Neuanfang im Schwarzwald

27. Dezember 2023 | von

Ein neues Kloster! Grund genug, den Brüdern der Danziger Ordensprovinz, die im Schwarzwald einen Neuanfang wagen, einen Besuch abzustatten.

Seit Jahrzehnten arbeiten Brüder der Danziger Ordensprovinz als Seelsorger in Deutschland. In den letzten Jahren mussten sie zwei Tiefschläge verkraften: Die Niederlassungen in Duisburg und Gelsenkirchen wurden 2020 bzw. 2023 aufgegeben. Ein Kloster nach Jahrzehnten zu verlassen, wo viele Beziehungen gewachsen sind und auch Brüder heimisch wurden, ist immer eine große Herausforderung – verbunden mit Traurigkeit und Enttäuschung. Umso größer nun im vergangenen August die Freude, als die Brüder in Zell am Harmersbach eine neue Niederlassung eröffnen konnten: nach Walldürn ist das nun ihre zweite im Erzbistum Freiburg.

Von Kapuzinern zu Minoriten

Br. Kryzsztof Robak und Br. Ireneusz Wojtko sind die beiden Pioniere im Ortenaukreis. Dort, im Westen des Schwarzwalds, liegt die gut 8.000 Einwohner zählende Gemeinde Zell am Harmersbach. Als ich bei meinem ersten Besuch dort ankomme, fallen mir zunächst die großen Lettern neben der Klosterpforte auf. Dort steht „Kapuzinerkloster“.

Die Erklärung hat – leider – auch mit der Aufgabe eines Klosters zu tun. Seit Jahrhunderten sind die Kapuziner mit Zell verbunden. Zunächst übernahmen sie vom Kloster Haslach aus an Wochenenden und Wallfahrtstagen die Seelsorge für die Wallfahrerinnen und Pilger; später – nach der Säkularisation – kamen sie von Strasbourg; und schließlich konnten sie 1918 mit dem Bau eines Klosters in Zell beginnen, das im November 1921 eingeweiht wurde. Dem folgte bald ein kleines Internat und schließlich ein „Haus der Begegnung“.

Am Pfingstmontag dieses Jahres ging eine über 100-jährige Ära zu Ende. Bei ihrem Provinzkapitel im Jahr zuvor hatten die Kapuziner beschlossen, sich aus dem Kloster zurückzuziehen. Geblieben sind nur vier Brüder, die nun im benachbarten Seniorenzentrum untergebracht sind. Der seelsorgliche Dienst der Franziskaner-Minoriten begann offiziell am Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel: Mitte August wurden die beiden Brüder vom Bischofsvikar für die Orden, Domkapitular Dr. Peter Kohl, in ihr Amt eingeführt. Sie helfen nun in der Seelsorgeeinheit mit und verantworten die Pastoral an der Wallfahrtskirche.

Bei der freudigen Be-grüßung hob Br. Krzysztof noch einmal eigens das Wirken der Kapuziner hervor: Wo heute für die Franziskaner-Minoriten ein freudiger Anlass im Kalender stehe, da habe es vor wenigen Monaten für die Kapuziner bedeutet, schmerzhaft Abschied zu nehmen.

Die Präsenz zweier franziskanischer Männerorden hat rund um das Franziskusfest dafür gesorgt, dass die Transitus-Andacht in der Wallfahrtskirche gemeinsam gefeiert werden konnte: ein wahrhaft interfranziskanisches Zeichen!

Anfang mit offenen Fragen

Bei meinem Rundgang durchs Kloster erfahre ich, dass der Ort Zell vom Kloster Gengenbach aus gegründet wurde. Diese (ehemalige) Benediktinerabtei liegt nur knapp 15 Kilometer entfernt und beherbergt heute eine Fakultät der Hochschule Offenburg. Berühmt ist Zell für die „Fasend“: Es gilt als eine der Hochburgen für die schwäbisch-alemannische Fastnacht.

Ganz geklärt, welchen Teil des Gebäudes die Brüder künftig bewohnen werden, ist noch nicht. Vermutlich muss auch noch einiges renoviert werden. Im ehemaligen Gästehaus des Klosters werden aktuell Flüchtlinge beherbergt. Zu klären ist auch die Zukunft des Klostergartens. Gemüse, Obstbäume, Weinstöcke, Rasen, Gewächshaus und kleiner Teich: Ein Klostergärtner könnte sich hier austoben. Doch um sich „nebenbei“ darum zu kümmern, dafür ist der Garten für nur zwei Brüder deutlich zu groß. Aktuell kümmern sich einige Ehrenamtliche darum, dass der Garten gut gepflegt erscheint. Direkt neben dem Garten befindet sich außerdem ein großes Gebäude mit Saal und Bühne. Es ist etwas in die Jahre gekommen. Und sicher wird sich auch hier die Frage stellen: Was passiert in Zukunft damit?

Schwerpunkt Wallfahrtsseelsorge

Wo es noch etliche offene Fragen gibt und Weichen für die Zukunft gestellt werden müssen, ist aber zumindest völlig klar, dass die Betreuung der Wallfahrt für die Brüder zu den Hauptaufgaben zählt. Dazu ist ihre Präsenz vor Ort erforderlich. Es klingelt nämlich nicht nur der Postbote, sondern es kommen auch Jakobuspilger am Kloster vorbei, die ihren Pilgerstempel abholen wollen. Und mehrmals pro Woche bieten die Brüder das Sakrament der Versöhnung an. Bei meinem Besuch ist es Br. Ireneusz, der den Nachmittag in der Wallfahrtskirche verbringt und damit direkt ansprechbar ist für Menschen, die zur Beichte kommen wollen – oder einfach eine Frage zur Wallfahrtskirche haben.

Legendenhafte Entstehung

Wie so oft, ist die Entstehung der Wallfahrt mit zahlreichen Legenden verbunden. Was mich, aus einer Pfarrei St. Gallus stammend, besonders freut: Der heilige Wandermönch soll an der Stelle der heutigen Wallfahrtskirche eine Zelle errichtet haben, um dort für einige Zeit als Einsiedler zu leben. Im 7. Jahrhundert hinterließ er in der Bodenseeregion seine Spuren, auch wenn Historiker heute anzweifeln, dass er tatsächlich in Zell gewesen sein soll. Die imposante Pfarrkirche im Nachbarort Oberharmersbach – wo man immer noch an den schrecklichen und massenhaften Missbrauchstaten eines ehemaligen Pfarrers leidet – steht unter dem Patronat des hl. Gallus. Natürlich sorgten auch die Benediktiner aus Gengenbach dafür, dass in dem von ihnen gegründeten Zell der irische Mönch gewissenhaft verehrt wurde. Ein Benediktiner soll schließlich in der Nähe der Einsiedelei in einem Rosenstrauch ein Marienbild aufgestellt haben. Es entsteht eine kleine Pilgerstätte mit dem Namen „Maria zur Rose“. Eine Kapelle wird gebaut und immer mehr Pilger finden ihren Weg nach Zell.

Unter ihnen ist ein Schmiedegeselle, der während der Kreuzzüge in der Türkei in Gefangenschaft gerät. Er erinnert sich an die Gottesmutter und verspricht: Sollte er freikommen, würde er seine Ketten am Gnadenbild in Zell aufhängen. Dass heute rechts und links vom Altar zwei Ketten hängen, erinnert daran, dass der fromme Mann tatsächlich freigekommen ist und es seither im Volksmund heißt „Wir gehen zu Maria zu den Ketten!“.

Dass die Ketten aber immer noch dort hängen, hat mit einer weiteren Legende aus dem 17. Jahrhundert zu tun. Während des 30-jährigen Kriegs wollen die Schweden „dem Wallfahrtsspuk ein Ende bereiten“. Ein Oberst will deshalb die Ketten vom Schmied zu Hufeisen umarbeiten lassen. Auf wundersame Weise entschwinden sie bei jedem Schmiedeversuch und kehren auf ihren angestammten Platz zurück – bis der Schwede schließlich aufgeben muss. Ein Zeller Porzellanmeister hat in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts diese Begebenheit rund um die Ketten im Reim festgehalten: „Der Schmied taucht sie in die Gluht / Schwingt kräftig seinen Hammer / Doch vom Ambos sind sie weg / Verschwunden Glied und Klammer. – Und wieder sind sie links und rechts / Die Ketten am Altare / Der Oberst ganz erschrecklich flucht / Rauft sich im Zirn die Haare.“

Und als die schwedischen Eindringlinge dann die örtliche Pfarrkirche St. Symphorian und die Gengenbacher Kirche zerstören, bleibt die Wallfahrtskirche relativ verschont. Reichlich wunderbare Begebenheiten also, die Gläubige bis heute darauf hoffen lassen, hier in Zell in ihren Nöten und Sorgen Hilfe zu erfahren.

Unterwegs mit den Menschen

Die heutige Wallfahrtskirche wurde in vier Etappen gebaut. Zum ältesten Teil gehören der Turm samt Chor mit Netzgewölbe und der östliche Teil des Langhauses. Sie stammen vom Kirchbau 1480. Um 1700 wurde das Langhaus in Richtung Westen verlängert. Weil aber der Platz für die Gläubigen bald wieder nicht ausreichte, musste eine weitere Vergrößerung in Angriff genommen werden. Und die ist nun verbunden mit einer baulichen Besonderheit, die bis heute auffällt: Das Querschiff befindet sich nämlich im hinteren Bereich der Kirche (statt vorne). Denn hätte man die Kirche noch weiter verlängert, hätte sie auf Zeller Stadtgebiet gestanden – vermutlich verbunden mit etlichen Streitereien.

So hat man einfach in die Breite gebaut und dafür gesorgt, „dass die Kirche im Dorf blieb“. Ursprünglich stand sie nämlich auf dem Gebiet von Unterharmersbach, auch wenn sie heute als Wallfahrtskirche von Zell am Harmersbach bekannt ist. Und dort tun nun seit einigen Monaten Franziskaner-Minoriten ihren Dienst. Was ihnen dabei wichtig ist, das haben Br. Krzysztof und Br. Ireneusz so zusammengefasst: „Wir gehen die Arbeit mit Respekt an und wollen sie im Geist der Kapuziner fortsetzen. Wir möchten unterwegs mit den Menschen sein. In nächster Zeit wird noch ein dritter Mitbruder zu uns kommen, bei den Minoriten werden Ordensgemeinschaften von mindestens drei Brüder angestrebt. Unsere eigene Spiritualität ist uns wichtig und die möchten wir auch präsentieren.“

Zuletzt aktualisiert: 27. Dezember 2023
Kommentar