Weihnachten - ein Fest mit Folgen!

25. November 2019 | von

Was wäre die Weihnachtszeit ohne Krippen! Sie haben, ähnlich wie die Engel, nichts von ihrer Faszination für klein und groß eingebüßt. Die Engel allerdings haben das ganze Jahr hindurch Hochkonjunktur. Die „Auftrittsformen“ der Krippen sind äußerst vielgestaltig: von der Schaufensterdekoration bis zum familiären Sammelpunkt an Heilig Abend und darüber hinaus in unseren Wohnungen, von großen Ausstellungen bis zu wechselnden Szenen in unserem Kölner Kirchlein St. Kolumba. Innehalten, wieder einmal länger hinschauen und zur Ruhe kommen – eine heilsame Unterbrechung für Viele, ob sie sich als kirchennah oder als religiös unmusikalisch empfinden.

 

Franziskanische Krippenfeier

Franz von Assisi hat mit seiner Gemeinschaftsfeier in Greccio an Weihnachten 1223 die Krippenfrömmigkeit wesentlich angestoßen. Mit Freude vor, während und nach dem Geburtsfest Jesu! Er wollte mit allen Sinnen erfahren, wie Gott in seinem Sohn als Kind von Bethlehem herunterkommt, „welch große Not es schon ... zu leiden hatte, wie es in die Krippe gelegt wurde und wie es, umgeben von Ochs und Esel, auf dem Heu lag.“ So schreibt der zeitgenössische Mitbruder, Thomas von Celano, im entsprechenden biographischen Abschnitt 1 Cel 84-87 über die Ereignisse in Greccio. Der Sohn nimmt unsere menschliche Gebrechlichkeit und Vergänglichkeit an. Der vierte Evangelist verdichtet dieses Geheimnis in dem bekannten Vers, der bis heute Kern des Angelusgebetes ist: „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (wörtlich: gezeltet). (Joh 1,14) Damit ist Gott einer, der sich aus Liebe klein macht, als „Deus semper minor“. Manche erinnern sich gern an die innige Messfeier und Führung in diesem wunderbaren Eremo im Rietital, gerade an diesem Ort mitten im Sommer unser Weihnachtslied „Stille Nacht“ miteinander zu singen. Die Vision des Poverello zieht damit Kreise bis in die Gegenwart: In vielen Herzen ist Jesus vergessen, er ist aufgewacht und lebt wieder im liebenden Gedächtnis (vgl. 1 Cel 87). Wer dem Kind von Bethlehem begegnet, das für uns am Weg geboren ist, geht anders in seinen Alltag zurück.

 

Schritte der eigenen Menschwerdung

Weihnachten will nicht folgenlos bleiben als beschauliches Idyll und traditionelle Familienfeier jenseits unserer sogenannten harten Wirklichkeit. Die Feier der hochheiligen Nacht und ihrer sich anschließenden Feste endet nicht mit dem Datum „Taufe Jesu“ laut liturgischem Kalender oder nach altem Brauch mit „Maria Lichtmess“, dem Fest der Darstellung des Herrn, im Sinne von: abgehakt, dann bis zum nächsten Mal. Das Weihnachtsgeheimnis will Kreise ziehen. Letztendlich geht es um nichts weniger als den Mut, Schritte zur eigenen Menschwerdung zu gehen und das Konzept klarer auszuprägen, das der göttliche Architekt von jeder und jedem einzelnen von uns hat.

 

Glaube befreit zum Leben

Franz von Assisi ist ein Kronzeuge für den mühsamen Prozess der Menschwerdung aus der Kraft des unerschöpflichen Gottesgeistes. Einige ausgewählte Stellen aus den Schriften des Poverello sind gleichsam Wegweisungen zu einem Lebensprogramm: „Mensch, mach es wie Gott, werde Mensch!“ Klara von Assisi war überzeugt, dass der Mensch, der Gott dient, nicht krumm, und wer ihn schaut, nicht blind wird. Darin bestehen ja die größten Vorbehalte gegen den christlichen Glauben, dass er den Menschen verkümmern lässt und verbiegt, ja krank macht und fanatisiert. Kurz: eben nicht wahrhaft Mensch sein und werden lässt!

 

Ergriffen vom Lob Gottes

Der Spielmann Gottes verfasst einen Psalm zur Vesper am Weihnachtsfest, indem er seine biblische Vorlage mit eigenen Gebetsversen erweitert. So heißt es: „An jenem Tag hat der Herr sein Erbarmen gesandt und in der Nacht seinen Gesang.“ Jubel und Lobpreis sind seine Antwort auf das unerhörte Tun Gottes in der Menschwerdung seines geliebten Gottessohnes. Für den Troubadour des großen Königs sind Lob und Dank wesentliche Elemente, um das eigene Menschsein auszuprägen. Er stiftet dazu seine Mitbrüder und alle Mitgeschöpfe an (vgl. den Sonnengesang). 

Machen wir einen Sprung in die Gegenwart: Warum ist uns heute die Fähigkeit mehr oder weniger verloren gegangen, Gott als das „Leben des Lebens“ – ein eigentümliches Bekenntnis und eine Umschreibung des österlichen Geheimnisses –  und in Folge auch das Leben, das aus ihm unaufhörlich herausquillt, zu loben? Persönlich suche ich mich in der Adventszeit der Beschallung durch Weihnachtslieder so gut wie eben möglich zu entziehen. Eigentlich hat alles seine rechte Zeit. Es hat mich sehr bewegt, dass im alten Gesangbuch die beiden Klassiker in schöner ökumenischer Eintracht  nebeneinander standen: „Zu Bethlehem geboren“ (vom katholischen P. Friedrich Spee SJ) und „Ich steh an deiner Krippe hier“ (vom evangelischen Paul Gerhardt). Übers liturgische Jahr hinweg erinnert mich das Gloria der festlichen Eucharistiefeiern an das Lob der Engel auf den Hirtenfeldern. Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch in der Deutung des Kirchenvaters Irenäus von Lyon; dazu gehört meines Erachtens der singende, musizierende, summende, mitunter brummende und schräg singende Mensch. Hauptsache von Herzen! Warum sollten wir nicht den tanzenden Menschen dazu nehmen, je nach kulturellem Hintergrund?! Die Amazonassynode im vergangenen Oktober hat uns für diesen Ausdruck schöpferischen Glaubens neu sensibilisiert. Franz von Assisi hat – das sei am Rande erwähnt – bei der Verkündigung des Weihnachtsevangeliums in Greccio nach dem Bericht des Thomas von Celano beim Wort Bethlehem geblökt wie ein Schaf und sich die Zunge geschleckt beim Aussprechen des Namens Jesu. Ergriffenheit offen zeigen dürfen, ist das nicht auch ein Schritt zur Menschwerdung?! Das Kind im Mann, im Menschen, lässt grüßen! 

 

Hingabe ohne Vorbehalt

Der Weihnachtspsalm des Franziskus endet mit einer herben Mahnung, eine weitere Konsequenz aus der Feier der Geburt Jesu. Der Blick auf das Krippenkind, das zugleich Königskind ist, wie mir durch die Begegnung mit franziskanischen Mitschwestern von Oberzell klar geworden ist, braucht die Ausweitung auf den ganzen Jesusweg bis nach Golgotha: „Bringt euch selber leibhaftig dar und tragt sein heiliges Kreuz und folgt bis zum Ende seinen heiligsten Geboten.“ (Off 5. Teil) Gefragt ist eine Hingabe ohne Vorbehalte, ein großer Wurf, nichts von sich für sich zurückzubehalten, sondern sich ganz zu investieren in der Nachfolge des gekreuzigten Auferstandenen. Franz von Assisi wird neun Monate nach der Feier in Greccio auf dem Berg La Verna die Wundmale Jesu empfangen, ihm zur Wonne und zum Schmerz, eine Beglaubigung seines Weges und eine Last zugleich, so schildert es sein Biograph. Wir müssen mit Gegenwind, Kränkungen und Verletzungen rechnen auf dem Jesusweg der Nachfolge. Wenn wir von unserem Ordensgründer ausgehen in seinem letzten Lebensabschnitt, kann das Wort von der Annahme des Kreuzes weit gedeutet werden. Dazu gehören die Frucht seines Ringens mit leiblichen Kümmernissen nach so vielen Wanderjahren und Entbehrungen, die Auseinandersetzung mit seelischen Schmerzen im Blick auf die Spannungen innerhalb der Bruderschaft und den Abirrungen von der ersten Liebe der Berufung, die Trauer über gescheitere Friedensbemühungen im Apostolat, das Zulassen von Selbstzweifeln und dunklen Glaubenserfahrungen. Nicht in Bitterkeit zu verhärten oder sich in Verwahrlosung zu ergehen, sind die Herausforderungen des Menschwerdens im reiferen Alter. Unser Ordensvater konnte sie meistern, weil er in der Gottesbeziehung geblieben ist. „Wer bist du, liebreicher Gott, wer bin ich, dein Knecht?“ Dieses Gebet wird in die Zeit der Stigmatisierung auf dem Berg La Verna angesiedelt, vielleicht ist das auch für uns ein wertvolles geistliches Medikament gegen die Nöte des Älterwerdens mit so manchem Verzicht und Abschied. Es geht darum, sich der Würde des Kindseins vor Gott immer wieder zu vergewissern bei aller Hinfälligkeit und Zerbrechlichkeit. Das älteste Weihnachtsevangelium schaut im Unterschied zu der uns so vertrauten Lukasversion nicht auf die Umstände der Geburt Jesu, sondern auf die Konsequenz seines Kommens: damit wir die Kindschaft erlangen und beten können aus der Kraft des Gottesgeistes: „Abba, Vater!“ (vgl. Gal 4,7) Weihnachten will uns erinnern, nicht unter dieser Würde zu leben und uns in der Gottesbeziehung mit gesundem Selbstvertrauen zu verankern!

 

Christus in die Welt bringen

Die franziskanischen Quellenschriften bieten im Brief an die Gläubigen einen weiteren Anhaltspunkt zur eigenen Menschwerdung, der unsere Nächsten mit im Blick hat. „Christi Mütter sind wir, wenn wir ihn durch die Liebe und ein reines und lauteres Gewissen in unserem Herzen und Leibe tragen. Wir gebären ihn durch ein heiliges Wirken, das anderen als Vorbild leuchten soll.“ (Franz von Assisi, 2 Gl) Ob Frau, ob Mann, ob Greis, ob Kind – alle sind in dieser mystischen Sicht gerufen, Mütterlichkeit zu entfalten, um Christus in die Welt zu bringen. Die Geburt des Gottessohnes in Bethlehem wird räumlich und zeitlich entgrenzt auf das Geheimnis der Christusgeburt im Menschen hin. Angelus Silesius und Meister Eckehart werden diese Deutung des Weihnachtsgeheimnisses in den folgenden Jahrhunderten der christlichen Frömmigkeitsgeschichte intensiv entfalten. Franz von Assisi verbindet in dieser Aussage paulinische Christologie (vgl. 1 Kor 6,20) mit dem Lichtwort der Bergpredigt (vgl. Mt 5,16). Unser christliches Tun und Lassen führt uns selbst und andere zum Ursprung und Ziel unseres Lebens; es bleibt in diesem Zitat offen, wie das konkret geschieht. Es gehört zu einer Haltung der Demut, das eigene Verhalten in Wort und Tat nicht berechnen zu wollen in seiner Wirkung. Die einen säen, die anderen ernten. Es bleibt der Auftrag zur Bildung und Reinigung des eigenen Gewissens. Lauterkeit steht bei unserem Ordensvater hoch im Kurs. Schwester Wasser bietet ihm einen wunderbaren Anschauungsunterricht in vielerlei Hinsicht: sorella aqua ist klar, sucht den untersten Platz, bleibt identisch bei allem Wandel in verschiedenen Aggregatzuständen. 

 

Begründete Hoffnung

Die Christusgeburt als Deutemuster für geistliches Leben im Sinne der Menschwerdung scheint mir ein interessantes Gesprächsthema mit Zeitgenossen zu sein, die wir als Suchende bezeichnen: kritisch gegenüber Institutionen, von Unruhe getrieben und mit einem hohen Anspruch an die eigene Glaubwürdigkeit und die anderer. Ein humorvoll nachdenklicher Einstieg für eine solche Begegnung könnte eine Szene in einer Wiener Pfarrei sein, die sich vor Jahren dort zugetragen haben soll. Der Pfarrer hatte das Kind in der Krippe gegen einen Zettel getauscht mit dem Satz: „Ich bin nicht mehr hier, ich bin schon längst erwachsen geworden.“ Es war klar, dass diese Aktion ihres Geistlichen das Kirchenvolk in Bewegung gebracht und für Diskussionen gesorgt hat. Glaube will wachsen, aus Kinderschuhen heraus in reife Formen hinein. Wir sind aufgefordert, Rechenschaft abzulegen für die Hoffnung, die uns trägt in einer GmbH besonderer Art: Gemeinschaft mit begründeter Hoffnung. Jesus Christus ist gleichsam wie der Anker in Person, vom Vater ausgeworfen in Raum und Zeit. Zur Menschwerdung gehört für Jesusjünger/innen die Schulung ihrer Auskunftsfähigkeit als Christusglaubende im Blick auf ihre Zeit; sie ist heutzutage nötiger denn je in einer alles andere als volkskirchlich geprägten Umgebung. Das Zeugnis für den menschgewordenen Gottessohn beginnt bei der eigenen Verwandtschaft, in der christlichen Gemeinde, für uns im Orden bei der konkreten Brüdergemeinschaft und darüber hinaus in der Arbeits- und Freizeitwelt. 

 

Mut – und keine Langeweile

Menschwerden braucht Mut zum Lob und Dank an den Schöpfer, ein Ja zu durchkreuztem Leben, ein mütterlich konkretes Tun und Lassen aus einem lauteren Gewissen und einen offenen Umgang mit Suchenden. Keine Spur von Langeweile bei diesem Wagnis des Glaubens über das Weihnachtsfest hinaus!

Zuletzt aktualisiert: 01. Dezember 2019
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