Entwicklung braucht Entschuldung

01. Januar 1900 | von

London im Jahr 1953: Im Londoner Schuldenabkommen verzichten die Gläubigerländer des zerstörten Deutschlands auf einen großen Teil ihrer Forderungen, die zum Teil noch vom Ersten Weltkrieg herrührten. Durch diese Maßnahme wurde es Deutschland möglich, Staatseinkünfte in den Wiederaufbau des Landes anstatt in den Schuldenabbau zu stecken. Schon wenige Jahre später zeigten sich im Wirtschaftswunder die Früchte dieses Abkommens.

Beispiel Sambia: Heute sind es die Länder der sogenannten Dritten Welt, die von einem riesigen Schuldenberg erdrückt zu werden drohen. Darunter leidet vor allem die arme Bevölkerung. So zahlte Sambia in den Jahren 1990 bis 1993 an den Schuldendienst 1,3 Milliarden Dollar, aber nur 37 Millionen Dollar für die Grundschulbildung seiner Kinder. 1996 waren die Ausgaben für den Schuldendienst noch doppelt so hoch wie für Gesundheit und Erziehung zusammen. In anderen Ländern sieht es nicht besser aus. Viele Länder unterwerfen sich deshalb den Strukturanpassungsprogrammen des Internationalen Währungsfonds (IWF), der selber aber nicht neutral, sondern ebenfalls Gläubiger ist. Für Sambia beispielsweise hatte das Programm zur Folge, daß die Regierung Gebühren für Schul- und Arztbesuche, Medikamente und Lehrmittel einführen mußte. Subventionen für Güter des täglichen Lebens mußten gestrichen werden, so daß die Preise rasant stiegen und noch mehr Menschen verarmten. Nachweislich stieg in Sambia seither die Unterernährung bei Kindern und die Kindersterblichkeit. Heute leben ca. 80 Prozent der Sambier in absoluter Armut. Umweltfragen werden praktisch gar nicht mehr beachtet.
Beispiele wie dieses veranlaßte verschiedene Vereinigungen aus dem entwicklungspolitischen und dem kirchlichen Bereich, im September 1997 die Kampagne Erlaßjahr 2000 - Entwicklung braucht Entschuldung ins Leben zu rufen. Sie verweisen auf die Verantwortung der Schuldner- und auch der Gläubigerländer und arbeiten auf zwei Ziele hin: 1. Einen weitreichenden Schuldenerlaß für die armen Länder der Erde. 2. Eine Neugestaltung internationaler Finanzbeziehungen im Sinne eines fairen Interessenausgleichs zwischen Schuldnern und Gläubigern (Internationales Insolvenzrecht).

Weitgehender Schuldenerlaß bedeutet, daß alle Zahlungsverpflichtungen eingestellt werden sollen, die über 5 Prozent der Exporteinnahmen hinausgehen. Dies entspricht der Vereinbarung des Londoner Schuldenabkommens. Zur Zeit gibt es jedoch viele Länder, die bis zu 25 Prozent der Exporteinkünfte an die internationalen Finanzinstitutionen zahlen müssen für Kredite, die in den 70er Jahren günstig zu bekommen waren. Dies soll geändert werden.
Für das Verfahren zum Schuldenerlaß wird ein Schiedsgericht eingesetzt mit Mitgliedern beider Seiten und einer weiteren unabhängigen Person. Die Verhandlungen müssen transparent und öffentlich sein. Ein Teil der erlassenen Schuld soll in einen Fonds fließen, der soziale Schuld begleichen soll. Damit ist gemeint, daß aus ihm die Deckung sozialer Grundbedürfnisse und die Ausweitung der selbstversorgenden und binnenmarktorientierten Produkte im Schuldnerland unterstützt werden. Die Verwaltung des Fonds soll auch durch Personen aus der Gesellschaft, so aus den Kirchen, Gewerkschaften oder anderen Nichtregierungsorganisationen erfolgen.

Bereicherung der Diktatoren? Ein oft gehörter Kritikpunkt gegen den Schuldenerlaß lautet: Damit bereichern sich doch nur die Diktatoren!. Aber gerade die Beteiligung der Zivilgesellschaft soll dies verhindern. Hinzu kommt, daß ein Land, das den Schuldenerlaß beantragt, alle deponierten Korruptionsgelder oder Ähnliches offenlegen muß. Diese Gelder werden dann zur Begleichung eines Schuldenteils herangezogen.
Um nach dem Jahr 2000 nicht wieder in die gleiche Situation zu verfallen, verlangt die Kampagne Erlaßjahr 2000 die Einführung eines Verfahrens, bei dem Schuldner und Gläubiger, internationale Experten und Organisationen jeweils einen Rückzahlungsplan ausarbeiten sollen, der eine Art Existenzminimum (Bildungs- und Gesundheitswesen, Umweltschutz und Infrastruktur) des Staates berücksichtigt. Ein solches Insolvenzrecht gibt es bereits für Privatpersonen und Firmen.

Göttliches Gebot. Eine Idee aus der Bibel steht hinter der Kampagne. Im Buch Deuteronomium wird festgelegt, daß ein Schuldknecht im siebten Jahr, dem Sabbatjahr, freigelassen werden sollte. Das siebte Sabbatjahr wiederum galt als Jubeljahr. Nun mußten nicht nur Schulden erlassen und Schuldknechte freigelassen werden, sondern aller erworbener Besitz mußte an den ursprünglichen Besitzer, meist Kleinbauern, zurückgegeben werden. Der Grund: Eigentlich gehört aller Boden Gott, dem Schöpfer. So wurde also verhindert, daß jemand endgültig in die Armut abrutscht. Die Maßnahmen gegen die Armut waren dabei nicht ein Akt des Mitleids, sondern ein göttliches Gebot.
Über 30 Organisationen stehen in Deutschland hinter der Kampagne Erlaßjahr 2000, darunter Misereor und das Kolpingwerk. Die Koordination liegt beim Verein Südwind in Siegburg. Viele kleine Gruppen, Pfarrgemeinden, Weltladengruppen und ähnliche unterstützen die Initiative durch Informationsveranstaltungen oder auch durch eine Unterschriftensammlung. Die Unterschriften sollen beim Weltwirtschaftsgipfel im Juni in Köln überreicht werden. Dazu soll am 19. Juni in der Domstadt auch eine Menschenkette auf die Problematik aufmerksam machen.

Neue Form der Sklaverei. Ähnliche Kampagnen gibt es in vielen anderen Ländern. Einen Fürsprecher finden sie übrigens auch in Papst Johannes Paul II. In seinem Schreiben Incarnationis mysterium (29.11.98) bezeichnet er die Schuldenlast als neue und subtile Form von Sklaverei und fordert in diesem Zusammenhang: Es müssen Formen der Unterdrückung beseitigt werden, die zur Vorherrschaft der einen über die anderen führen: wir haben es dabei mit Sünde und Ungerechtigkeit zu tun.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016