Von Null auf Hundert

15. Januar 2024 | von

Antonius steht nun plötzlich im Licht der Öffentlichkeit. Die „ruhigen Jahre“ sind vorbei. Er ist gefordert – und wird wohl auch Freude daran haben, dass die Menschen ihm zuhören, wenn er das Evangelium verkündet.

Mit der einsiedlerischen Ruhe ist es nun vorbei. Es stellt sich heraus, dass der Aufenthalt auf Montepaolo für Antonius in bester franziskanischer Manier wieder nur eine Zwischenstation war. Das Unterwegssein, welches es nicht wirklich erlaubt, irgendwo auf Erden dauerhaft heimisch zu werden, ist besonders in der Gründerzeit ein Wesensmerkmal der Minderbrüder. Dass man dabei nicht immer unbedingt nach Plan und Konzept vorgeht, gehört dazu. Auch Antonius wird ja eher zufällig als Predigttalent entdeckt: Bei einer Priesterweihe in Forlì war kein Prediger zugegen. Und als niemand bereit war, diese Aufgabe spontan zu übernehmen, fiel die Wahl schließlich auf Antonius. Die Notlösung wird zur Offenbarung eines „Supertalents“: Mit seiner Auslegung der Heiligen Schrift fasziniert Antonius die Anwesenden, führt sie näher heran an das Geheimnis Gottes – in verständlicher, greifbarer Sprache.

Eines nach dem anderen

Plötzlich steht Antonius mitten auf der großen Bühne. Er wird in diesen Tagen noch nicht ahnen, wie einflussreich er als Prediger noch sein wird. Und auch wenn er nicht auf diesen Moment, auf diese „Karriere“, bewusst hingearbeitet haben wird – es sei daran erinnert, dass er ja eigentlich als Märtyrer in Marokko sterben wollte –, wird er innerlich doch zufrieden gewesen sein, dass er nun ein wirkungsvolles Werkzeug für die Verbreitung der göttlichen Botschaft ist. Es hat eine lange Vorbereitung gebraucht, doch nun scheinen die Puzzleteile ihren Sinn zu ergeben. In Portugal wurde das biblische Fundament gelebt. In der Bibliothek der Augustiner-Chorherren verbrachte er Stunden um Stunden mit dem gründlichen Studium des Wortes Gottes, aber auch mit der Lektüre und dem Verinnerlichen exegetischer Werke. In Marokko sammelte er wohl so etwas wie „Lebenserfahrung“: Es galt, sein Scheitern anzunehmen – und trotzdem nicht aufzugeben. Das Stranden in Sizilien und das Erleben, nicht wirklich gebraucht zu sein, dürfte eine wirkungsvolle Schule der Demut gewesen sein. Die Stille von Montepaolo wird schließlich geholfen haben, diese Erfahrungen zusammen zu bringen, sie zu sortieren und sie versöhnt in die eigene Biografie zu integrieren. Antonius ist gewappnet für das, was kommt.

Talent im vollen Einsatz

Und dass es nun für ihn nach der „Erstlingspredigt“ in Forlì rasant weitergeht, dafür sorgt der „Flurfunk“. Die Biografie „Assidua“ berichtet davon, dass „schon bald der Provinzialminister von dem in Kenntnis gesetzt (wurde), was sich ereignet hatte.“ Und der scheint keineswegs eifersüchtig zu sein oder Angst zu haben, da könne sich jemand zum Konkurrenten entwickeln. Ganz im Gegenteil: Er tut alles dafür, dass Antonius das entdeckte Talent zum Wohl der Seelen einsetzen darf. Der Biograf berichtet: „Mit der Unterstützung der Autorität dessen, der ihn geschickt hatte, bemühte Antonius sich dermaßen eifrig, der Verpflichtung zur Predigt nachzukommen, dass er aufgrund seines unermüdlichen Fleißes den Namen eines Evangelisten verdient hätte. Er durchzog Städte und Burgen, Dörfer und Landstriche und überall säte er die Samen des Lebens in großzügiger Fülle und glühender Leidenschaft.“ – Es scheint zum Charakter des Antonius gehören: Was er tut, das tut er mit dem höchsten Maß an Einsatz und Perfektion. Es wird ihm nachgesagt, dass er mit größtem Eifer in Lissabon und Coimbra studiert habe. Mit unbedingtem Willen verfolgte er seinen Wunsch nach dem Martyrium. Er ließ sich ganz und gar auf die Stille und Zurückgezogenheit auf Montepaolo ein. Und nun wieder auf das, was ihm jetzt aufgetragen ist: das Predigen.

Bekehrungserfolge

Die erste Predigtstation, deren Ort uns überliefert ist, ist Rimini. Die „Assidua“ berichtet: „Dort sah er, dass viele von den Machenschaften der Ketzer verführt waren. Er versammelte die gesamte Bevölkerung und begann mit seiner leidenschaftlichen Predigt. Und auch wenn er die Weisheitssprüche der Philosophen nicht gelernt hatte, vermochte er noch strahlender als die Sonne die schlauen Behauptungen der Ketzer zu widerlegen. Sein kraftvolles Wort und seine heilsame Lehre trieben solche tiefen Wurzeln in den Herzen der Zuhörer, dass sich eine Menge Gläubiger wieder treu an den Herrn wandte, nachdem sie vom Makel des Irrtums befreit worden waren.“

Zimperlich, so ist der Kapuziner Anton Rotzetter überzeugt, wird Antonius dabei nicht vorgegangen sein: „Aber, und das muss man gleich hinzufügen, Antonius schmettert allein mit dem Wort, nicht mit dem Schwert.“

Von großer Bedeutung ist wohl die Tatsache, dass sich mit Bonillo einer der überzeugtesten Ketzer zum katholischen Glauben bekehrt. Nach heftigen Disputen rund um Glaubensthemen schlägt Bonillo schließlich dem Antonius vor: „Ich werde mein Maultier drei Tage lang fasten lassen und dann werden wir uns treffen. Ich werde ihm Heu anbieten und du die Hostie. Wenn sich das Maultier für Letztere entscheidet, werde ich glauben, was du sagst.“ Zum Erstaunen aller ignoriert das Tier tatsächlich das Heu und kniet vor der Hostie nieder – ein Wunder, das rasch die Runde macht und welches natürlich nicht folgenlos bleibt. Mit Bonillo bekehren sich viele Ketzer, und sein Ruf wird Antonius künftig vorauseilen, wohin immer er auch mit seinen Predigten unterwegs ist.

Erkenntnisse im Rückblick

Die Kehrseite der Medaille: Mit der Ruhe ist es für Antonius nun erst einmal – oder wohl besser gesagt: bis zum Ende seines Lebens – vorbei. Mit größtmöglicher Geschwindigkeit und ohne Vorankündigung hat sich sein Leben komplett verändert. Er steht nun im Fokus der Öffentlichkeit, er hat die große Bühne betreten.

Was hat der Erfolg wohl mit ihm innerlich gemacht? Hat er vielleicht doch schon lange darauf spekuliert? Wie werden seine Brüder reagiert haben? Und dann gibt es auch ganz praktische Fragen: Wie hat er die Strapazen des Unterwegsseins verkraftet? Wie hat er sich auf seine Predigten vorbereitet? Gab es bei allen Erfolgen vielleicht doch auch Unstimmigkeiten oder gar hier und da Ablehnung? Letztlich können wir über solche Fragen nur spekulieren. Gesicherte Informationen sind uns nicht überliefert.

Doch Antonius kann zum Orientierungspunkt werden, wo der Mensch in seiner Biografie immer wieder überraschende Wendungen erlebt und sich um- oder neu auf etwas einstellen muss. Von Antonius kann man auch 800 Jahre später noch lernen, sich je neu auf das einzulassen, was gerade kommt. Und der Blick auf sein Leben zeigt auch: Oft ergeben einzelne Lebensabschnitte erst im Rückblick ihren Sinn – erst dann versteht man, warum dies oder jenes vielleicht tatsächlich hat so geschehen müssen, auch wenn es im konkreten Erleben eine schwierige Zeit gewesen sein mag. Später erkennt man vielleicht genau diese Zeit als hilfreiche Vorbereitung auf das, was sich entwickelt hat.

Zuletzt aktualisiert: 15. Januar 2024
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