800 Jahre Friedensmission

01. Oktober 2017 | von

Zu den großen franziskanischen Institutionen gehört Franciscans International. Trotzdem ist die Arbeit dieser Organisation oft unbekannt – hier gewähren wir einen Einblick aus erster Hand.

Das Jahr 2017 ist ein historisch bedeutsames Jahr für die Franziskanische Familie auf der ganzen Welt. Vor 800 Jahren, im Jahr 1217, rief der heilige Franziskus ein Mattenkapitel aus. Die ersten Brüder kamen zusammen, um zukunftsweisende Entscheidungen für ihre wachsende Gemeinschaft zu fällen. Hier überkam Franziskus die Eingebung, die Brüder auf Reisen zu schicken, um das Evangelium zu verkünden. Die ersten Brüder überquerten die Alpen und begaben sich mit missionarischem Eifer auf ihren Weg, um die ersten Franziskanergemeinschaften in Frankreich, Deutschland, Spanien, im Heiligen Land und darüber hinaus zu gründen. Die Entscheidung, „jenseits der Berge“ zu gehen, markierte einen neuen Abschnitt in der Franziskanerbewegung. Mit ihr wurde der Missions- und Evangelisationsgeist von Frieden, Mindersein und Geschwisterlichkeit an ein breites Publikum getragen. 

 

Franziskanische Friedensmission

Das wohl wichtigste Ziel der frühen Brüder war das Heilige Land. Im Jahr 1217 bewegten sich die Brüder unter der Führung von Bruder Elias von Cortona Richtung Osten und gründeten die „Kustodie des Heiligen Landes“ – eine Gründung, die bis heute existiert. 1219 kam der heilige Franziskus dann selbst nach Damietta in Ägypten. Hier ereignete sich das berühmte Treffen mit Malik al-Kamil, dem damaligen Sultan Ägyptens und Neffen Saladins. Das Treffen zwischen Franziskus und al-Kamil fand während des fünften Kreuzzuges statt – eine Zeit, die von Gewalt, Krieg und großer Angst vor dem Fremden überschattet wurde. Seine Verstrickung in die Kreuzzüge war jedoch durch eine deutliche und prophetische Ablehnung dieser Kultur der Feinseligkeit und des Hasses geprägt, in dessen Fesseln sich das Christentum im 13. Jahrhundert befand. Mit dem Versuch der Friedensvermittlung zwischen den sich bekriegenden Interessengruppen riskierte Franziskus sein Leben und überschritt feindliche Linien, nur um dem Sultan seine Friedensbotschaft zu überbringen.

 

Freundschaft – trotz Scheitern

Das Treffen zwischen Franziskus und dem Sultan sollte sich als wegweisend für die franziskanische Mission und Evangelisierung erweisen. Mit der Absicht der ersten Brüder, „jenseits der Berge“ zu gehen, entdeckten sie auch den Wunsch, das Evangelium über Grenzen zu tragen. In Damietta zeigt Franziskus, dass der wahre Geist der franziskanischen Mission und der Evangelisierung von einem Bedürfnis nach Frieden, Gewaltlosigkeit und Geschwisterlichkeit geprägt ist. Dieser einzigartige Ansatz der Evangelisierung wurde durch Franziskus‘ Verständnis von universeller Verwandtschaft untermauert. Er glaubte an die jedem Menschen innewohnende Würde und die allgemeine Anerkennung als Schwestern und Brüder des gleichen Schöpfers. Trotz der schwerwiegenden Umstände und dem gescheiterten Versuch, Frieden zwischen den Kreuzzüglern und den Muslimen zu vermitteln, gingen Franziskus und der Sultan nicht als Feinde, sondern als Freunde aus ihrer Zusammenkunft hervor.

 

Franciscans International

Diese Art der franziskanischen Mission ist auch heute noch lebendig. Franciscans International ist eine internationale Nichtregierungsorganisation, die die Franziskanische Familie der ganzen Welt repräsentiert. Im Geiste von Frieden, Gewaltlosigkeit und Geschwisterlichkeit setzt sie sich für den Schutz der verletzlichsten und ausgegrenzten Schwestern und Brüder unter uns ein. Franciscans International arbeitet mit den Institutionen der Vereinten Nationen zusammen. Ziel ist eine Welt in Frieden, Gewaltlosigkeit und Geschwisterlichkeit – der zentrale Auftrag des heiligen Franziskus. 

 

Einflussreicher Status

Gegründet in den 1980ern von einer Gruppe franziskanischer Schwestern und Brüder, die sich eine Stimme bei den Vereinten Nationen wünschten, wurde Franciscans International 1989 formal von den Vereinten Nationen als Nichtregierungsorganisation anerkannt. Im darauffolgenden Jahr öffnete Franciscans International sein Büro in New York City mit einer einfachen, aber wirkmächtigen Mission: Die franziskanischen Ideale und Werte von Frieden, Geschwisterlichkeit und Respekt vor der Schöpfung sollten mitten in die Vereinten Nationen getragen werden. Im Jahr 1995 erhielt Franciscans International den Allgemeinen Beraterstatus bei dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen. Dieser Status erlaubt es Franciscans International, sich in internationalen Entscheidungsprozessen auf höchster Ebene zu engagieren, sowie bei Aktivitäten des Wirtschafts- und Sozialrates durch mündliche und schriftliche Interventionen zu partizipieren. So wird der Einfluss von Franciscans International und die Möglichkeit, sich für Veränderungen auf globaler, nationaler und lokaler Ebene einzusetzen, vergrößert.

 

Gemeinsames Projekt

Franciscans International arbeitet unter der Trägerschaft der Konferenz der Franziskanischen Familie, die die verschiedenen franziskanischen Orden und Kongregationen repräsentiert. Die Generalminister der Franziskaner-Minoriten (OFM Conv.), der Franziskaner (OFM), der Kapuziner (OFM Cap.), des Regulierten Dritten Ordens (TOR), des Säkularordens des hl. Franziskus (OFS) und der Vorsitzende der internationalen, franziskanischen Konferenz der Brüder und Schwestern des Dritten Regularordens (IFC-TOR) sowie ein internationaler Vorstand arbeiten mit dem Management-Team von Franciscans International zusammen, um dem Auftrag dieser Organisation, sich für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt einzusetzen, gerecht zu werden.

Bereits seit beinahe 30 Jahren arbeitet Franciscans International unermüdlich daran, Menschenrechtsverletzungen, die Franziskaner und ihre Partnerorganisationen in der Praxis erfahren, an Entscheidungsträger heranzutragen. Mit zivilgesellschaftlichen Partnerorganisationen in über 30 Ländern auf vier Kontinenten packt Franciscans International die dringlichsten Menschenrechtsprobleme unserer Zeit an: von Gewalt in der Region der Großen Afrikanischen Seen zu Migrationsbewegungen in Mittelamerika bis hin zu außergerichtlichen Tötungen auf den Philippinen.

 

Einsatz für die Menschenrechte

Der Glaube an die Würde aller Menschen steht im Zentrum der Mission von Franciscans International und dieser wird in einem Bekenntnis zum Schutz und Erhalt der Menschenrechte und der Umwelt bezeugt. Wir nutzen Anwaltschaft als Werkzeug, um Menschenrechtsverletzungen zu bekämpfen oder zumindest deren Effekte zu mindern, sowie um Menschenrechten eine zentrale Rolle in den Formulierungen und der Gestaltung nationaler und internationaler Staatstätigkeit zukommen zu lassen. Wir glauben, dass Menschenrechte das Herz aller politischen Prozesse sein sollten, insbesondere jene, die sich auf Entwicklungs-, Umwelt-, oder Sicherheitsfragen beziehen. Dieser Ansatz der Anwaltschaft, der sich auf die Förderung und den Schutz der Menschenrechte bezieht, hat uns dazu gebracht, ein zweites Büro in Genf zu errichten, wo auch der UN-Menschenrechtsrat seinen Sitz hat. 

Diese beiden Büros geben Franciscans International eine einzigartige Position, um Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und Menschenrechtsverteidiger effektiv zu unterstützen. Durch Diplomatie, Diskussion, Verhandlungen und durch die Bereitstellung eines Sprachrohrs, durch das unsere Partner Menschenrechtsverletzungen in ihren Gemeinschaften direkt an die Vereinten Nationen tragen können, können wir unsere Mission von sozialer und ökologischer Gerechtigkeit und Frieden in Angriff nehmen und verwirklichen. 

 

Engagement im Kongo

Als eine religiöse Organisation, die zusammen mit einem globalen Netzwerk der Franziskanischen Familie agiert, hat Franciscans International einen einzigartigen Einblick in die Gemeinden, die am meisten von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind. Unsere Partnerschaft mit lokalen Menschenrechtsverteidigern zielt darauf ab, unseren Partnern eine internationale Bühne zu bieten. Dies hilft ihnen dabei, ihre Gemeinden zu stärken und an politischem Einfluss auf nationaler Ebene zu gewinnen.

Unsere derzeitige Arbeit in der Demokratischen Republik Kongo dient als gutes Beispiel für eine solche Partnerschaft und für unseren Einsatz für die Probleme der Franziskaner vor Ort. Nach Jahrzehnten des Konflikts, 3,8 Millionen intern vertriebenen Personen, unzähligen Toten, brutalen Menschenrechtsverletzungen und dem mehrfachen Einsatz von Massenvergewaltigungen als Kriegswaffe hat sich die Situation in der Demokratischen Republik Kongo seit Mitte 2016 weiter verschlimmert. Es wurde offenbar, dass der derzeitige Präsident Joseph Kabila verfassungswidrig seine Amtszeit verlängert hat.

Als die Gewalt in einigen Provinzen zunahm, machte Unsicherheit die politische Situation noch unberechenbarer. Die einzige politische Kraft, die die Fähigkeit gehabt hätte, die verfeindeten Parteien an einen Tisch zu bringen, um eine friedliche Verhandlung zu vermitteln, war die Nationale Bischofskonferenz des Kongo (CENCO). Der Vizepräsident von CENCO, Monsignore Fridolin Ambongo Besungu, ein Kapuzinerbruder und Erzbischof von Mbandaka-Bikoro, war die Schlüsselfigur dieser Verhandlungen. Msgr. Fridolin arbeitete bereits als Langzeitpartner mit uns, um Aufmerksamkeit zu erwirken und Verstöße gegen die Menschenrechte in der Demokratischen Republik Kongo vor dem UN-Menschenrechtsrat zu melden. 

Die Möglichkeit internationaler Anwaltschaft, die durch Franciscans International für CENCO und die zentrale Rolle von Msgr. Fridolin bereitgestellt wurde, verhalf diesen bei den Verhandlungen zur Verabschiedung des „Accord de la Saint Sylvestre“ (Neujahrsabkommen). Der wohl wichtigste Punkt dieses Abkommens war die konkrete Zusage, demokratische Wahlen noch vor dem Ende des Jahres 2017 zu halten.

Trotz dieser Bemühungen geriet der Wahlprozess Anfang 2017 in einen Stillstand und warf das Land in ein politisches Schachmatt, das ernsthaft die Wahlen und fundamentale Prinzipien des Neujahrsabkommens gefährdete. Zeitgleich stieg die Gewalt in vielen Regionen des Landes wieder an, besonders in der Kazai-Provinz, in der die katholische Kirche des Kongo und die Vereinten Nationen über 3.000 Todesopfer und mindestens 42 Massengräber seit August 2016 gemeldet haben.

In Anbetracht dieser nachträglichen Entwicklungen haben Franciscans International und Msgr. Fridolin sich wiederholt bei dem UN-Menschenrechtsrat für eine entschiedene Resolution und einen internationalen Untersuchungsausschuss eingesetzt. Diese Maßnahmen wurden letztendlich im Juni 2017 in der 35. Sitzung des UN-Menschenrechtsrats verabschiedet.

 

La 72 − Herberge für Flüchtlinge

Franciscans International hat seine wichtigsten Partner auf der ganzen Welt ermutigt, auf die Frage der globalen Migration einzugehen. Einer dieser Partner ist La 72 – Hogar Refugio Para Personas Migrantes, eine Migrations- und Flüchtlingsherberge nahe der mexikanischen Südgrenze in Tenosique, Tabasco, Mexiko. Von Bruder Tomás Gonzáles Castillo (OFM ) und den Franziskanischen Ordensbrüdern der Provinz San Felipe de Jesús (OFM) im Jahre 2011 gegründet, bietet die La 72 ein weitreichendes Unterstützungsangebot für humanitäre und juristische Problemlagen der vertriebenen Menschen, denen Gewalt und Diskriminierung in verschiedenen Ländern Mittelamerikas drohen.

Die Situation für verletzliche Menschen in Zentralamerika ist besonders dringlich und heftig. Nachdem der Waffenstillstand zwischen der organisierten Kriminalität und den Regierungen von El Salvador, Guatemala und Honduras Mitte 2014 zerfiel, hat die Gewalt im „triangulo norte“ massiv zugenommen. Im Jahr 2015, dem ersten Jahr nach dem Waffenstillstand, sind die Tötungsdelikte in El Salvador um 70% gestiegen, was zu mindestens 6.657 Toten geführt hat. Diese Zahlen machen es im Jahr 2016 zu dem tödlichsten Land der Welt, das sich nicht in einer Kriegszone befindet. Das organisierte Verbrechen, Erpressungen, Korruption, Kriminalität und eine verantwortungslose Regierungsführung verschlimmern diese unberechenbare Situation.

Dies hat Fluchtbewegungen zur Folge, insbesondere von Kindern und Familien. Viele wandern in Nachbarländer aus, nach Mexiko oder in die USA, in der Hoffnung auf Schutz und Sicherheit. Doch ist der Weg aus dem Land so gefährlich wie die Situation, die sie gerade verlassen haben. Kriminelle Organisationen, Menschenhändler, (para-)militärische und lokale Banden überfallen sie auf dem Weg, erpressen sie um Geld, rauben sie aus und vergewaltigen sie. Sind sie einmal in Mexiko oder den USA angelangt, werden sie mit einer erdrückenden Bürokratie konfrontiert, die Asylanträge zu einem wahrlich schwierigen Unterfangen macht.

Unabhängig von ihrem Zielort bietet die La 72 eine sichere Unterkunft für alle Migranten und Flüchtlinge und unterstützt sie auf ihrem Weg. Franciscans International unterstützt die Bemühungen der La 72, indem sie es möglich macht, die Probleme direkt an die politischen Entscheidungsträger bei den Vereinten Nationen und auf der ganzen Welt zu tragen.

 

Die Zukunft im Blick

Die seit 800 Jahren bewährte Botschaft von Gerechtigkeit und Frieden und das Bekenntnis, sich für diejenigen einzusetzen, die ausgegrenzt und verletzlich sind, setzt sich in der weltweiten franziskanischen Bewegung weiterhin fort. Franciscans International stellt Unterstützung, Expertise und die notwendigen Kanäle bereit, sodass ihre Arbeit – wie die Arbeit des heiligen Franziskus und der frühen Brüder – über den lokalen Kontext, über die Berge und über die Grenzen ein internationales Forum erreicht. Unsere Hoffnung ist es, dass dieses Engagement die notwendige Transformation auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene herbeiführen kann, zur Errichtung einer globalen Gemeinschaft, in der die Würde jedes Individuums respektiert wird, in der die Güter und Ressourcen gerecht verteilt sind, die Umwelt erhalten bleibt und die Menschen in Frieden leben.

 

Der Autor:

Markus Heinze, Jahrgang 1960, ist seit 1980 Franziskaner. Nach Studium und Priesterweihe war er einige Jahre in der Pfarrseelsorge tätig. Von 1991 bis 2010 lebte er in einer neu gegründeten Fraternität seiner Gemeinschaft in einer Hochhaussiedlung in Frankfurt. Die Themen „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ begleiten ihn seit vielen Jahrzehnten. Seit mehreren Jahren ist er bereits für Franciscans International in Genf tätig, seit 2015 als Geschäftsführer.

Zuletzt aktualisiert: 01. Oktober 2017
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