Florenz des Nordens

28. August 2006 | von

Dresden, die sächsische Metropole mit dem italienischen Flair feiert 800-jähriges Jubiläum. Monumentale Bauten sind Zeitzeugen einer bewegten Geschichte zwischen Zerstörung und Wiederaufbau. Ihr ganz besonderer Charme aber ist ihre kulturelle Vielfalt.

Eine Stadt der Superlative feiert ihren 800. Geburtstag. Arg gebeutelt von der Geschichte, leuchtet sie nun von neuem. Auch wenn dies nur ein schwacher Abglanz früherer Zeiten ist, gilt Dresden heute wieder, dank immenser Aufbauleistungen und Anstrengungen, als eine der schönsten Städte Europas. 
Die betagte Limousine hatte wahrhaft schon bessere Zeiten gesehen. Aber sie passte kongenial zu dieser altehrwürdigen Stadt, durch deren schmalste Gässchen ich damals chauffiert wurde. Etwa zehn Jahre muss dies nun her sein, da mich ein befreundetes älteres Künstlerehepaar eingeladen hatte, mir die unbekannteren Lieblingsorte „ihres“ Dresden zu zeigen – oder das was nach dem Krieg und nachfolgenden sozialistischen „Aufräumarbeiten“ davon übriggeblieben ist. Diese Stadt muss unvorstellbar schön gewesen sein, allein schon angesichts der vielen phantastischen Stadtvillen, von denen nur noch ein Bruchteil der im innerstädtischen Bereich ehemals vorhandenen Anzahl übrig geblieben ist.

Schmerzlicher Rückblick. Der Erinnerung an den Februar 1945 ließ den Redefluss meines sonst so eloquenten Gastgebers immer wieder ins Stocken geraten. Schreckliche Bilder einer hautnah miterlebten Zerstörung, die Dresden in Schutt und Asche legte. Vollgepfercht mit Flüchtlingen war die Stadt eigentlich vollkommen wehrlos, als am 13. Februar 1945 die Alliierten über sie hinweg flogen und einen todbringenden Bombenregen brachten. Die unvorstellbare Anzahl von 10.000 Sprengbomben und 750.000 Brandbomben ging auf die Stadt nieder und zerstörte allein im Zentrum eine Fläche von 15 Quadratkilometern. 35.000 Tote waren zu beklagen. Ein Schock, von dem sich eine Stadt, die vorher wegen ihrer Schönheit als das „Elbflorenz“ bezeichnet worden war, eigentlich gar nicht mehr erholen konnte.
Doch wer heute in diese klassisch schöne „irgendwie italienische“ Stadt kommt, kann nicht glauben, dass dies dasselbe Dresden sein kann. Fast ausradiert, ist es aus der Zerstörung wieder auferstanden und gehört heute als Sachsens Metropole zugleich zu den schönsten Städten Deutschlands.
800 Jahre wird die alte Dame nun – besser gesagt die erste urkundliche Erwähnung eines “Dresdene“ ist von da an bezeugt. Aus der Geschichte ließe sich nun vieles erzählen - auf einige wenige Eckpunkte müssen wir uns hier beschränken. Wie etwa auf die Regentschaft Augusts des Starken und seine von ihm selbst „wider Willen“ forcierte Erfindung des „weißen Goldes“, dem Porzellan. Dann heißt es einen Bogen zu spannen zur Jahrhundertflut 2002, die eine Schadensbilanz von 300 Millionen Euro aufwies.

Sammelwütig. Eine Stadt der Kunstschätze ist sie, untrennbar mit dem Herrscher August verbunden, der ob seiner angeblichen körperlichen Kräfte auch der Starke genannt wurde. Als „Saxer Kunstkönig“ wollte er in die Geschichte eingehen. Ein Barockmensch durch und durch, der unersättlich alles Schöne sammelte, um in choreographierten Gesamtkunstwerken eine phantastische Pracht in seinen Festen zu entfalten. Die Requisiten daraus zeigte er in speziellen Sammlungen. Sie begeistern noch heute im Grünen Gewölbe - oft als prächtigste Schatzkammer Deutschlands tituliert.
Kunstagenten kauften sowohl für ihn, als auch später für seinen Sohn, Spitzenwerke in ganz Europa zusammen. Und wenn es nötig erschien, wurde Kunst schon mal gegen Soldaten getauscht. Seine Geldmittel waren aber auch nicht unerschöpflich. So hielt er einen Alchimisten namens Böttger fest, der ihm Metalle in Gold verwandeln sollte. Dies gelang natürlich nicht, dafür entdeckte dieser als „Nebenprodukt“ 1708 in Dresden das Porzellan neu, das bis dato nur sehr teuer aus Fernost zu importieren war. Ein neues Sammelthema für den sammelwütigen Herrscher, der allein für den mit 3.000 Edelsteinen verzierten Tischaufsatz „Hofstaat zu Delhi“ den Gegenwert von Schloss Pillnitz bezahlte. Letzteres, seinerzeit über Gondeln zu erreichen (der Herrscher träumte von einem neuen Venedig), ist Teil einer ganzen Parade von gebauten Schätzen.

Bauschätze. Angefangen vom Zwinger, diesem großartigen Ensemble von Matthäus Daniel Pöppelmann, auch „Krone des sächsischen Barocks“ genannt, über den Theaterplatz („einer der schönsten Plätze Europas“) bis zur Semperoper. Wieder mit höchstem Lob als eines der schönsten Musiktheater der Welt bezeichnet, ist es ein Tempel für Auge und Ohr. Und als Werbeikone für die Biersorte der Region dem „Fernseher“ bekannt.
Auch sie war durch Kriegsschäden verstümmelt, wurde aber in einer Art Vorzeigeaktion bereits zu DDR-Zeiten aufwendigst original restauriert und 1985 wieder eingeweiht. Speziell die Abendstimmung vermag zu begeistern, wenn man, durch einen Operngenuss bereits in höhere Sphären gehoben, auf einen durch tausende Lüsterkerzen illuminierten Theaterplatz tritt. Man wähnt sich unvermittelt in einer Weltmetropole, und Vergleiche mit Paris oder Budapest drängen sich auf. Ein anschließender Flaniergang über die Brühlsche Terrasse, von der schon Goethe werbewirksam als „Balkon Europas“ geschwärmt hat, tut sein übriges dazu.

Sintflut und Aufbau. Ganz besonders bewegend aber war das Schicksal eines Bauwerks. Nicht nur die Einwohner von Dresden selbst, sondern Menschen in ganz Europa verfolgten den Wiederaufbau der Frauenkirche. Jahrzehntelang zeugte von ihr nur noch ein 13 Meter hoher Schuttberg – tote Materie, einziges Leben die wuchernden Birken obenauf. Sie war im Februar 1945 eingestürzt und nahm nun in den 90ern in einer Aufbauaktion ohnegleichen wieder Form an. Die immense Summe von 180 Millionen Euro verschlang die Rekonstruktion dieser einmaligen Kirche. Den „Zuschuss“ von 100 Millionen aus privaten Spenden finde ich in diesem Zusammenhang besonders bemerkenswert. Nicht minder eindrucksvoll wie die Geste des Britischen Schmiedes – Sohn eines der an der Bombardierung beteiligten Piloten -, der das neue Kuppelkreuz erarbeitete. Tausende verfolgten über Jahre hinweg den Wiederaufbau, verborgen inmitten eines riesigen hydraulischen Stahlgerüstes. 100.000 Originalsteine wurden sortiert und an  ihrem angestammten Platz wieder eingesetzt. Ein großer Augenblick war die Weihe der 4.000 Menschen fassenden Kirche am 30. Oktober 2005 nicht nur für die Dresdner, sondern auch ein symbolischer Akt für Frieden und Vergebung.
Doch auch Naturgewalten prüfen die Dresdner immer wieder. Vor vier Jahren bedrohte eine Jahrhundertflut die Menschen an der Elbe. Nach sintflutartigen Regenfällen versanken ganze Teile der Stadt im morastigen Wasser. Tausende unersetzliche Kunstwerke mussten aus den Depots der Gemäldegalerie Alter Meister ins Trockene gerettet werden. Wo das nicht möglich war, wurden sie kurzerhand an der Decke verzurrt. Vielleicht spiegelt ja gerade diese Fähigkeit, nicht aufzugeben, eine Eigenschaft der Menschen hier wider. 

Fortschrittliche Vielfalt. Bemerkenswert schön sind in dieser Stadt aber nicht nur die touristischen Highlights, sondern auch die „Biotope“ gleich nebenan, wie etwa in der lebendigen Äußeren Neustadt. Ein wahrhaft buntes Szeneviertel voller Nonchalance. Ganz nach dem Motto „Vielfalt statt Einfalt“, das dort schon mal auf Transparent gemalt aus dem Fenster hängt.
Ja nicht vergessen sollte der Besucher das pittoreske Loschwitz am anderen Elbufer mit seinen wunderbaren historischen Landhäusern und Villen. Ganz oben auf den Elbhängen thronen drei Elbschlösser mit einer traumhaften Sicht auf die Stadt. Nicht nur einmal habe ich hier schon inmitten südländischen Flairs Zeit und Raum vergessen. Beim schwelgerischen Blick auf eine Große Stadt in jeder Hinsicht. Eine mit großer Vergangenheit, herben Tiefschlägen - aber auch durchaus respektabler Gegenwart.
Wegen vorbildlicher Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft wurde Dresden 2006 zur „Stadt der Wissenschaften“ gekürt. Allein drei Max-Planck-Institute arbeiten hier, und es gibt 20.000 Beschäftigte in der Mikroelektronik. Fakten, die für sich sprechen und Hoffnung machen sollten für andere östliche Bundesländer, in denen es nicht so rosig aussieht. Hoffnung hatte Dresden in seiner Vergangenheit ja auch oft bitter nötig. 


 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016