Ein Leben für eine Reise

01. Januar 1900 | von

Welch ein Glück ist mir eröffnet! Mir schwindelt der Kopf vor Freude. Ich gehe ab mit der spanischen FregattePizarro. Wir landen auf den Canaren und an der Küste von Caracas in Südamerika. (...) Ich werde Pflanzen und Fossilien sammeln, mit vortrefflichen Instrumenten astronomische Beobachtungen machen können; – ich werde die Luft chemisch zerlegen (...) Das alles ist aber nicht Hauptzweck meiner Reise. Auf das Zusammenwirken der Kräfte, den Einfluß der unbelebten Schöpfung auf die belebte Thier- und Pflanzenwelt, auf diese Harmonie sollen stets meine Augen gerichtet sein! In diesen Worten können wir die Begeisterung und die Zielstrebigkeit des jungen, 30jährigen Alexander von Humboldt erspüren, der am Beginn seiner großen Forschungsreise steht und sich mit diesen Zeilen, geschrieben am Abreisetag, den 5. Juni 1799, von La Coru–a aus an Freunde wendet.

Umfassende Bildung. Alexander von Humboldt war am 14. September 1769 in Berlin geboren; sein Vater stand im preußischen Staatsdienst und seine Mutter stammte aus einer hugenottischen Familie. Zusammen mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Wilhelm, dem späteren Kultusminister des preußischen Staates und Gründer der Berliner Universität, wird Alexander von Hauslehrern ausgebildet. 1787 beginnt er seine Studien an der Universität in Frankfurt an der Oder. Berlin, Göttingen, Hamburg, Freiberg bei Dresden sind weitere Stationen und lassen schon die umfassende Ausbildung erahnen, die der junge Alexander erwirbt. Seine Liebe gilt den Naturwissenschaften, vor allem der Pflanzenkunde, und den Bergbauwissenschaften, die er in Freiberg studiert. Doch auch Sprachen, Geographie und Wirtschaftswissenschaften gehören zu seinen Studienfächern. Studium und Forschen vollzieht sich auch in Freundeskreisen. So bekommt Alexander durch seinen Bruder Wilhelm im Jahre 1794 Kontakt zu Goethe und Schiller.
Zwischen Goethe und Alexander von Humboldt entwickelt sich eine herzliche Freundschaft.

Alexander v. Humboldt nimmt Anregungen von Goethes Naturforschungen auf und entwickelt sie weiter. In seinem Spätwerk Kosmos finden sie einen vollendeten Ausdruck.

Weltreisender. Im November 1796 stirbt seine Mutter. Durch sein Erbteil wird Alexander ein reicher Mann und wirtschaftlich vollkommen unabhängig. Er verabschiedet sich sogleich vom Staatsdienst, um sich ganz auf die große Forschungsreise vorzubereiten. Zwei Jahre lang machte er Reisen quer durch Europa, Weimar, Wien, Salzburg, Paris. Hier lernte Humboldt den Botaniker Aimé Bonpland kennen, der ihm zum treuen Freund und Reisebegleiter wird und alle Beschwernisse und Freuden der fünfjährigen Forschungsreise mit ihm teilen wird. Gemeinsam reisen sie nach Spanien, gewinnen die Gunst des Königs für ihre Reisepläne und erhalten einen Reisepaß, der an Großzügigkeit nicht zu übertreffen war. Dadurch werden sie in allen spanischregierten Kolonien herzlich aufgenommen und tatkräftig unterstützt.

Unter Krokodilen und Boas. Nach einer sechswöchigen Überfahrt betreten Humboldt und Bonpland am 16. Juli 1799 in Cumaná (Venezuela) den Boden Lateinamerikas. Diese große Reise läßt sich klar in drei große Abschnitte gliedern. Von Juli 1799 bis November 1800 befindet sich Humboldt in Venezuela. Höhepunkt dieses Aufenthalts ist die Orinokoreise, der wohl beschwerlichste Abschnitt seiner Amerikareise. In einem Brief an seinen Freund Willdenow schildert Humboldt die Beschwernisse: Vier Monate hindurch schliefen wir in den Wäldern, umgeben von Krokodilen, Boas und Tigern, nichts genießend als Reis, Ameisen, Manioc, Pisang Orenocowasser und bisweilen Affen... Strecken von 8000 Quadratmeilen, in denen kein Indianer, sondern nichts als Affen und Schlangen anzutreffen sind, haben wir, an Händen und Gesicht von Mosquitostichen geschwollen, durchstrichen. Der wissenschaftliche Ertrag dieses Reiseabschnitts ist die genaue Vermessung des Casiquiare, eines Flusses der die beiden Stromsysteme des Orinoko und des Rio Negro, eines Zuflusses des Amazonas, verbindet. Zu den täglichen Verrichtungen gehörten geophysikalische Messungen aller Art, exakte geographische Ortsbestimmungen, pflanzengeographische Beobachtungen sowie umfangreiche Sammlungen von Pflanzen, Tieren und Mineralien. Allein von der Orinokoreise brachten Humboldt und Bonpland etwa zwölftausend nicht oder wenig bekannte Pflanzenarten mit. Von Venezuela fuhren sie im November 1800 nach Havanna, wo sie für drei Monate Station machten.

Natur erforscht. Im März 1801 verließen die beiden Forscher Kuba, um Peru zu erreichen. Dieser zweite Abschnitt ihrer Reise dauerte zwei Jahre und führte sie über eine Distanz von 3340 Kilometern durch die Andenländer Kolumbien, Ecuador und Peru. Die Vielzahl der erloschenen oder aktiven Vulkane erlaubte Humboldt ausführliche vulkanologische Untersuchungen. Höhepunkt dieser wissenschaftlichen Arbeiten waren die Besteigungen zweier der größten Vulkane Südamerikas, des Pinchincha und des Chimborazo. Im August 1802 erreichen sie Peru, im Oktober des gleichen Jahres Lima. Von Callao, dem Hafen Limas, schifften sie sich im Dezember 1802 ein, um über Guayaquil nach Acapulco zu segeln. Während des Aufenthaltes in Guayaquil im Januar 1803 vermaß Humboldt zum erstenmal die Temperatur dieser Meeresströmung. So bekam dieser Meeresstrom neben den Namen Peru-Strom auch den Namen Humboldt-Strom.

Der dritte Abschnitt der großen Amerikareise ist Mexiko gewidmet, wo sich Humboldt und seine Begleiter von März 1803 bis März 1804 aufhalten. Da Humboldt Mexiko vom Pazifik bis zum Atlantik durchquert hatte, konnte er aufgrund seiner täglich vorgenommenen Messungen ein Profil des mittelamerikanischen Festlandes zeichnen.

Erntezeit. Über Havanna, wo Humboldt einen Teil seiner Sammlungen zurückgelassen hatte, ging es auf die Rückreise. Das Ansehen, das Alexander von Humboldt genoß, läßt sich auch daran ablesen, daß ihn der Präsident der damals noch jungen Vereinigten Staaten, Thomas Jefferson, auf seinen Landsitz Monticello beherbergte. Ende Juni 1804 verlassen Humboldt und Bonpland die USA und kehren im August 1804 nach mehr als fünfjähriger Abwesenheit nach Paris zurück. Die große, in ihrer Art einmalige Forschungsreise Alexander von Humboldts durch Südamerika findet ihren Ausklang in einem Jahrzehnte dauernden Auswerten und Dokumentieren der Beobachtungen und Messungen der Reise, in einem unermüdlichen Schreiben bis zu seinem Tod im Jahre 1859.

Universaler Ansatz. Am Ende unserer Erinnerung an Humboldts Forschungsreise soll die Würdigung eines seiner Biographen stehen: Diese Reise verdient wirklich, als einzigartig bezeichnet zu werden. Sie war es in ihrer Zielsetzung, in ihrer Durchführung und in ihrem Ergebnis. In ihrer Zielsetzung, weil sie eine kosmische Reise gewesen ist, weil sie nicht nur Kenntnisse auf verschiedenartigen Spezialgebieten sammeln, sondern weil sie universale Erkenntnis über die Erde als lebendige Ganzheit, als Kosmos, gewinnen wollte. Die in den zahlreichen, von Humboldt gepflegten Fachwissenschaften gesammelten Kenntnisse hatten dieser holistischen Erkenntnis zu dienen und waren erst in zweiter Linie auch für die eigenen Disziplinen bestimmt. Eine Forschungsreise von einer derart universalen philosophischen Zielsetzung ist vor Humboldt niemals versucht worden und kann nach ihm nicht wiederholt werden (A. Meyer-Abich).

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016