Die unbesuchte Hauptstadt: Tiberias

11. Dezember 2023 | von

Das Heilige Land steht – wieder einmal – im Fokus kriegerisch-terroristischer Auseinandersetzungen. Die Serie zu den biblischen Orten nimmt unsere Leserinnen und Leser immer wieder mit zu den Stätten der Heiligen Schrift und will auch dazu beitragen, die Verbundenheit mit ihrer einzigartigen Geschichte zu fördern.

Obwohl Tiberias zur Zeit des öffentlichen Auftretens Jesu die Hauptstadt von Galiläa war, der Heimat Jesu, hat er sie anscheinend nie besucht. Wohl aus gutem Grund. Erbaut wurde Tiberias, am Westufer des Sees Genezareth im Norden Israels gelegen, ab dem Jahre 17 von König Herodes Antipas, der sie schließlich auch zur Hauptstadt der Provinz Galiläa erhob. Das genaue Gründungsdatum lässt sich anhand von datierten Münzen mit der Aufschrift „Tiberias“ feststellen – benannt nach dem berühmten römischen Kaiser Tiberius. Die Stadt entstand an einem römischen Bad mit Wasser aus den dortigen heißen Mineralquellen. Bis heute befinden sich im Süden der jetzigen modernen Stadt die heißen Quellen und Thermenanlagen, deren schwefelhaltiges Wasser mit 60 Grad aus der Erde kommt und zum Badevergnügen heruntergekühlt wird.

Höhen und Tiefen

Um die Stadt im römisch-griechischen Stil mit Palästen, einem Theater und einer Pferderennbahn errichten zu können, mussten laut dem Geschichtsschreiber Josephus viele jüdische Grabstätten entfernt bzw. überbaut werden – ein Sakrileg. Daher wurde die Stadt formell zu einem unreinen Ort, kein Jude hätte dort freiwillig mehr gelebt, so dass Teile der Stadt nur unter Zwang besiedelt wurden. Erst nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 entwickelte sich Tiberias zunehmend mehr zum religiösen und geistigen Zentrum der Juden. Ab dem 3. Jahrhundert war der Sanhedrin, der Hohe Rat, also die oberste jüdische religiöse und politische Instanz und gleichzeitig das oberste Gericht, in Tiberias angesiedelt. Tiberias, Jerusalem, Hebron und Safed wurden von den Juden als die vier heiligen Städte angesehen, die als Sitze der Gelehrsamkeit berühmt waren. Im Laufe der Jahrhunderte war Tiberias verschiedenen Herrschaften unterworfen, unter anderem eroberten 1099 die Kreuzritter die Stadt, vertrieben die Juden und Muslime, bauten eine Stadtmauer und machten sie zu ihrem Stützpunkt in Galiläa. Die letzten beiden großen Zerstörungen ereilten Tiberias bei einer großen Flut 1934 und im israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948. Danach wurde die Stadt erneut wieder aufgebaut.

Von Jesus nicht besucht

Im Neuen Testament wird Tiberias nur ein einziges Mal erwähnt, und zwar nach den Begebenheiten der wunderbaren Brotvermehrung und des Seewandels Jesu im Johannesevangelium. Der Evangelist beschreibt, dass viele Menschen mit ihren Booten von Tiberias zum Ort der Speisung und dann nach Kafarnaum fahren, um Jesus zu suchen und in seiner Nähe zu sein. Der aber hält sich bereits am anderen Ufer des Sees Genezareth auf, der im Johannesevangelium zweimal auch als See von Tiberias bezeichnet wird (vgl. Joh 6,23). Nach seiner Auferstehung offenbarte sich Jesus einigen seiner Jünger in dieser Gegend (vgl. Joh 21). Nirgendwo jedoch wird von einem Besuch Jesu in Tiberias berichtet. Vermutlich hat er die Stadt gemieden, weil er selbst nach der Gefangennahme von Johannes dem Täufer mit Nachstellungen durch König Herodes rechnen musste. Außerbiblische Quellen sprechen davon, dass die Enthauptung Johannes des Täufers durch Herodes, dessen Ehebruch er kritisiert hatte, in Tiberias erfolgte.

Zwischen Tourismus und Spiritualität

Heute ist Tiberias ein bedeutender Touristenort sowohl für christliche als auch jüdische Pilger mit rund 40.000 Einwohnern. Große Hotels, Fischrestaurants und Ausflugsboote warten auf die Gäste. Während Juden vor allem die Gräber der bekannten Rabbiner Maimonides, Jochanan ben Sakkai und Akiba besuchen, steuern Christen sehr bald die Peterskirche an, deren erste Erwähnung auf das Jahr 1106 zurückgeht, die Zeit der christlichen Kreuzfahrer. Nachdem die Muslime die Stadt erobert hatten, wurde die Kirche in eine Moschee umgewandelt. Gegen Mitte des 17. Jahrhunderts feierten die Franziskaner aus Nazareth jährlich in Tiberias das Fest des Apostelfürsten Petrus – gegen eine Geldsumme –, bis sie schließlich in den Besitz der Kirche kamen und 1847 einen eigenen Konvent anbauen konnten. Die heutige Kirche hat die Form eines Bootes mit einer wie ein Kiel spitz zulaufenden Apsis und erinnert einerseits an ihren Patron, den Fischer Petrus, und symbolisiert andererseits die den Stürmen widerstehende Kirche Christi, die von den „Pforten der Unterwelt“ nicht überwältigt werden kann (vgl. Mt 16,18). Im Vorhof der Kirche steht eine Bronzestatue des hl. Petrus, eine exakte Kopie der berühmten Petrusfigur aus dem Petersdom in Rom. Auch wenn das Areal noch immer im Eigentum der Franziskaner-Kustodie des Heiligen Landes ist, kümmert sich die charismatische Gemeinschaft „Koinonia Johannes der Täufer“ um die spirituellen Angebote. Archäologische Ausgrabungen konnten 1990 die Überreste eines römischen Theaters zugänglich machen, das neuesten Erkenntnissen zufolge nicht aus dem 2. oder 3. Jahrhundert stammt, sondern bereits kurz nach der Stadtgründung zu Beginn des ersten Jahrhunderts errichtet wurde.

Etwas moderner zeigt sich da schon die Uferpromenade mit Restaurants und einem tollen Panorama auf den See Genezareth – und einer Licht- und Wassershow, die am Abend ganze Geschichten in den Himmel malt.

Zuletzt aktualisiert: 27. Dezember 2023
Kommentar