Von der Notlösung zu neuen Horizonten

18. Dezember 2023 | von

Immer wieder nimmt das Leben von Antonius neue Wendungen – wie wohl überhaupt jedes Leben eines Menschen. Dass dabei aus einer ungewollten Notlösung etwas Großartiges aufblühen kann, zeigt ein Blick in seine Biografie.

Antonius schält Kartoffeln: Noch heute verbreitet manch franziskanischer Ordensmann diese Mär, um damit zu illustrieren, dass der bald so berühmte Antonius in der Einsiedelei von Montepaolo sich auch für die einfachsten Dienste nicht zu schade ist – und vergisst, dass die Geschichte der Kartoffel in Europa erst beginnt, als sie die spanischen Entdecker und Eroberer in Südamerika kennengelernt hatten… Doch unbestritten ist, dass Antonius an seiner ersten wirklichen Station in Italien die franziskanische Ordensregel für die Einsiedeleien befolgt und damit weit entfernt ist von irgendeiner Art von Bekannt- oder gar Berühmtheit. Es ist ein Leben in beschaulicher Zurückgezogenheit und für ihn in diesem Augenblick seiner Biografie vielleicht genau das Richtige. Nach allen Turbulenzen und Rückschlägen kommt er zur Ruhe und realisiert vermutlich erst nach und nach, welche Herausforderungen ihm das Leben bis dahin beschert hatte.

Ausreden über Ausreden

Doch in bester franziskanischer Manier: Auch diese Phase seines Lebens dauert nicht „ewig“. Und das Neue beginnt wieder einmal unerwartet. Wie es dazu kommt, soll mit einem ausführlichen Blick in die Biografie Assidua erläutert werden:

„Nach langer Zeit – etwa einem Jahr – geschah es, dass einige Brüder in die Stadt Forlì geschickt wurden, um dort die heiligen Weihen zu empfangen. Dazu kamen aus verschiedenen Gegenden Franziskaner und Dominikaner zusammen. Unter ihnen befand sich auch Antonius. Als die Stunde kam, da ein geistlicher Vortrag angesetzt war und die Brüder sich wie gewohnt versammelt hatten, bat der zuständige Provinzialminister die anwesenden Predigerbrüder, eine Bußpredigt zu halten, um den dürstenden Seelen das Wort des Heils zu verkünden. Einer nach dem andern aber wehrte ab. Sie behaupteten, dass es ihnen weder möglich noch erlaubt sei, unvorbereitet zu predigen.“

Wer kennt das nicht? Etwas muss getan werden. Man beginnt, Freiwillige zu suchen, man fragt verschiedene mögliche Kandidaten – und einer nach dem andern sagt ab. Die eine Begründung mag stimmig wirken, anderes erscheint allzu vorgeschoben. Aber es findet sich niemand. Keiner ist bereit.

Wenn sich gar keiner findet…

Weil die Aufgabe aber steht und aufschiebbar ist, muss es irgendwie weitergehen. Die Assidua berichtet: „So wandte sich der Obere schließlich an Antonius und trug ihm auf, den Versammelten das zu verkünden, was der Geist ihm eingab. Er tat dies nicht etwa, weil er glaubte, dass er besonders bewandert in den Heiligen Schriften sei oder etwas anderes gelesen habe außer das, was den kirchlichen Dienst betrifft: Der Obere erinnert sich nur daran, dass er ihn einmal Latein hatte sprechen hören, als es notwendig gewesen war. Und tatsächlich war es ja auch so, dass die Brüder ihn für geeigneter hielten, das Geschirr in der Küche zu spülen als die Geheimnisse der Schrift auszulegen – obwohl er die Gabe hatte, sich seines Gedächtnisses anstelle von Büchern zu bedienen und in großem Maß die Gnade einer mystischen Sprache besaß. Warum soll ich mich unnötig aufhalten? Antonius weigerte sich, solange er konnte.“

Plötzlich rückt also Antonius in den Fokus. Per Zufall hatte man ihn Latein sprechen hören – die Sprache, in der die Predigt gehalten werden sollte. Auch wenn man sonst offensichtlich von ihm nicht allzu viel hält, wie der Autor der Assidua ziemlich ungeschminkt zugibt. Doch weil sich gar niemand finden mag, ist man schließlich bereit, ihm diese Aufgabe zuzumuten. Und vielleicht schwingt ein wenig der Gedanke mit: Soll der sich doch blamieren…

Unerwartetes Erstaunen

Innerlich wird Antonius sich schon gewappnet wissen, eine Predigt zu halten. Das lange Studium in seinem Heimatland hat ein tiefes Fundament an geistlicher Kenntnis gelegt. In der Heiligen Schrift ist er bewandert wie wohl sonst nur wenige. Doch irgendetwas wehrt sich in ihm, ziemlich lange sogar. „Schlussendlich aber“, so berichtet die Assidua weiter, „und weil alle drängten, begann er in aller Bescheidenheit zu sprechen. Als dann jene Feder des Heiligen Geistes, seine Zunge also, begann, über viele Themen mit Besonnenheit zu sprechen, und zwar in überaus klarer Sprache und mit knappen Worten, da lauschten die Brüder voller Erstaunen und Bewunderung in höchster Aufmerksamkeit seiner Rede. Wahrhaftig, die unerwartete Tiefgründigkeit seiner Predigt steigerte noch die Verwunderung. Sein Geist, mit dem er sich äußerte, und seine glühende Nächstenliebe erbauten die Herzen. Erfüllt von heiliger Ergriffenheit verehrten alle in Antonius, dem Diener Gottes, die Tugend der Demut Hand in Hand mit der Gabe der Weisheit.“

Von der Stille zur Predigt

Überraschungsmomente bringen wohl immer das größte Erstaunen mit sich. Wenn keiner damit rechnet, dass etwas gelingt oder gut wird, und genau das dann aber passiert, so dürften Erleichterung und Freude keine Grenzen kennen. Von „Sensationen“ spricht man in solchen Fällen – und eine Sensation ist es wohl auch, die sich damals in Forlì ganz unerwartet ereignet. Antonius betritt die Bühne und zieht mit seiner ersten öffentlichen Predigt alle in seinen Bann. Das kann nicht ohne Folgen bleiben. Noch einmal die Assidua: „Da wie der Herr sagte, ‚eine Stadt, die auf dem Berge liegt, nicht verborgen bleiben‘ kann (Mt 5,14), wurde schon bald der Provinzialminister von dem in Kenntnis gesetzt, was sich ereignet hatte. Und so wurde Antonius gezwungen, den Frieden der Stille aufzugeben und in die Öffentlichkeit zu treten. Indem er den Dienst des Predigens aufgetragen bekam, wurde der Liebhaber der Einsiedelei hinausgeschickt und seine Lippen, die so lange verschlossen waren, öffneten sich, um den Ruhm Gottes zu verkünden. Mit der Unterstützung der Autorität dessen, der ihn geschickt hatte, bemühte er sich dermaßen eifrig, der Verpflichtung zur Predigt nachzukommen, dass er aufgrund seines unermüdlichen Fleißes den Namen eines Evangelisten verdient hätte. Er durchzog Städte und Burgen, Dörfer und Landstriche und überall säte er die Samen des Lebens in großzügiger Fülle und glühender Leidenschaft.“

An der richtigen Stelle

Mit der „Notlösung“ von Forlì ist für Antonius – und die katholische Welt – der Grundstein für das nächste Kapitel seines Lebens gelegt. Nun ist plötzlich alles ganz anders. Antonius ist nicht länger der gescheiterte Missionar von Marokko oder der gestrandete Fremdling in Sizilien. Er lebt nicht länger in der Verborgenheit einer Einsiedelei und es wird kein Provinzkapitel mehr geben, wo man ihn nicht recht einzusetzen weiß. Der „Durchbruch“ ist geschafft – aber wohl nicht im Sinn des Erklimmens einer Karriereleiter, sondern eher: Antonius kommt da an, wo Gott ihn haben will. Er hat den „Platz“ im Leben gefunden, wo er mit seinen Gaben und Talenten am besten der Verbreitung der Frohen Botschaft dienen kann. Es erschließen sich ihm und seinen Zuhörern neue Horizonte. Und sein Lebensweg steht bis heute dafür Pate, was aus Notlösungen alles entstehen kann…

Zuletzt aktualisiert: 18. Dezember 2023
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