Jung und alt - ein starkes Team

28. Juni 2010 | von

Großeltern spielen im Leben ihrer Enkel eine wichtige Rolle. Sie sind nicht nur willkommene Babysitter und Helfer bei Elternüberlastung, auch für den seelischen Haushalt der Kindeskinder haben sie große Bedeutung. Die Kleinen finden es wunderbar, dass Oma und Opa viel Zeit und Verständnis für sie mitbringen, Teenager schätzen an ihnen, dass sie sich weniger einmischen als die Eltern und vielleicht auch einmal ein Auge zudrücken. Unverzichtbar sind Großeltern für den Erhalt von Familientraditionen und die Vermittlung des Glaubens.



 „Oma kocht am besten", steht für unsere Tochter fest. „Wann fahren wir wieder Oma besuchen?", will unser Sohn fast jede Woche wissen. „Oma, kannst du mir Stulpen stricken?", lautet die jüngste Anfrage unserer Tochter. Die beiden Omas stehen bei unseren Kindern ganz hoch im Kurs. Die Opas würden sicherlich genauso geliebt und geschätzt werden, doch sie sind schon vor Jahren verstorben.



Großeltern sind für ihre Enkelkinder wichtige Bezugspersonen geworden. Das finden inzwischen 80 Prozent der Enkel im Teenageralter, und nur 20 Prozent betrachten ihre Großeltern als altmodisch. Das hängt damit zusammen, dass sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten das Bild der Großelterngeneration gewandelt hat. Woran liegt das?



Ein Blick in die Daten des Deutschen Zentrums für Altersfragen (www.dza.de) gibt Hinweise. In Deutschland leben circa 13 bis 14 Millionen Menschen im Alter zwischen 60 und 85 Jahren, die Großeltern sind. Eine Erkenntnis zeigt: Sie werden zunehmend in jüngerem Alter Oma und Opa. Hinzu kommt, dass sich auch die Lebenserwartung erhöht hat, so dass 90 Prozent der Großmütter und 75 Prozent der Großväter die Volljährigkeit ihres ersten Enkelkindes erleben können.



Eltern Entlasten



Interessant ist auch die Tatsache, dass trotz der gestiegenen Mobilität erwachsene Kinder häufig in der Nähe ihrer Eltern leben. 70 Prozent der Großeltern leben im gleichen Ort wie ihre Kinder. Nur bei 20 Prozent der Großeltern beträgt die Fahrzeit zum nächsten Enkelkind mehr als eine Stunde. Die jeweils selbständigen Wohn- und Lebenssituationen ermöglichen einen intensiven, aber zugleich entspannten Kontakt der Generationen miteinander. Die Nähe der Großeltern bedeutet eine große Unterstützung für junge Familien.



Ein Viertel der 55- bis 69-Jährigen betreut nach eigenen Angaben die Enkelkinder, 5 Prozent von ihnen täglich, 12 Prozent wöchentlich. Viele kommen auf eine Betreuungszeit von 40 Stunden im Monat. Dies bestätigt auch der 12. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2005: Ungefähr die Hälfte der Kinder unter drei Jahren und 40 Prozent der Kinder zwischen drei und sechs Jahren wird regelmäßig von den Großeltern betreut. Sie ermöglichen dadurch die Berufstätigkeit von Müttern und Vätern von kleinen Kindern.



Auch die finanzielle Unterstützung ist beträchtlich. Fast ein Zehntel der Rente geben die Großeltern an Kinder und Kindeskinder weiter, in vielen Fällen summiert sich die jährliche Unterstützung auf 1.000 bis 3.500 Euro. Der Soziologe Martin Kohli hatte schon 1996 nachgewiesen: „Der Wohlfahrtsstaat verdrängt den Zusammenhalt der Generationen in der Familie nicht, sondern im Gegenteil: Er aktiviert ihn."



Genießen statt erziehen



Bei so viel Einsatz in den Familien der Kinder können aber auch schnell Konflikte entstehen, wenn Großeltern sich zu stark in die Erziehung der Enkelkinder einzumischen versuchen. Es ist eine große Herausforderung an diese Generation, die veränderte pädagogische Welt anzunehmen. Der „Befehlsstil" der 1950er Jahre, der auf Gehorsam und Unterordnung zielte, ist längst abgelöst worden von einem „Verhandlungsstil", der auf Zuhören und Einsicht setzt. Den meisten Omas und Opas gelingt es sogar, diesen neuen pädagogischen Stil zu lernen und ihren Enkeln gegenüber zu praktizieren.



Für ein gutes Miteinander ist es wichtig, miteinander im Gespräch zu bleiben und über die durchaus verschiedenen Erziehungsstile zu sprechen. Großeltern und Eltern müssen sich nicht immer einigen. Aber ein Grundsatz sollte gelten: Die Eltern geben die Richtung der Erziehung vor. Der pädagogische „Machtverlust" der Großeltern birgt nämlich eine große Chance. Sie sind entlastet von den vielen kleinen Alltagskonflikten, die Eltern und Kinder miteinander durchstehen müssen: Trödeleien am Morgen, verschmutzte Kleider, unaufgeräumte Kinderzimmer, Zank ums Fernsehen, Mäkeln am Essen, Ärger in der Schule. Von all diesen Alltagsproblemen bleiben Großeltern in den meisten Fällen verschont. Der Abstand ermöglicht ihnen eine Gelassenheit, die ihre Enkelkinder zu schätzen wissen und die ihrer Beziehung eine eigene Vertrautheit schenkt.



Ethnologische Forschungen in über 70 Kulturen belegen, dass Generationen dort besonders eng zusammenhalten, wo alte Menschen wenig formale Autorität besitzen. Gerade die Großeltern, die ihren Enkeln nicht ihre Wertvorstellungen überzustülpen versuchen, prägen sie am nachhaltigsten. Der Züricher Soziologe François Höpflinger, der diese Untersuchungen durchführte, resümiert: „Großeltern, die nicht nur in der Kinderbetreuung wichtig sind, sondern auch als aktive Bezugspersonen für Teenager, sind etwas völlig Neues. Diese Rolle ist erst in den letzten 20, 30 Jahren entstanden" (GEO 02/2009, S. 129f).



Den Glauben weitergeben



Großeltern leiden darunter, wenn sie erleben müssen, dass ihre erwachsenen Kinder und ihre Enkelkinder nicht mehr am kirchlichen Leben teilnehmen. Der religiöse Bereich ist ihnen wichtig und sie selbst sind noch in einem intakten christlichen Milieu groß geworden. Religiöse Vorstellungen und Verhaltensweisen (vom Tischgebet bis zum sonntäglichen Kirchgang) haben sie ohne größere Vorbehalte von ihren Eltern übernommen. Viele stellen sich deshalb die Frage: „Was haben wir falsch gemacht?"



Odilo Lechner, Altabt der Benediktinerabtei St. Bonifaz in München und Andechs und Autor des Buches „Damit der Glaube weitergeht. Ein Buch für Großeltern", empfiehlt, diese selbstquälerische Frage loszulassen und sich der heutigen Wirklichkeit zu stellen. Wir leben heute in einer Welt mit einem vielfältigen Angebot an Religionen und Weltanschauungen. Die Kirche hat längst kein Monopol mehr auf die Sinndeutung des Lebens. Mit ihren Riten und Bräuchen, die auf das Bleibende hinweisen, scheint sie oft als veraltet gegenüber den modernen „Anbietern" von Sinndeutungen. Die Menschen müssen in dieser Vielfalt ihre Antworten in Freiheit finden und annehmen. Druck erreicht nur das Gegenteil. Die Achtung vor der Freiheit eines jeden ist der einzige Weg, die Herzen anderer Menschen zu erreichen.



Andererseits sollten Großeltern ihre religiösen Vorstellungen auch nicht verleugnen. Sie dürfen ihren Enkelkindern von Gott erzählen, mit ihnen beten, sie einladen, mit ihnen einen Gottesdienst zu besuchen. Altabt Odilo bekräftigt, dass die Enkelkinder spüren sollten: „Im Leben der Großeltern spielt Gott eine Rolle." Sie bringen ihren Dank und ihre Bitten im Gebet vor Gott. Am Sonntag ist es ihnen wichtig, am Gottesdienst der Gemeinde teilzunehmen. Wichtig bleibe auch hier, so der Altabt, dass kein Druck ausgeübt werde und die religiösen Vollzüge von Echtheit und Herzenswärme geprägt seien.



Solche religiösen Erfahrungen, die Enkel bei ihren Großeltern machen, werden vielleicht bald wieder überdeckt vom Alltag in der Kernfamilie. Odilo Lechner verweist in diesem Zusammenhang auf das biblische Gleichnis vom Sämann, der großzügig sät, ohne im Einzelnen darauf zu achten, wohin der Same fällt. Er sät im Vertrauen, dass die Saat irgendwann einmal Frucht bringen wird, 30-fach, 60-fach, ja 100-fach (vgl. Mk 4). In diesem Vertrauen – erzählte mir ein Freund aus Zürich – gehe er zur Kommunion, dass er gleichsam stellvertretend für seine Kinder und Enkelkinder, die nicht in die Kirche gehen, das Brot des Lebens empfange.



Kontakt trotz Distanz



Für 20 Prozent der Großeltern jedoch ist der regelmäßige und unkomplizierte Kontakt zu ihren Enkelkindern nicht möglich. Sie leben oft Hunderte, manchmal sogar Tausende von Kilometern voneinander entfernt. Der Sohn eines befreundeten Lehrers, der für eine große international tätige Firma arbeitet, musste in den vergangenen Jahren Aufgaben in Fernost und in verschiedenen Ländern Europas übernehmen. Da sind direkte Begegnungen zwischen Großeltern und Enkeln nur einmal im Jahr beim Heimaturlaub möglich. Doch ansonsten haben die neuen Medien den guten alten Briefwechsel abgelöst. Ein Computer mit Internetzugang, dazu ein Kameraaufsatz, ermöglicht den wöchentlichen visuellen Kontakt. Großeltern und Enkelkinder können sich auf diese Weise in Echtzeit sehen und miteinander reden. Für Oma und Opa ist der Umgang mit der neuen Technik nicht immer leicht. Doch darin können ihnen ihre Enkel kompetent helfen: wie man Handys bedient, SMS versendet, im Internet surft. So kann die Enkelgeneration ihren Großeltern einiges beibringen. „Vielleicht ist Großelternschaft in Zukunft eine Strategie des Anti-Aging", meint der Soziologe François Höpflinger, selbst schon mehrfacher Großvater.



Viele Großeltern müssen aber auch das Scheitern der Beziehungen ihrer Kinder miterleben. 40 Prozent der Ehen eines Jahrgangs werden mittlerweile in der Bundesrepublik geschieden. Da sind viele noch kinderlose Beziehungen darunter, doch ein großer Teil der Scheidungen betrifft Familien. So werden auch Großeltern von Scheidungen betroffen und in die Konflikte mit hineingezogen. Manche Oma und Opa haben im Gerichtsaal bei der Scheidung ihre Enkelkinder zum letzten Mal gesehen. Seit dem Jahr 1998 haben zwar die Großeltern das Recht auf einen eigenen Umgang mit ihren Enkeln (Bürgerliches Gesetzbuch, Paragraph 1685), doch es gibt eine Einschränkung: Das Umgangsrecht darf dem Wohle des Kindes nicht schaden. Diese schwammige Formulierung führt dazu, dass jährlich 150.000 ehelichen Enkelkindern der Kontakt zu den Großeltern verboten wird.



Eine Gruppe von betroffenen Großeltern hat sich seit 1997 vernetzt und im Jahr 2002 die „Bundesinitiative Großeltern" gegründet (www.grosseltern-initiative.de), die sich darum bemüht, dass keinem Kind der Umgang mit ausgegrenzten Elternteilen und Großeltern verweigert wird. Sie propagieren dafür das „Cochemer Modell", ein Modellprojekt aus Rheinland-Pfalz, das seit 1992 versucht, alle Beteiligten (Eltern, Großeltern, Jugendämter und Beratungsstellen) unter fachlicher Begleitung an einen Tisch zu holen. Rita Boegershausen, eine Mitbegründerin der Großeltern-Initiative, fasst die positiven Erfahrungen des Cochemer Modells zusammen: „Es gibt keinen Gewinner und keinen Verlierer. Nur so kann man Kindern vorleben, wie Konflikte zwischen den Erwachsenen friedlich und zum Wohle des Kindes gelöst werden können. Das Cochemer Modell sollte deshalb überall im Land Schule machen."



Gewinn für alle



Die Erfahrung, dass Großeltern und Enkel sich gegenseitig helfen und fördern können, ist inzwischen von der Politik aufgegriffen worden. Schon im Jahr 1998 wurde im Rahmen der Dorferneuerung im schwäbischen Sontheim ein Arbeitskreis Familie-Kirche-Soziales gegründet, um den strukturellen Wandel der Dorfbevölkerung zu begleiten. Konkret ging es darum, die Neubürger zu integrieren und die Vereinzelung und Vereinsamung der Senioren zu verhindern. Aus diesem Arbeitskreis ist das Projekt „Generationenhaus Sontheim" hervorgegangen, das unter dem Motto „Alt und Jung miteinand’" vor allem ältere Menschen und Kinder anspricht. Rüstige Seniorinnen und Senioren bereiten dort mit Müttern von Schulkindern ein Mittagessen, an dem sowohl Schulkinder wie auch Senioren teilnehmen können. In der Nachmittagsbetreuung begegnen sich die Generationen von Neuem, sei es beim Spielen, im hauseigenen Werkraum oder EDV-Raum.



Die Politik hat inzwischen auf allen Ebenen die Bedeutung solcher Generationen übergreifender Projekte erkannt. Das Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser hatte Ursula von der Leyen schon als niedersächsische Familienministerin gefördert. Als Bundesfamilienministerin hat sie dieses Programm auf die gesamte Bundesrepublik ausgedehnt, so dass es Anfang 2008 schon 500 Mehrgenerationenhäuser gab. Ziel dieser Häuser ist es, dass sich die Generationen in alltäglichen Situationen begegnen und gegenseitig unterstützen. Wie auf der Ebene der Familie Großeltern und Enkelkinder voneinander „profitieren", so können diese Projekte die Talente der Senioren und der Kinder füreinander erschließen und fruchtbar machen, ganz nach dem Motto „Alt und Jung miteinand’".



Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016