Die Franziskus-Basilika wankt

28. Juli 2017 | von

Auch in der jüngeren Vergangenheit wurde Italien immer wieder von Erdstößen erschüttert. In der franziskanischen Familie hat sich das Beben vom September 1997 mit seinen großen Schäden an der Franziskus-Basilika ins Gedächtnis eingebrannt. Br. Thomas Freidel, heute Pilgerseelsorger in Assisi, erinnert an diese Schicksalstage.

Wohl kaum eine Frage wird den Brüdern des Sacro Convento in Assisi bei den Führungen durch durch die Basilika San Francesco so zuverlässig und häufig gestellt wie diese: „Wo sind denn die Schäden des Erdbebens zu sehen?“ Ja, die Anteilnahme war groß an diesem Ereignis im September 1997, und viele Pilger wundern sich, dass es nun schon 20 Jahre her ist, dass die ganze Welt erschüttert auf die Region Umbrien und die Stadt des heiligen Franziskus blickte.

Einkalkulierte Gefahr
Nun ist die Gefahr des Erdbebens in vielen Teilen Italiens ein leider allzu vertrautes Phänomen. In Assisi wird es dem aufmerksamen Besucher schon beim Anblick des Platzes vor der Grabeskirche des heiligen Franziskus bewusst. Die gesamte Rasenfläche vor der Oberkirche ist ein künstlich aufgeschütteter Hügel an dem von der Stadt her steil abfallenden Gelände. Bereits gegen Ende des 13. Jahrhunderts wollte man so Vorsorge treffen und zur Stabilisierung des Kirchenbaus beitragen. Auch die gesamte Architektur der Basilika birgt Hinweise auf die drohende Erdbebengefahr, indem man bewusst auf die filigrane Bauweise der französischen Kathedralen verzichtete und lediglich einzelne Stilelemente des gotischen Baustils in freier Weise zitierte. Alles sollte möglichst stabil und widerstandsfähig gebaut sein. Die gewaltigen Substruktionen des Papstpalastes bei der Basilika, dem ankommenden Pilger schon von weitem sichtbar, sollten ebenfalls zur Absicherung des ganzen Baukomplexes beitragen.
Verschiedene schwere Erdbeben sind durch die Geschichte bezeugt, im 19. Jahrhundert schädigten sie vor allem die Kirchenbauten in der Ebene unterhalb der Stadt, wie die Kirche von Rivotorto und die Basilika Santa Maria degli Angeli. Sosehr das Erbeben meist überraschend und schwer vorhersehbar kommt, so sicher ist es aber immer erst der Beginn einer ganzen Serie von Erschütterungen, die sich dann über mehrere Tage oder Wochen hinziehen.

Schicksalstage im Herbst
So war es auch im September 1997, als bereits seit Beginn des Monats mehrere Erschütterungen in Mittelitalien zu verzeichnen waren. In der Nacht auf den 26. September erschreckte dann ein Beben der Stärke von 5,7 auf der Richterskala die Bevölkerung Umbriens. Die Brüder des Sacro Convento kontrollierten in einem ersten Rundgang die Schäden im Haus und in der Kirche, die zwar vorhanden waren, sich aber noch in Grenzen hielten. Am kommenden Tag war dann die Oberkirche von San Francesco aus Sicherheitsgründen für die Besucher gesperrt. Eine kleine Gruppe von Technikern des Denkmalamtes und Mitbrüdern begutachtete die Schäden im Langhaus der Basilika und begann mit kleineren Reinigungsarbeiten, als dann um 11.40 Uhr ein unerwartet starkes Nachbeben einsetzte. Durch die Stärke von 6,0 und das in unmittelbarer Nähe bei Foligno liegende Epizentrum hatte dieser Erdstoß stärkere Auswirkungen. Eine Druckwelle durchzog die Kirche und brachte zwei Gewölbeteile zum Einsturz. Die in der Kirche befindlichen Personen wollten sich durch den Haupteingang retten. Einige wurden dort vom herabstürzenden Gewölbe getroffen, vier Menschen, zwei Techniker der Denkmalbehörde, ein junger Mann aus Polen, der sich auf den Eintritt in den Orden vorbereitete, und unser Mitbruder Angelo Api fanden an dieser Stelle den Tod. Professor Sergio Fusetti, bereits zu dieser Zeit wie heute noch Chefrestaurator der Basilika, rettete dem damaligen Kustos, Pater Giulio Berettoni, das Leben mit einem Stoß in die Seite, beide stürzten zu Boden, Fusetti schwer verletzt. Mein Vorgänger im Dienst für die Pilger in Assisi, Pater Gerhard Ruf († 2008), war zufällig zu einem Termin außer Haus, leicht vorstellbar, dass er sonst als Fotograf des Konventes auch unter den Opfern gewesen wäre.

Schneller Wiederaufbau
Sofort machte man sich an die Wiederherstellung des Kirchenbaus. Hauptproblem war das schwere Gewicht, das auf den Gewölben der Oberkirche lastete. Man hatte, einer früheren Überzeugung folgend, durch alle Jahrhunderte immer den Bauschutt bei Restaurierungen auf den Gewölben liegen lassen, was den gewaltigen Druck zum Zeitpunkt des Erbebens erhöhte. Kubikmeter Schutt wurden aus den Gewölben geschafft, der ebenfalls beschädigte Giebel des südlichen Querhauses restauriert und an allen wichtigen Stellen die Erdbebensicherungstechnik in Form von Abfederungen und Verankerungen aus einem eigens in Deutschland hergestellten Stahl installiert. 
Über 300.000 Fragmente der herabgestürzten Fresken wurden gesichert und in einem speziellen Verfahren wieder auf den zugemauerten Gewölben zusammengefügt. Diese Rekonstruktion war beim Bild des Evangelisten Matthäus zu 20 Prozent möglich, das Fresko des Kirchenlehrers Hieronymus über dem Eingang konnte gar zu 80 Prozent wieder hergestellt werden. Wenn auch diese Arbeiten noch einige Jahre in Anspruch nahmen, so konnte die Basilika selbst bereits rechtzeitig zum großen Jubiläumsjahr 2000 wiedereröffnet werden.
Natürlich bleibt das Thema Erdbeben immer in gewisser Weise präsent in den meisten Regionen Italiens. Mehrere Forschungsinstitute, eines davon in Potsdam, beobachten ständig das ganze Land und registrieren alle Erschütterungen. Die Anwendung der Sicherheitstechnik hat aber auch gezeigt, dass man zumindest bis zu einem gewissen Grad etwas für die Sicherheit tun kann. In Assisi haben sich diese Maßnahmen dann bei späteren Erdstößen bewährt.
Am Ausgang der Oberkirche erinnert eine Gedenktafel im Boden an die Opfer des 26.09.1997. Am Jahrestag ist sie immer mit Blumen geschmückt: Zeichen des betenden Gedenkens und die Erinnerung daran, dass wir gerade in der Endlichkeit unseres Lebens darauf vertrauen dürfen, in Gottes Hand geborgen zu sein.

Zuletzt aktualisiert: 17. September 2017
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