Mehr als nur 'Wasserdoktor'

21. Januar 2011 | von

Sebastian Kneipp wuchs unter ärmlichen Verhältnissen auf und ackerte sich zur höheren Bildung durch bis ins Priesterseminar. Doch während seines Studiums holte ihn seine harte Kindheit ein. Er erkrankte schwer an Tuberkulose und suchte seine letzte Zuflucht in einem Bad in der eiskalten Donau – und wurde gesund. Eine Erfahrung, die zum Grundstock seines Lebenswerkes wurde: Der Seelsorger machte die Segnungen der Wasser- und Kräutertherapie den Menschen wieder zugänglich, unter anderem durch sein Standardwerk „Meine Wasserkur“, das vor 125 Jahren erschien.



„Das Wasser heilt alle Gebrechen der Menschen“, ließ der griechische Dichter Euripides im 5. Jahrhundert v.Chr. eine seiner Figuren überschwänglich verkünden, nachdem ihn ägyptische Ärzte mit Wasseranwendungen geheilt hatten. Aus den alten Kulturen Indiens und Ägyptens kam das Wissen um die Heilkraft des Wassers nach Europa. Zur Zeit des Kaisers Augustus bemerkte ein Chronist in Rom: „Was ist über meine Römer gekommen? Mir scheint, sie haben den Verstand verloren, denn alle Leute springen im Winter in den Tiber hinein.“

1900 Jahre später, im November 1849, schlich in Dillingen ein todkranker Student der Theologie zur Donau, um in den eiskalten Fluss einzutauchen. So begann der 28-jährige Sebastian Kneipp einen letzten Versuch, seine Lungenerkrankung zu kurieren. Die Krankheit war eine Folge der armen Verhältnisse, in denen Kneipp aufgewachsen war. „Ich musste schon mit sieben Jahren bis halb neun Uhr abends spinnen“, und das in einem feuchten Kellerraum; denn sein Vater war Hausweber. Gelegentlich durfte der Junge auf satten Wiesen das Vieh der Bauern hüten, was er natürlich lieber tat als am Webstuhl zu sitzen. Seine Mutter, ein erfahrenes „Kräuterweible“, erklärte ihm bei solchen Gelegenheiten die Kräuter und deren Verwendung und Wirkung. Sein späteres Wissen um die „Apotheke der Natur“ wurde hier grundgelegt.



Kaplan heilt mit Wasser

Sebastian Kneipp war seit jungen Jahren von dem Wunsch beseelt, Priester zu werden. Erst im Alter von 21 Jahren konnte er sein Elternhaus verlassen, um auf das Gymnasium zu gehen. Nach dem Abitur begann er in Dillingen das Studium der Philosophie und Theologie. Doch nun machte sich seine Lungenerkrankung immer stärker bemerkbar. Dem todkranken Studenten fiel eines Tages ein Buch in die Hände, das für ihn zum „Strohhalm wurde, an dem ich mich klammerte“. Der Arzt Johann Sigmund Hahn hatte im 18. Jahrhundert das Buch „Unterricht von Krafft und Würkung des frischen Wassers“ veröffentlicht. Darin empfahl er den Kranken, „sich in einem kalten Quell oder Flusse morgens und abends zu baden“. Diese Rosskur wiederholte der todkranke Kneipp zwei- bis dreimal die Woche. Langsam besserte sich sein Gesundheitszustand. Ab1850 studierte Kneipp am Münchner Priesterseminar „Georgianum“ und wurde im August 1852 im Alter von 31 Jahren zum Priester geweiht.



Ganzheitlicher Ansatz

Biberbach, Boos, Augsburg waren die ersten Stationen des jungen Priesters. Doch neben der Seelsorge wurde Kneipp schon bald auch in medizinischen Fragen um Hilfe angerufen. So konnte er in Boos mit Wickeln und Wasseranwendungen mehrere Cholerafälle heilen. Im April 1855 wurde Kneipp als Beichtvater in das Kloster der Dominikanerinnen nach Wörishofen versetzt. In der Geborgenheit des Klosters konnte er das Studium der Heilkräuter fortsetzen und seine Wasserkur weiter erproben.

Bei Kneipp, seit 1881 Pfarrer in Wörishofen, verband sich Seelsorge mit Leibsorge. So erzählt er von seinen Hausbesuchen bei einer „Witfrau, deren achtes Kind noch in der Wiege lag: Beim ersten Besuch konnte ich mich noch überwinden, ohne Rat aus dem Haus zu gehen. Beim zweiten Besuch hat mich das Jammern überwunden. Ich gab ihr den Rat: Nehmen sie eine Woche lang täglich eine Ganzwaschung  vom Bett aus und jeden zweiten Tag einen Wickel von unter den Armen ganz hinunter und täglich eine Tasse Wermuttee. Wie glücklich traf ich bei meinem dritten Besuch diese Hausmutter!“

In seiner „Wasserkur“, erschienen 1886, beschrieb Kneipp Waschungen, Begießungen, Wickel, Bäder und Dämpfe. Im Unterschied zu anderen „Wasserfreunden“ setzte er auch warmes und heißes Wasser ein. Im zweiten Teil „Apotheke“ beschrieb Kneipp die Wirkungen der Heilkräuter (von Aloe bis Zinnkraut), im dritten Teil folgten seine Therapieempfehlungen für verschiedene Krankheiten. Neben dem Wasser und den Heilpflanzen ergänzten als weitere Säulen die Bewegung, die Ernährung und die Ordnung (= eine bewusste Lebensführung) seine Therapie.



Kurstätte mit Weltruf

Die Barmherzigkeit Gottes, der in Jesus unser Menschsein mit all seinen Gebrechlichkeiten getragen hat, trieb Kneipp an, den vielen Kranken zu helfen, die sich an ihn wandten. In seinen Büchern erreichte er jene, die sich keinen Arzt leisten konnten oder von Ärzten bereits aufgegeben worden waren. Der Ansturm der Kranken war riesig. In Wörishofen begründete Kneipp ein Priesterkurhaus („Sebastianeum“), eine Kinderheilstätte und das Kneippianum. 32 Vortragsreisen führten ihn durch ganz Europa. Fürsten und Bischöfe ließen sich von ihm kurieren. 1894 behandelte Kneipp auf einer Romreise sogar den damaligen Papst Leo XIII. Ganz Europa trauerte, als Sebastian Kneipp am 17. Juni 1897 in Wörishofen an Krebs verstarb.



Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016