Missionar in einem wüsten Land

25. August 2014 | von

Am 21. September besucht Papst Franziskus für einen Tag Tirana, die Hauptstadt Albaniens. Exklusiv für unsere Leser stellt ein Minorit aus der Slowakei seine Arbeit als Missionar in diesem Land vor, das jahrzehntelang total von der Außenwelt abgeschottet war.



Ein deutscher Prinz war von März bis September 1914 König (Mbret) in Albanien, bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs: Wilhelm Friedrich Heinrich Prinz zu Wied. Von ihm als Protestanten erwartete man Äquidistanz zu Muslimen, Katholiken und Orthodoxen. Diesen drei Religionen lässt sich bis heute die Bevölkerung Albaniens weitgehend zuordnen.

Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems 1990 lud Diözesanbischof Exz. Hil Kabashi im Oktober 2006 uns Franziskaner-Minoriten ein, nach Albanien zu kommen. Nach Sondierungen der zuständigen Oberen kamen zwei Brüder für Weihnachten 2006 einen Monat lang auf Probe, im Oktober 2007 begann der erste Minorit seinen Dienst in Albanien. Heute arbeite ich gemeinsam mit meinem polnischen Mitbruder Ireneusz in unserem Missionszentrum im südalbanischen Städtchen Fier. Wir betreuen neun Dörfer und Städte im Umkreis als Seelsorger.



MESSFEIER IM PANZER-BUNKER

Unsere Pfarrei in Fier gibt es offiziell seit 1995, als die neue Immaculata-Kirche eingeweiht wurde. Seither wurde keine einzige Kirche oder Kapelle mehr gebaut in den Dörfern ringsum, wo die meisten Katholiken wohnen. Im Jahr 2000 erwarb Bischof Hil Kabashi im Ort Jaru ein Grundstück für eine Kirche; zugleich mietete er einen für Panzer gebauten Bunker an und richtete ihn als Kapelle her. Bis vor Kurzem erteilten wir in diesem Bunker Katechismusunterricht und feierten darin jeden Sonntag die Messe für die Gläubigen aus drei Dörfern. Unser größter Wunsch ging nun in Erfüllung: Die neue Kirche in Jaru ist im Rohbau fertig. Damit haben unsere Gläubigen endlich einen würdigen Raum für Gottesdienst und Katechismus.

Wie muss man sich hier in Albanien Seelsorge vorstellen? Diese Frage stellten wir uns auch bei unserer Ankunft in Fier. Ein Grundbedürfnis ist die Evangelisierung der Leute. Da haben wir uns hineingestürzt. Wir hielten Katechismusunterricht, also Glaubensunterweisung für Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene. Viele von ihnen taten sich sehr schwer damit, die nötige Zeit aufzubringen, etwas zu lernen und sich auf die Sakramente vorzubereiten.



NICHT EINMAL EIN KREUZZEICHEN

Die Situation nach vierzig Jahren des Kommunismus unter Enver Hoxha, der von 1944 bis 1985 als Diktator über Albanien herrschte, ist wohl mit keinem anderen europäischen Land vergleichbar. Die Spuren spiritueller Verwüstung sind bis heute mit Händen greifbar. Mehr als zwei Generationen wuchsen ganz ohne Glauben auf. Es gab keinerlei Kontakt zur Kirche und zu Priestern. Sämtliche Gotteshäuser waren geschlossen oder zerstört, die Priester waren aus dem Land gejagt worden oder im Gefängnis gelandet, manche hat man auch erschossen.

So bemühten wir uns, kleine örtliche Gemeinden zu bilden. Neue Mitglieder „rekrutieren“ wir bei den gern gesehenen Haussegnungen und beim Besuch der Familien. Immer wieder entdecken wir dabei Hausgemeinschaften, die sich als katholisch bezeichnen, aber überhaupt nicht getauft sind und auch nicht zum Gottesdienst kommen. Daher konzentrieren wir uns in der Seelsorge darauf, die Leute in den grundlegenden Fragen eines Glaubens zu belehren, dem sie irgendwie anhängen oder den sie ererbt haben, obgleich sie die wichtigsten Gebete nicht kennen, oft nicht einmal das Kreuzzeichen machen können. Diese katechetische Unterrichtung erfolgt in den Dörfern in Privathäusern oder in einem Bunker, da es weder Kapellen noch gottesdienstliche Räume gibt.

Wenn wir von der Evangelisierung des albanischen Volkes sprechen, muss man unterscheiden. Bei der oben genannten Gruppe – diejenigen, die sich für katholisch halten, aber kein grundlegendes katholisches Glaubenswissen haben – gilt eher der Begriff Re-Evangelisierung. Denn diese Menschen sind sich ihrer christlich-katholischen Identität bewusst, sie haben sich immer als Gläubige gefühlt und versuchen jetzt, diese erzwungene Leerstelle in ihrem Leben, die durch das kommunistische System entstanden ist, wieder auszufüllen. Doch unsere Pastoral hat auch eine zweite Gruppe im Blick: Menschen aus anderen Glaubensgemeinschaften oder auch solche ganz ohne Glauben. Hier können wir im engeren Sinn von Evangelisierung sprechen, von einer Mission ad gentes, der Einladung an Menschen, mit dem christlichen Glauben vertraut zu werden.



MUSLIME ERINNERN SICH

Bekanntlich wurde das „Land der Adler“, von dem die deutschsprachigen Leser über den Karl-May-Band „Durch das Land der Skipetaren“ womöglich eine vage Vorstellung haben, in seiner komplizierten und wechselvollen Geschichte, mit Gewalt und Druck durch die Osmanen, zu einem muslimischen Land. Unsere Missionsstation in Fier im südlichen Teil Albaniens zählt nur sehr wenige Katholiken, die meist aus den nördlichen Berg-regionen stammen. So galt unser Missionsbemühen von Anfang an auch den Menschen anderen Glaubens und denen, die sich als glaubenslos bezeichnen.

Ich darf sagen, dass es in den letzten Jahren nicht an Muslimen oder Menschen anderer Religionen mangelt, die an die Tür unseres Konventes klopfen und um die Taufe und um Aufnahme in unsere Kirche bitten. Jedes Jahr dürfen wir verschiedene Muslime taufen. Dann gibt es Muslime oder Leute aus der Sekte Bektashi, die manchmal nur zu unserer Messfeier kommen oder zu Veranstaltungen außerhalb des Katechismusunterrichts. Dies ermutigt uns und macht uns begreiflich, dass dieses Volk Gott sucht, dass es seinen Weg sucht.

Es ist kein Einzelfall, wenn ab und zu ein junger Mann zu mir sagt: „Wir kennen die Geschichte unseres Landes sehr wohl und wir wissen, dass wir früher keine Muslime waren, sondern Christen.“ Oder ein andermal bringen Eltern ihre Kinder zu uns, damit wir sie taufen, obgleich sie selbst nicht katholisch sind. Wenn ich sie dann frage, warum sie das möchten, antworten sie: „Wir wollen zu den Wurzeln unseres Volkes zurückkehren, das früher einmal christlich war. Wir möchten, dass wenigstens unsere Kinder einen neuen Weg einschlagen.“ Diese und andere Begebenheiten zeigen uns, dass wir unsere Pastoral weiter fassen müssen, ja dass wir sie auch in diese Richtung ausweiten müssen. Diese Leute haben das Bedürfnis, ihre innere Leere auszufüllen. Und dies kann nur Gott.



BESUCH BEIM ANTONIUS-HEILIGTUM

Die Kinder hier haben eine auffallende Begabung und auch Vorliebe für das Rezitieren und Theaterspiel. Dies greifen wir mit szenischen Darstellungen religiösen Inhalts auf, etwa an Weihnachten, Ostern, den großen Heiligenfesten. In Zusammenarbeit mit den Ordensschwestern unserer Pfarrei organisieren wir jedes Jahr verschiedene Sommer-Zeltlager für Kinder und Jugendliche. Auch während des Jahres unternehmen wir Ausflüge mit den Kindern. Mindestens einmal jährlich besuchen wir das Antoniusheiligtum von Laç, einem Städtchen in Nordalbanien. Dorthin machen viele Leute eine Wallfahrt. Allein aus unserer Pfarrei waren wir einmal mit einer Gruppe von 130 Leuten unterwegs, wobei in dem einen Bus fast nur Muslime und orthodoxe Christen saßen. Dies war die beste Voraussetzung für eine interreligiöse Begegnung, ohne große Vorbereitungen. Wir alle waren unterwegs zu einem Heiligtum, unser Glaube trennte uns nicht; alle haben den Rosenkranz gebetet und auch die Kirchenlieder mitgesungen. Dabei wird es Sie in den deutschsprachigen Ländern interessieren, dass die Melodien von vielen dieser Kirchenlieder Ihnen wohlbekannt sein dürften: Unser Bischof Hil Kabashi, gebürtig aus dem Kosovo, war nämlich von 1984 bis 1997 in der Albanischen Katholischen Mission in Stuttgart für die Seelsorge der albanischen Emigranten zuständig und hat zahlreiche Kirchenlieder aus dem Gotteslob ins Albanische übersetzt. Diese Lieder hat er natürlich in das Gesangbuch übernommen, das er für seine Diözese herausgegeben hat. Wenn Sie uns also einmal in Fier besuchen sollten, können Sie viele unserer Lieder ohne weiteres auf Deutsch mitsingen.

Immer wieder werde ich gefragt, wie es mir dabei geht, als Missionar in Albanien zu arbeiten. In wenigen Worten kann ich das gar nicht verdeutlichen. So langsam lerne ich Land und Leute besser kennen; viele Dinge sehe ich jetzt anders als früher. Hier als Missionar zu arbeiten, bedeutet für mich vor allem, offen zu sein und nahe bei den Menschen. Diese Arbeit verlangt eine große, geradezu heilige Geduld. Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen, wenn die Früchte unserer Arbeit nicht sofort zu sehen sind oder nur spärlich ausfallen. Um richtig zu reagieren und manche Verhaltensweisen der Gläubigen nicht falsch zu interpretieren, müssen wir immer tiefer auf die Kultur und Mentalität dieser Menschen eingehen.

In der Vergangenheit verlegten sich die Missionare in Albanien vor allem auf tatkräftige Hilfe, besonders in wirtschaftlicher Hinsicht. Das war auch notwendig, denn das Land war wirklich arm und heruntergekommen. Aber indem die Ordensschwestern und Priester in erster Linie materielle Hilfe brachten, haben sie, ohne es zu wollen, bei den Leuten hier ein Bild von unserer Kirche als einer rein humanitären Organisation begünstigt. Und heutzutage haben wir unsere Schwierigkeiten damit, vor allem im nichtchristlichen Ambiente, dieses Etikett aus jüngster Vergangenheit loszuwerden.



SPIRITUELLER HUNGER

Natürlich helfen wir Missionare auch heutzutage den Armen, denn es gibt immer einige Bedürftige. Aber wir versuchen uns mehr und mehr darauf zu konzentrieren, den Menschen etwas anzubieten, was ihnen die Caritas oder eine andere humanitäre Organisation nicht zu bieten vermag: spirituelle Nahrung, Sa-kramente, Jesus Christus, der gegenwärtig wird und miteinander geteilt wird in seinem Wort des Lebens und in der Eucharistie.

Demnach bedeutet, Missionar in Albanien zu sein, für mich heute, dass ich für diese Menschen Jesus Christus lebendig werden lasse, seine Gestalt und seine Botschaft. Ich versuche, ihnen das wahre Angesicht Gottes zu zeigen und sie mit seiner Kirche vertraut zu machen; ihnen begreiflich zu machen, welcher Wert im Empfang der Sakramente steckt, da dieser noch nicht so geschätzt wird. Mit der Hilfe der Jungfrau Maria, der Immaculata, die auch Patronin unserer Pfarrei ist, hoffen wir auf eine bessere und fruchtbare Zukunft.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016