Dichten für eine bessere Welt

29. September 2009 | von

 Vor 250 Jahren kam das literarische Genie Friedrich Schiller in der beschaulichen Stadt Marbach zur Welt. Bereits zu seinen Lebzeiten hoch angesehen – und dennoch fast ständig in Geldnöten – wurde der Dichter nach seinem frühen Tod Gegenstand kultischer Verehrung. Neben Goethe gilt er als Repräsentant zweier bedeutender Epochen der deutschen Literatur: des „Sturm und Drang" und der „Weimarer Klassik".



 Wurde erst 2005 des 200. Todestages von Friedrich Schiller gedacht, ist in diesem Jahr die Feier seines 250. Geburtstages Anlass für Ausstellungen, Theateraufführungen, Lesungen und Veranstaltungen im breiten Spektrum zwischen Unterhaltung und wissenschaftlicher Betrachtung. Denn der Dichterfürst hat der Gegenwart mehr geschenkt als den Text der Europa-Hymne, zu der Beethovens Vertonung der „Ode an die Freude" (in der 9. Symphonie) im Jahr 1985 gewählt wurde.



Sie entstand 1785 in Leipzig-Gohlis, wo Schiller auf Einladung des Juristen Christian Gottfried Körner weilte. Die Zeiten zuvor waren für den jungen Dichter unruhig gewesen, von ständiger Geldnot überschattet. Hier nun fand er endlich die Gemeinschaft gleich gestimmter Seelen, die ihm aus seiner Krise half. Es war der Beginn einer Freundschaft fürs Leben, viele Jahre sollte Körner als kluger Berater Schillers Arbeit begleiten.



Wortgewaltiger Freiheitskämpfer



Heute wird jenes hohe Lied der Freude gern als ein Produkt des deutschen Idealismus, jene Hochblüte der Klassik am Ausgang des 18. Jahrhunderts, gesehen und Friedrich Schiller als der pathetische Protagonist dieser Stil- und Denkrichtung ausgemacht. Dabei war er doch zunächst ein rothaariger Rebell, der sich mit „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", den Idealen der Französischen Revolution, identifizierte – kamen sie doch seiner Vorstellung von der Wahrung der Menschenwürde entgegen. Sein Ruhm drang über die Landesgrenzen: 1792 wurde „Monsieur Gille" vom höchsten Gremium der französischen Revolution mit dem Ehrenbürgertitel „Citoyen" ausgezeichnet. Die Begründung lautete, dass er mit seinem ersten Theaterstück, dem Sturm-und-Drang-Drama „Die Räuber", die Befreiung der Völker vorbereitet habe.



Das Dekret hatte Schiller aber erst 1798 erreicht. Da war er längst vom Schreckensregime der Aufständischen angeekelt, und die Revolutionäre bereits unter der Erde. Gegen Ende des 18. Jahr-

hunderts fand der Dichter, der noch 1787 in seinem Drama „Don Karlos, Infant von Spanien" vehement Gedankenfreiheit forderte, andere Töne zum Thema Menschenwürde: „Nichts mehr davon, ich bitt’ euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen. / Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst."



Hohe Menschlichkeit



Harmonische Schönheit, ordnende Vernunft, Freiheit und Liebe bestimmen das hohe Menschenbild im Schillerschen Idealismus. Die religiöse Tiefe dieses Humanitätsideals hob sich von dem der Aufklärung ab. In seinem Theaterstück „Jungfrau von Orleans" (1801) zeichnete Schiller Johanna nicht nur als Schäferin, Kriegsheldin und Märtyrerin, die für die nationale Einheit kämpft. Für ihn ist sie die Verkörperung einer durch Gnade erhöhten Menschlichkeit – das moralische Denken Schillers nähert sich in diesem Theaterstück dem Religiösen. Geheimrat Goethe, den erst im hohen Alter eine enge, wenngleich nicht ungetrübte Freundschaft mit Schiller verband, schrieb nach dessen Tod im „Epilog zu Schillers Glocke" Zeilen, die diese dichterische Entwicklung charakterisieren: „Indessen schritt sein Geist gewaltig fort / Ins Ewige des Wahren, Guten, Schönen / Und hinter ihm in wesenlosem Scheine / Lag, was uns Alle bändigt, das Gemeine."



Mit dem Schreiben als Brotberuf suchte Schiller, der seit 1790 mit Charlotte von Lengenfeld verheiratet war, seine Familie als Dramatiker, Lyriker, Ästhetiker, Historiker, Übersetzer und Herausgeber einigermaßen standesgemäß zu unterhalten. In seinem unermüdlichen, nur 45 Jahre währenden Dichterleben hat Schiller Grundlagen der Ästhetik ebenso wie das historisch-politische, humane und metaphysische Drama entwickelt, Werke, die bis heute auf dem Lehrplan stehen. Jubiläumsjahre wie dieses regen an, sich wieder einmal mit dem Dichter zu beschäftigen, ihn zu lesen, Aufführungen seiner Theaterstücke zu besuchen oder den Spuren seines Lebens zu folgen und seine Wirkungsstätten zu erleben.



Da ist zunächst Marbach mit seinem Geburtshaus zu nennen, in dem Friedrich am 10. November 1759 zur Welt kam und das viele Erinnerungsstücke an ihn und die Familie zur Schau stellt. Noch bedeutsamer ist das Schiller-Nationalmuseum auf der Höhe, das bis Mitte November des Dichters 250. Geburtsjahr begeht. Was wäre gewesen, wenn die Familie Schiller in dem stillen Marbach geblieben wäre? Wäre Friedrich, wie der Vater es wünschte, Geistlicher geworden, die Welt um einen Dichter ärmer? Dass der Sanitätsoffizier Schiller mit der Familie in die Residenzstadt Ludwigsburg übersiedelte, die damals den Ruf hatte, die beste französische Komödie außerhalb von Paris sowie die beste italienische Oper nördlich der Alpen zu besitzen, veränderte Friedrichs Leben. Denn das Schlosstheater ebenso wie die Bibliothek des Herzogs Karl Eugen stand den Offiziersfamilien offen. Die Bühne begeisterte den Knaben. Es braucht nur wenig Phantasie, sich vorzustellen, wie er im Hof der elterlichen Wohnung seinen Freunden Rollen zuteilte und vor leeren Stühlen Theater spielte.



Aufschwung zum Dichterolymp



Doch der Herzog zwang ihn zur Ausbildung in Schloss Solitude in der Nähe von Stuttgart, wo der Despot Nachwuchs für Heer und Verwaltung heranzüchten ließ. Heimlich las Friedrich Werke von Plutarch, Shakespeare, Rousseau und Klopstock, wurde vom Sturm und Drang-Drama der Epoche gepackt und zum dichtenden Rebell, der zur Uraufführung seiner „Räuber" unerlaubt nach Mannheim reiste und in der Folge der Ereignisse seine schwäbische Heimat verlassen musste. In Mannheim dokumentiert eine Hinterhof-Idylle im Quadrat B5,7, seine vermutlich letzte Wohnstätte hier, die Bescheidenheit der damaligen Lebenssituation. Das berühmte National-Theater Mannheim widmet sich nicht nur in Gedenkjahren seinen Werken, in der Spielzeit 2009/10 stehen etwa „Die Jungfrau von Orleans", „Maria Stuart" und „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" auf dem Plan.



Auf Mannheim folgten entbehrungsreiche, von Krankheit und Geldnot geprägte Jahre, die den 1802 in den erblichen Adelsstand erhobenen Friedrich Schiller recht spät in den Dichterolymp Weimar führten. Die sich vertiefende Freundschaft mit dem älteren Goethe inspirierte ihn, er bezeichnete sie als das „wohltätigste Ereignis" in seinem ganzen Leben. Es entstanden große Weltanschauungsgedichte und wunderbare Balladen, 1804 beendete er den „Wilhelm Tell". Gemeinsam dichteten die Dichterfürsten die „Xenien", in denen sie die Literatur ihrer Zeit aufs Korn nahmen.



Unsterblicher Idealist



Trotz vieler Erfolge reichten Schillers Einnahmen nie, er sorgte sich: „Wenn nur Leben und leidliche Gesundheit bis zum 50. Jahr aushält!" Doch es war ihm nicht beschieden. Friedrich Schiller starb – wohl an einer verschleppten Rippenfell- und einer akuten Lungenentzündung – am 9. Mai 1805 in Weimar. Sein Haus ist heute Gedenkstätte, im Arbeits- und Sterbezimmer drängen sich Schüler auf Klassenfahrt ebenso wie literarische Pilger. Sie erweisen ihre Reverenz dem Idealisten, der in der ästhetischen Erziehung des Menschen den Weg zu einer besseren Welt gefunden zu haben glaubte.



 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016