziele und Aufbrüche, kann gewiss gut nachvollziehen, wie vollgeladen mit Energie sich Antonius in diesen Tagen gefühlt haben muss. Alles wird nun dem Erreichen untergeordnet. Das große Ziel scheint zum Greifen nah. Und vielleicht kommt ihm in dieser Phase auch der Apostel Paulus in den Sinn, der im Brief an die Philipper schreibt: „Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem Siegespreis: der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus.“ (Phil 3,14)

Ganz viele Alltäglichkeiten und Sorgen werden nun keine Rolle mehr spielen. Bisherige Bedürfnisse und Gewohnheiten werden zweitrangig. Und selbst wenn wir uns heute mit der Sehnsucht nach dem Martyrium eher schwer tun: In der Logik dieser Sehnsucht, in der Gewissheit der baldigen Existenz in Gottes Ewigkeit reduzieren sich irdische Notwendigkeiten.

Vielleicht mischt sich in diese Begeisterung für das Ziel auch ein wenig Nervosität und Aufregung vor dem Unbekannten: Wie wird es wohl werden? Was erwartet ihn in Marokko, dem Land der Sarazenen? Wie schnell wird es gehen, dass man ihm das Leben nimmt? Oder vielleicht auch: Wie viele Menschen wird er für Christus gewinnen können? Bei aller Jenseitsgewissheit ist das Unternehmen nun doch auch zuerst eine Reise in ein unbekanntes Land – in vielerlei Hinsicht.

Im Eifer ausgebremst

Der Mensch denkt und Gott lenkt. – Was als sprichwörtliche Redensart auch heute noch die Runde macht, ist wohl seit jeher eine Erfahrung gläubiger Menschen. Denn was die Marokko-Mission anbelangt, berichtet die Assidua schließlich: „Aber der Allerhöchste, der das Herz des Menschen kennt, stellte sich seinen Plänen entgegen und schlug ihn mit einer schweren Erkrankung, die ihn den Winter über heimsuchte. Als er einsah, dass er nichts von dem vollbringen konnte, was er sich vorgenommen hatte, war er gezwungen, in sein Heimatland zurückzukehren, um wenigstens die Gesundheit des Körpers wieder zu erlangen.“

Es muss eine herbe Enttäuschung sein, vielleicht eine Enttäuschung, die das Zeug hat, gar zur „Enttäuschung des Lebens“ zu werden. Da war Antonius so nahe dran, hat so vieles aufgegeben und riskiert und dann kommt er noch nicht einmal ansatzweise in die Nähe des Martyriums. Eine Krankheit – wenn man so will: eine menschliche Schwäche – hält ihn auf. Offensichtlich ist er sogar so krank, dass an Verkündigung und Mission nicht einmal zu denken ist. Es müssen traurige Monate gewesen sein, vielleicht immer durchzogen von der Hoffnung, dass es doch noch besser wird.

Kommando zurück

Wer ein Ziel wieder aufgeben muss, noch dazu ein so großes, leidenschaftlich angestrebtes Ziel, der tut das gewiss nicht leichtfertig. Da wird viel überlegt, vielleicht fließt auch die eine oder andere Träne. Vielleicht zeigt sich in solchen Entscheidungen dann aber auch menschliche Größe: Es irgendwann einsehen können, dass es nicht mehr weitergeht – jedenfalls nicht so. Es bedarf einer Entscheidung, auch wenn die bedeuten kann, dass man den Rückzug antritt, dass man sich sein Scheitern eingesteht. Sei es nun verschuldet oder unverschuldet.

Irgendwann ringt sich Antonius dazu durch. Er will für den Glauben sterben – aber nicht an irgendeiner Krankheit. Und so wird eines Tages für ihn klar: Es ist sicher besser, zurückzukehren, gesund zu werden und es dann vielleicht erneut probieren, als weiter vor sich hin zu siechen.

Verzweiflung oder Vertrauen?

Doch als ob alles nicht schon schlimm genug wäre, folgt die nächste Überraschung – eine, die geografisch nahezu unglaublich klingt. Der Biograf berichtet: „Während der Schiffsreise aber, als er sich schon darauf vorbereitete, in Spanien an Land zu gehen, strandete er auf Grund schwerer Stürme an der Küste Siziliens.“

Als er wieder festen Boden unter den Füßen hat, ist er weit über 1.000 Kilometer von der Heimat entfernt. Krank, eine fremde Sprache, eine andere Kultur und obendrein erst einmal niemand, den er kennt. Schlimmer, so möchte man meinen, kann es doch nun wirklich nicht mehr kommen. Es wäre überaus interessant zu erfahren, was Antonius nun durch den Kopf geht, was er denkt und fühlt und vielleicht auch, was er in diesen Tagen betet. Ob er Gott gegenüber Verzweiflung und Klage ins Wort bringt – oder ob sein Beten immer noch von tiefem Gottvertrauen geprägt ist? Ob er sein Ausgebremstsein und die Umwege beklagt oder ob er bereits ahnt, dass in jedem Umweg zumindest auch eine Chance stecken kann? Die Antwort darauf bleibt der Fantasie und Spekulation überlassen. Ein Umweg ist nun aber in jedem Fall erst einmal ein Umweg. Alles läuft anders als geplant. Und das muss man immer erst verkraften.

Zuletzt aktualisiert: 11. September 2023
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