Zum 200. Geburtstag Raiffeisens

23. Februar 2018 | von

Karl Marx, der wie Friedrich Wilhelm Raiffeisen im Jahr 1818 geboren wurde, hatte als Leitgedanken seines Lebens niedergeschrieben: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.“ Dieses Motto lässt sich ebenfalls auf Friedrich Wilhelm Raiffeisen übertragen, auch wenn dieser es in ganz anderer Weise als Marx verwirklicht hat.

Friedrich Wilhelm Raiffeisen stammt aus einer evangelischen Familie, die eng mit dem Pietismus verbunden war. Seinen Großvater Carl Ludwig, Pfarrer in Mittelfischach, hatte er selbst nicht mehr erlebt, doch dessen Einfluss hatte durch seine Eltern auch Raiffeisen geprägt. Sein Pate und Lehrer, der Pfarrer Georg Seipel, der dem Siegerländer Pietismus verbunden war, hatte ihn ebenfalls in der christlichen Lebensausrichtung bestärkt. Bis zu seinem Tod gehörte zu seinem Tagesablauf eine kurze, gemeinsame Andacht mit der Familie, bei denen sie die Losungen der Herrnhuter Brüdergemeinde lasen. Die christliche Ausrichtung seines Werks ist Raiffeisen bis zu seinem Tode grundlegend: „Lassen Sie, werte Vereinsgenossen, uns dies nie vergessen, lassen Sie uns stets bedenken, dass, ohne eingedenk zu sein unserer Christenpflichten, ohne das ernste Bestreben, diesen gerecht zu werden, niemals die den Darlehnskassenvereinen gestellte Aufgabe erfasst werden kann...“

 

Umsichtiger Bürgermeister

In seinem Elternhaus, in Hamm an der Sieg, fällt wegen der Krankheit des Vaters der Mutter die Hauptaufgabe zu, die Kinder zu erziehen und durchzubringen. Raiffeisen besucht die Elementarschule in Hamm, zum Besuch einer höheren Schule in der größeren Stadt fehlt das Geld. Doch sein Taufpate und Pfarrer Georg Seipel erteilt ihm Privatunterricht, bis Raiffeisen im Alter von 17 Jahren die militärische Laufbahn beginnen kann. Er bewährt sich bei der Grundausbildung in Köln so sehr, dass er 1838 auf die Inspektionsschule in Koblenz geschickt wird, auf der ihm grundlegendes technisches Wissen vermittelt wird, das ihm später bei seinen Verwaltungsaufgaben zugutekommt. Denn aufgrund eines Augenleidens muss Raiffeisen 1842 seine militärische Laufbahn beenden.

Ein Onkel verhilft ihm zu einer Anstellung in der preußischen Zivilverwaltung. Nach Sekretärsaufgaben in Koblenz und Mayen in der Eifel wird Raiffeisen 1845 zum Bürgermeister der Westerwaldgemeinde Weyerbusch ernannt, zu deren Sprengel 22 Gemeinden gehören. Im gleichen Jahr heiratet Raiffeisen. Mit 29 Jahren muss Raiffeisen in seinen Gemeinden im Winter 1846/47 eine Hungersnot bewältigen. Der Landrat hatte ihm 150 Scheffel Mehl überlassen, die er nur gegen Barzahlung weitergeben sollte. Raiffeisen richtete in allen Gemeinden 

„Armenkommissionen“ ein, die Mehl – auf Vorschuss – auch an die Armen abgaben. Zudem gründete er einen „Brodverein“, der ein Backhaus baute und seinen Mitgliedern zu günstigen Preisen Brot verkaufte. Die verarmten Menschen in den kleinen Westerwaldgemeinden überstanden die Hungersnot dank der 

Eigeninitiative ihres jungen Bürgermeisters. Weitere Stationen im Dienst der preußischen Verwaltung sind die Bürgermeisterämter in Flammersfeld (ab 1848) und Heddesdorf (1852-1865). An allen drei Stationen legte Raiffeisen Wert auf zwei Bereiche: das Schulwesen und den Ausbau der Straßen, modern gesagt: auf Bildung und Infrastruktur.

 

Von der Fürsorge zur Selbsthilfe

Die finanzielle Notlage vieler Bauern durch Wucherzinse führte bei Raiffeisen zu einem Umdenken. Waren seine ersten Vereine nach dem Prinzip der Wohltätigkeit organisiert, erkannte er, dass den Hilfsbedürftigen mehr mit Selbsthilfe statt mit Fürsorge zu helfen war. So gründete er 1862 den „Spar- und Darlehnskassen-Verein für das Kirchspiel Anhausen“ mit einer klaren Zielsetzung: „Der Verein hat den Zweck, die Mitglieder desselben durch Gewährung der nötigen Geldmittel in den Stand zu setzen, die Früchte ihres Fleißes selbst zu genießen und zu einer möglichen Selbständigkeit zu gelangen, welche anderweite fremde Hilfe unnötig machen.“ Der erste Raiffeisen-Verein war geboren.

 

Genossenschaftsidee mit Langzeitwirkung

Raiffeisen konnte sich bei der Gründung seiner Genossenschaftsvereine auf theoretische Vorarbeiten stützen. Da ist zunächst Victor Aimé Huber (1800-1869) zu nennen, der aber anders als Raiffeisen von den verelendeten Arbeitern ausging und deren Schicksal durch Bau-, Wohnungs- und Konsumgenossenschaften verbessern wollte. Ebenso hatte Raiffeisen die Schriften von Hermann Schulze-Delitzsch studiert, der durch Einkaufsgenossenschaften v.a. die Stellung der städtischen Handwerker stärken wollte. Mit Letzterem hatte Raiffeisen auch brieflichen Kontakt.

Als Raiffeisen 1865 wegen einer Erkrankung frühpensioniert wird, widmet er sich mit ganzer Kraft dem Aufbau seiner Darlehnskassen-Vereine. 1866 erscheint sein Buch „Die Darlehnskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Noth der ländlichen Bevölkerung sowie auch der städtischen Handwerker und Arbeiter“, das bis zu seinem Tod 1888 fünf weitere Auflagen erleben wird. Seine Grundsätze der Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung gelten auf allen Ebenen. 

Raiffeisens Idee ist heute von weltweiter Bedeutung. In vielen Ländern der südlichen Erdhälfte hat sich die genossenschaftliche Selbsthilfe als besonders wirkungsvoll erwiesen. 

Die UNESCO hat im Jahr 2016 die „Genossenschaftsidee“ als ersten deutschen Beitrag in das immaterielle Kulturerbe aufgenommen.

Zuletzt aktualisiert: 25. Februar 2018
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