Eine europäische Heilige

07. Juni 2007 | von

Kaum war Elisabeth von Thüringen tot, gelangte sie auch schon in den Ruf der Heiligkeit. Schenkt man der „Legenda aurea" Glauben, so entströmte Elisabeths Leichnam selbst vier Tage nach ihrem Tod „ein köstlicher Duft, der erquickte viele Menschen".

Vögel hätten sich plötzlich versammelt, um „mit gar süßem Schall" und äußerst kunstvoll zu singen. Die Anwesenden deuteten diese wunderbaren Zeichen und schnitten sich kurzerhand von Elisabeths Haaren und Kleidern Stücke ab, um sie als „großes Heiltum" zu bewahren.

Elisabeths Elle. Eine Vielzahl von, meist gefälschten, Elisabethreliquien kursierte in ganz Europa. Eine der wenigen echten, Elisabeths Elle, birgt das kostbare Armreliquiar aus dem Besitz der Fürsten Sayn-Wittgenstein-Sayn. Der vergoldete und mit Edelsteinen besetzte Arm ist eine herausragende Goldschmiedearbeit des 13. Jahrhunderts. Er ist nur eine von vielen Kostbarkeiten, die vom 7. Juli bis 19. November in der spektakulären Ausstellung „Elisabeth von Thüringen – eine europäische Heilige" (täglich von 8:30 Uhr bis 18 Uhr) auf der Wartburg zu sehen sind. Mit dieser feiert Thüringen den 800. Geburtstag seiner populären Heiligen.

Exponat Wartburg. Wie kein anderer Ort eignet sich dazu die „deutscheste aller Burgen", denn hier verbrachte die ungarische Königstochter die meiste Zeit ihres Lebens (1211-1228). Auf 800 Quadratmetern Fläche wird die außergewöhnliche Biografie und Nachwirkung der Thüringer Landgräfin anhand herausragender Exponate nachgezeichnet und für den Besucher in ihrer ehemaligen Wohnung unmittelbar erfahrbar. So wird der Ort selbst zum Exponat, vor allem in den Räumen, die im Zeitalter der Romantik und des Klassizismus das Elisabeth-Leben und sich daran rankende Legenden in Fresken und Mosaiken wiederaufleben ließen. Der biografische Teil betont die zwei extremen sozialen Positionen, an denen Elisabeth zu einer schillernden und singulären Heiligengestalt reifte: die Welt des Hochadels – und die der Kranken und Armen.

Ein zweiter Abschnitt gibt einen Überblick über den Heiligsprechungsprozess. Der dritte Teil, ein wesentlicher Schwerpunkt der Ausstellung, macht die große und facettenreiche Elisabethverehrung anschaulich, unmittelbar nach ihrem Tode einsetzend bis hin zu Martin Luthers Wertschätzung der Heiligen. Ein weiterer Ausstellungsort, die gotische Eisenacher Predigerkirche, präsentiert auf 250 Quadratmetern neuzeitliche und aktuelle Aspekte der Elisabeth-Rezeption.

Insgesamt wartet die Landesausstellung, übrigens die erste zu Elisabeth mit internationalem Anspruch, mit 450 zum Großteil hochrangigen Exponaten von 190 Leihgebern, davon 90 aus dem Ausland, auf.

Pracht und Prunk. Prädestiniert für die Darstellung von Pracht und Prunk, wie sie Elisabeths frühe Jahre prägten, ist der Palas der Wartburg. Er gilt als der besterhaltene romanische Profanbau nördlich der Alpen, beeindruckend sind die hervorragenden Steinmetzarbeiten und seine einzigartige Raumwirkung. Im Sockelgeschoss sind zwei kreuzgewölbte Säle mit rotem Samt und goldenem Stoff ausgelegt. Im ersten wird Elisabeths Herkunft aus dem ungarischen Königshaus illustriert. 1207 kam sie als Tochter von Andreas II. und seiner Frau Gertrud von Andechs-Meranien auf Burg Sárospatak zur Welt. Zeugnis von der höfischen Kultur gibt unter anderem der seidene Krönungsmantel Gertruds von Andechs-Meranien aus dem 11. Jahrhundert.

In die Aura des thüringischen Landgrafenhofs taucht der Besucher im nächsten Raum ein. Als Vierjährige kam die Prinzessin hierher, um auf ihre spätere Ehe mit dem Sohn Hermanns I. von Thüringen vorbereitet zu werden. Sie erregte schon bald durch ihre Schönheit, Sittsamkeit und Frömmigkeit Aufsehen. Die Wartburg war damals einer der modernsten und einflussreichsten deutschen Fürstenhöfe der Zeit. Unter Hermann I. galt sie als Musenhof schlechthin. Zeugnis vom religiösen und kulturellen Leben auf der Wartburg geben zwei überaus prachtvolle Psalter, die Elisabeth an Ort und Stelle in Händen gehalten hat. Der Landgrafenpsalter (1208-1213) aus der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart und der Elisabethpsalter (ca. 1201-1208) aus dem Museo Archeologico Nazionale, Cividale. Letzterer zeigt das Landgrafenpaar als Auftraggeber und besticht durch weitere prunkvolle Miniaturen im neubyzantinischen Stil.

Lebenswende. Über eine dunkle Innentreppe steigt der Besucher zum ersten Obergeschoss auf, ehemals Wohnung des Landgrafen. Oben angelangt, sieht er sich einem beeindruckenden romanischen Kruzifix (1220 -1230, Thüringer Museum, Eisenach) gegenüber. Diese Inszenierung soll die radikale Wende in Elisabeths Leben illustrieren, weg vom höfischen Leben, hin zum karitativen Dienst in der Nachfolge Christi. Ausgelöst wurde sie durch die Begegnung der 15-Jährigen mit den ersten Franziskanern in Thüringen. In diesem Raum sind zeitgenössische Schriften über Elisabeths ersten geistlichen Begleiter, den Franziskaner Rodeger, und Zeugnisse ihres konsequenten Lebens nach den Zielen des Bettelordens ausgestellt. Er hat eine Scharnierfunktion zum nachfolgenden Abschnitt über die Welt der Armen, der Elisabeth fortan angehörte. Danach ein Exkurs zu Ludwigs IV., Elisa-beths Mann, Teilnahme am Kreuzzug, seinem Tod und der dadurch bedingten Übersiedlung seiner Witwe nach Marburg. Hier gründete sie ein Spital und pflegte darin Schwerkranke, bis sich ihre Kräfte verzehrten und sie am 17. November 1231 starb. Von Bedürfnislosigkeit, Aufopferung und Buße, aber auch der Nähe zum heiligen Franziskus kündet das mutmaßliche Bußgewand Elisabeths. Der schmucklose dunkelbraune Wollkittel stammt aus dem 13. Jahrhundert und soll ein Geschenk des heiligen Franziskus sein.

„Geburt einer Heiligen" ist der nächste zentrale Ausstellungsabschnitt überschrieben. In ihm wird der Heiligsprechungsprozess Elisa-beths dokumentiert. Ihre Kanonisierung erfolgte ungewöhnlich rasch. 1235 wurde sie als erste Vertreterin der religiösen Armutsbewegung zur Ehre der Altäre erhoben. Als eines der frühesten und herausragenden Beispiele der Verehrung der Heiligen ist ein Glasfenster aus ihrer Marburger Grabeskirche von 1240 zu sehen.

Verehrung europaweit. Die Ausstellungsebene im zweiten Obergeschoss des Palas ist ganz der Verehrung Elisabeths gewidmet. Durch ihre außerordentliche Popularität erlangte ihr Kult schon früh europäische Dimension. Dies spiegelt die Ausstellung in zum Teil kostbarsten Objekten wider. Bemerkenswertes Zeugnis der Elisabeth-Verehrung im Prämonstratenserkloster Altenberg, dem Elisabeths Tochter Gertrud vorstand, ist der Altenberger Altar (heute Städel, Frankfurt). Das Werk eines mittelrheinischen Meisters (tätig um 1330 bis 1350) zeigt auf einem der beiden Flügel Elisabeths Mantelwunder. Die Rezeption durch den Franziskanerorden, der Elisabeth als „Mutter der Minderbrüder" verehrt, wird in verschiedenen Bild- und Textfassungen des Rosenwunders anschaulich gemacht, das von franziskanischen Kreisen erstmals in Umlauf gebracht wurde.

Die Lutherstube bildet den Abschluss dieses Ausstellungsteils. Der Reformator schätzte Elisabeth wegen ihrer konsequenten Nachfolge Christi und äußerte sich einst wohlwollend: „Ich gläube freundlich, St. Elisabeth zu Marburg sei heilig."

Elisabeth in ihrer Brückenfunktion zwischen den Konfessionen zu zeigen, auch das ist ein Anliegen dieser ambitionierten Ausstellung, die es schafft, wissenschaftlich solide die historische Person zu dokumentieren und zugleich ihre ungebrochene Anziehungskraft spürbar zu machen.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016