Gemaltes Wunder sichtbare Welt

17. Dezember 2008 | von

 Rogier van der Weyden und der Meister von Flémalle sind die Protagonisten einer spektakulären Schau im Frankfurter Städel Museum. Sie illustriert an hochkarätigen Werken die Geburt der neuzeitlichen Malerei in den Niederlanden und begibt sich auf die Spur eines mysteriösen Künstlers.



Das elektrisierend Neue dieser Kunst, die zu Beginn des 15. Jahrhunderts in den Niederlanden ihren Siegeszug antrat, spürten schon die Zeitgenossen der revolutionären Maler. Werke der Brüder Jan und Hubert van Eyck, Rogiers van der Weyden und – falls es den Mann hinter diesem Notnamen je gegeben hat –des Meisters von Flémalle etikettierten sie folgerichtig mit „Ars Nova", neue Kunst. Die Malerei eroberte sich die Wirklichkeit. Die mittelalterlichen Goldgründe der Bilder wurden gesprengt und durch realistische Landschaftsausschnitte ersetzt, die ätherisch schwebenden Figuren der Gotik wurden zu Menschen aus Fleisch und Blut. Und die Maler waren besessen vom Detail. Ihr Auge saugte sich an der Oberfläche und Beschaffenheit von Stoffen fest, erkundete Runzeln auf der Stirne eines alten Mannes oder ganz banale Alltagsgegenstände einer flämischen Bürger-

stube.



Zweien der Protagonisten ist die höchst bemerkenswerte Ausstellung „Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden" gewidmet, die derzeit im Frankfurter Städel Museum zu bestaunen ist (noch bis 22. Februar). Das Schaffen der beiden innovativen Meister an der Wende zur Neuzeit ist aufs engste miteinander verbunden. Doch angesichts des vollständigen Fehlens signierter und datierter Werke führt diese Verquickung bis heute zu fundamentalen Problemen bei der Werkabgrenzung. Rogier van der Weyden (1399/1400-1464) ist zwar als der weltberühmte Stadtmaler Brüssels durch zeitgenössische Quellen eine klar fassbare historische Persönlichkeit, der Meister von Flémalle hingegen bleibt bis heute, da artifizielles Geschöpf der Stilkritik, ein Phantom. Lange Zeit wurde er mit einem anderen Meister, Robert Campin, gleichgesetzt. Doch scheint diese Zuordnung nicht

deckungsgleich. Um das markanteste Werk dieses Anonymus, den Mérode-Altar, Exponat aus dem Metropolitan Museum of Art in New York und Höhepunkt der Frankfurter Ausstellung, wurde vor gut hundert Jahren das Œuvre des Meisters gruppiert. Die Mitteltafel stellt Mariä Verkündigung dar und entführt den Betrachter in die gutbürgerliche Stube aus der Zeit des Künstlers – eine so nie zuvor gesehene Umgebung in einem perspektivisch anmutenden Bildraum.



Das Wunder bricht in den „Werktag" ein, so hat es der Kunsthistoriker Max J. Friedländer formuliert. Maria hat es sich auf dem Boden bequem gemacht und ist in die Lektüre der Heiligen Schrift vertieft. Da platzt Gabriel mit seiner Botschaft geradezu in den Raum herein. Der Engel ist von einer elektrisierenden, sich aufdrängenden Präsenz, die sogar das Mobiliar des Raumes zur Seite zu schieben scheint. Gegenstände des Alltags illustrieren die Szene – und deuten sie symbolisch aus: Die Waschnische mit dem blank geputzten Bronzekessel, das frisch gebügelte Handtuch und die weißen Lilien in der Vase auf dem Tisch verweisen auf Marias tugendhafte Reinheit.



Ein anderes Glanzstück der Ausstellung stammt aus der Gemäldegalerie in Berlin. Rogier van der Weydens Miraflores-Altar. Vergleicht man ihn mit dem Mérode-Altar, werden Gemeinsamkeiten – realistisch aufgefasste Umgebung, Figuren mit überzeugender Körperlichkeit und sprechendem Blick –, vor allem aber eine ganz andere Bildsprache augenfällig. Rogier erweist sich hier als der bessere Bildregisseur, der geschicktere Schilderer seelischer Regungen und Beherrscher der räumlichen Perspektive. Auch das ein Novum: Eine Scheinarchitektur, die eine gotische Portalanlage mit Skulpturenschmuck nachahmt, gibt den Rahmen für die drei dargestellten Hauptszenen: Geburt Christi, Maria beweint ihren toten Sohn, Maria begegnet dem Auferstandenen.



Fest fürs Auge



Rogier lässt Nebensächliches weg und konzentriert sich ganz auf den Ausdruck der Personen. Stupend die Mittelgruppe. Maria, ganz im flammenden Rot der Liebe und des Schmerzes, schmiegt ihr grambitteres Gesicht an die bleiche Wange des im Tod erstarrten Leichnams ihres Sohnes. Nicht nur einzelne Gesichter, nein die ganze, fein akzentuierte Komposition atmet diesen Ausdruck.



Was für eine einmalige Chance: Die Werke der Maler können direkt verglichen – übrigens erstmals in einer monographischen Schau beider Künstler – und somit wackelige Zuschreibungen auf eine sichere Basis gestellt werden. Etwa 50 Meisterwerke sind aus diesem Anlass vereint. Ein Großteil liefert die hochkarätige Sammlung altniederländischer Malerei des Städels, andere Perlen dieser augenschmeichelnden Kunst stammen aus den bedeutendsten Museen der Welt, darunter die Gemäldegalerie in Berlin, die National Gallery in London, der Prado in Madrid, das Metropolitan Museum of Art in New York, der Louvre in Paris, die Eremitage in St. Petersburg, die Gemäldegalerie in Wien. Ein Fest fürs Auge und ein Meilenstein in der Altniederländer-Forschung – nicht verpassen!



Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden, Städel Museum, Frankfurt, bis 22. Februar 2009, Dienstag, Freitag bis Sonntag 10-18 Uhr, Mittwoch und Donnerstag 10-21 Uhr.



Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016