Wer nicht wagt, der nicht gewinnt

Was bringt das neue Kalenderjahr? Eines ist sicher: Veränderung. Sie ist heute immerzu gefragt. Nichts bleibt wie es war. Die Schnelligkeit und Grundsätzlichkeit erzeugt oft Angst, doch kann Veränderung auch eine Chance beinhalten. Letztlich ist sie, rich
30. Dezember 2015 | von

Veränderung begleitet menschliches Leben von der Geburt bis zum Tod. Sie scheint so etwas wie eine Konstante des Lebens zu sein, das einzige, dessen man sich sicher sein darf: Der Mensch erlebt eine Veränderung in seinem Lebensverlauf, die Veränderung des Körpers, Wachstum, Reife und schließlich den Tod. Beziehungen verändern sich: Aus Liebe kann Routine, Routine wiederum kann zur Liebe werden. Menschen entfremden sich oder ‚wachsen mehr und mehr zusammen’. Vom Kindergarten geht es in die Schule, nach dem Abschluss der Schule ins Studium oder einen Beruf, und auch das ist nicht in Stein gemeißelt. Schon lange nicht mehr endet ein Berufsleben eines Menschen heute nach vierzig Jahren in dem Unternehmen, in dem es begonnen hat. 

 

 

 

 

Veränderungen als Kontinuum

 

 

Der Einzelne, die Gesellschaft, der Kontext, ja die Welt verändern sich, stetig und unaufhörlich. Schicksalsschläge, Krankheiten und Tod verändern mitunter das Lebenskonzept und die Lebenswirklichkeit des Menschen in radikaler Weise. Die Gesellschaft, die ökonomischen Bedingungen, politische und kirchliche Entscheidungen verändern das Leben. Veränderungen begleiten den Menschen, gewollt und ungewollt, bewusst entschieden und manchmal einfach widerfahrend. 

 

Zwischen Freude und Angst

 

 

Mit Veränderungen geht ein jeder anders um, es kommt ja auch ganz auf die jeweilige Veränderung an. Manche sind herzlich willkommen, ganz nach dem Motto: Eine ‚Luftveränderung‘ tut gut. Vor anderen graut es einem. Vielfach machen Veränderungen Angst. Man muss sich bewegen, man muss etwas tun, vielleicht Geliebtes und Gewohntes aufgeben, ins Ungewisse aufbrechen und Risiken eingehen. Wer macht das schon gerne! Manchmal kann eine Entscheidung zu einer Veränderung auch falsch sein, das zeigt sich aber dann oft erst im Nachhinein.

Veränderung als Zwangsverhalten

 

 

 

In der heutigen postmodernen Zeit, insbesondere auch in Wirtschaftskreisen, ist das Wort von der Veränderung bzw. das englische Wort ‚Change’ sehr oft, fast schon inflationär, im Gebrauch. Die Welt verändert sich angesichts von Globalisierung, Digitalisierung und einer nicht mehr zu verarbeitenden Informationsflut für alle rasant. Die Forderungen nach Flexibilität und Mobilität beschleunigen das Leben, machen manche atemlos, und man kann sich kaum mehr auf all die Veränderungen einstellen, die tagtäglich den einzelnen und auch die Gesellschaft herausfordern. Wie da noch Schritt halten? Die Anforderungen werden immer größer, im privaten wie auch beruflichen Leben. Manch einer bleibt dabei auf der Strecke, buchstäblich. 

 

Flexibilität, Aufbruch zu neuen Ufern, Networking oder Veränderung als Chance, so lauten die positiven Stichworte und Einschätzungen dieser Herausforderungen. Heimatlosigkeit, psychische Obdachlosigkeit, Mangel an Verbindlichkeit, Hektik und burn-out, so lauten einige der negativen Einschätzungen und Konsequenzen. 

 

Der Zukunftsforscher Matthias Horx drückt dieses Dilemma wie folgt aus: „Achtung WANDELZWANG! Wer sich nicht innerhalb von 24 Stunden radikal gründlich ändert, wird mit Einkommens- und Wohlstandsverlust, mit Unglück, Versagen und Minderwertigkeit bestraft!“ (Horx: Wie Menschen Zukunft gestalten, München 2009). Vor lauter Mobilität und Herausforderung sind Veränderung und Wandel zu einem Zwangsverhalten geworden. Veränderung steht im Mittelpunkt der Lebensbewältigung von Einzelnen und Organisationen. 

 

Doch Veränderung sollte nicht nur unter Zwang geschehen, Veränderung ist nicht das Allheilmittel. Es muss wohl überdacht und dann auch entsprechend strategisch geplant sein, wenn man sich einer umgreifenden Veränderung in Lebensfragen oder gerade auch im Unternehmen unterziehen will. Da genügt nicht nur der Wille oder die Einsicht.

 

Lernen vom Pinguin Fred

 

Eine sehr schöne Erzählung kann hier vielleicht die Herausforderung, die in der Veränderung liegt, verdeutlichen: 

 

Eine Pinguinkolonie lebt seit Jahren auf einem Eisberg. Alle fühlen sich wohl, man hat sich eingerichtet – und nichts scheint auf eine Veränderung hinzudeuten. Warum auch! Doch der junge Pinguin Fred entdeckt eines Tages, dass der Eisberg schmilzt, langsam und unwiderruflich. Als er es den anderen erzählt, will ihm keiner glauben. Das hieße ja, man müsse umziehen, und dieser Veränderung will sich keiner der anderen Pinguine stellen. Ist ja auch in ihren Augen nicht nötig. Zusammen mit einigen anderen Pinguinen aber entwickelt Fred eine Strategie, um die anderen zur Einsicht zu führen und der Katastrophe aktiv entgegenzutreten, der unvermeidlichen Veränderung.  

 

Es ist eine Geschichte, in der die Herausforderungen eines Veränderungsprozesses in einer Organisation und auch im Leben und Alltag des Einzelnen zu Tage treten und behandelt werden: Einsicht und Widerstand, Ungläubigkeit und Entschlossenheit, Geduld, Kommunikation und Information, Aufbruch, positiver Wandel. Am Ende des Buches gibt der Autor, der emeritierte Professor für Change-Management in Harvard, John Kotter, acht Regeln mit an die Hand, wie ein erfolgreicher Veränderungsprozess gelingen kann: Er spricht von dem Gefühl der Dringlichkeit, der Bedeutung eines Leitungsteams, Zielvorstellungen und Strategie, Werbung um Akzeptanz und Verständnis, Handlungsfreiräume und kurzfristigen Erfolgen, Beharrlichkeit und einer neuen Kultur, die verlockend ist. 

 

Prozesse wollen geplant sein

 

 

Die Erzählung macht deutlich, dass Veränderung und Veränderungsprozesse gewissen Gesetzmäßigkeiten unterliegen, und wenn sie erfolgreich sein wollen, so müssen sie wohl geplant sein, auch im eigenen Leben. Das geht nicht in einem ‚Hauruckverfahren’. Vor allem ist es absolut notwendig, wenn andere betroffen sind, diese mit ins Boot zu holen, auch die Widerständigen. Denn gerade diese bringen oftmals auch eine innovative Kraft mit. Ein Element, das in seiner Bedeutung nicht hoch genug eingestuft werden kann, ist die Kommunikation. Ziele und Strategien sollten kommuniziert werden. Allzu oft sind Prozesse nicht klar und deutlich kommuniziert, und noch ehe der Prozess beginnt, wird dadurch Widerstand geweckt, der nur schwer abzubauen ist. 

 

Veränderung oder Wandel?

 

 

An dieser Stelle soll aber auch noch auf einen Unterschied hingewiesen werden, der gerade auch in religiösen Prozessen und in der christlichen Tradition – im Grunde genommen auch bei jedem Veränderungsprozess – von großer Bedeutung ist. Die Rede ist von der Unterscheidung von Veränderung und Wandel.  Während Veränderung ein Prozess ist, der auf externe Faktoren reagiert und sich oftmals sogar zwangsläufig ergibt oder ergeben muss, wenn eine Organisation auf veränderte gesellschaftliche Werte, Strukturen oder auch technische Innovationen zu antworten hat, so ist der Wandel etwas, das die einzelne Person betrifft. Es findet ein Umformungsprozess statt, der nicht nur an der Oberfläche bleibt, sondern den ganzen Menschen betrifft. Wandel hat etwas mit einer freien Wahl zu tun, aus Einsicht in eine Notwendigkeit oder auch als Folge einer klugen Überlegung. Wandel bleibt nicht an der Oberfläche oder an Strukturen hängen, Wandel geht tiefer. Es geht nicht nur um einen Ortswechsel oder um einen Wechsel des Arbeitsplatzes. Es geht im Wandel vielmehr darum, dass der Einzelne durch die Veränderungen in seinem Lebenskontext und der Welt sich selbst zu verändern beginnt. Haltungen, Einstellungen sind mit betroffen! Der Benediktiner Anselm Grün spricht in diesem Zusammenhang von Verwandlung als einer vergessenen Dimension geistlichen Lebens. Nur wer sich auf den Weg der Wandlung einlässt, wer sich im Innersten ergreifen lässt, der kann eine dauerhafte Veränderung erleben und auch durchstehen. Wer sich also auch loslassen kann und durch die Dunkelheiten des Lebens hindurch geht, der erlebt eine Veränderung, die zur Wandlung und vielleicht Verwandlung führt. Veränderung, die Wandel mit einschließt, kann zur Verwandlung führen, und von anderen wird der Einzelne dann womöglich als ein ganz neuer Mensch gesehen und erlebt. 

 

Von jeher gibt es in der reichen christlichen Spiritualitätsgeschichte viele Bilder, Beschreibungen und auch Auseinandersetzungen mit dieser Perspektive von Veränderung, die Wandlung meint und Verwandlung erzielt. Das sicherlich am häufigsten benutzte Bild ist der Weg.

 

Umkehr, weil Gott liebt

 

 

Auch der Begriff und die Wirklichkeit der Umkehr müssen in diesem Zusammenhang genannt werden. Und das kann eine ganz radikale Veränderung und Verwandlung herbeiführen. Der Kernsatz der Botschaft Jesu im Markusevangelium steht direkt am Beginn im ersten Kapitel „Kehrt um und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,2). Jesus fordert eine radikale Kehrtwende im Leben seiner Hörer, die sie verändern und verwandeln soll. Vorbild ist er selbst. Er verkündet einen Gott, der sich um den Menschen sorgt und um seine Schwächen weiß, so wie Gott im Alten Testament immer wieder seinem Volk voran- und nachgegangen ist, einem Volk, das ihm oft nicht glauben wollte und sich widerspenstig zeigte. Immer wieder rief er sein Volk zur Umkehr, immer wieder ruft auch Jesus die Menschen zur Umkehr hin zu Gott, der um den Menschen weiß. Der Jesuit Michael Schneider macht vier Schritte auf dem Weg der Umkehr und der Buße aus: erkennen – anerkennen – zuerkennen – bekennen. Zunächst gilt es, die Liebe zu erkennen, mit der Gott den Menschen umgibt. Gott hat den Menschen geschaffen und liebt ihn bedingungslos. Er bejaht den Menschen, wie er ist. Und er will den Menschen mit sich selbst versöhnen, so wie er es am Kreuz gezeigt hat. In der Erkenntnis der unbegrenzten und bedingungslosen Liebe Gottes erkennt der Mensch dann seine eigene Hinfälligkeit, seine Sündhaftigkeit und Schuld – und die Tatsache, dass Gott den Menschen von genau dieser Last befreien will. Er zieht den Menschen an sich und will ihn aufrichten, lossprechen und auf den Weg des Lebens, der Freiheit und Zukunft senden. Umkehr und Erkenntnis haben dann damit zu tun, sich selbst bejahen zu können, weil Gott das ewige Ja zu seinen Geschöpfen, zur Welt und zu jedem Einzelnen ist. Erkennen führt zum Anerkennen dieser eigenen Welt und Brüchigkeit sowie der Notwendigkeit von Wandel, von völliger Neuorientierung und Abkehr von all dem, was den Menschen von Gott trennt. Eine Umkehr in Wort und Tat! Das Anerkennen der eigenen Schuld bleibt ein Dauersakrament eines wachen Lebens im Glauben, das zum Zuerkennen und Bekennen der eigenen Sünden und der Schuld wird, die bei Gott angenommen und gewandelt wird (Michael Schneider: Umkehr zum neuen Leben. Wege der Versöhnung und Buße heute, Freiburg 1991).

 

Durch Umkehr zur Lebensfreude

 

 

Deutlich wird dieses umfassende Verständnis von Umkehr auch in der Haltung und in den gelebten Aussagen des hl. Franziskus von Assisi. So wie Schneider es darlegt, ist Buße die ständige Umkehr und Hinkehr zu sich selbst und zu Gott, der dem Menschen immer wieder seine versöhnende und liebende Hand hinstreckt. Für Franziskus folgt daraus eine umfassende Lebensfreude, getragen von Gott, der den Menschen zu sich hinzieht. Daraus resultiert eine grundlegende Freude im Leben des Menschen. Franziskus selbst hatte auf seinem Lebensweg ein Erlebnis, das ihn radikal verwandelte und dazu führte, dass er sein wollte wie Christus: die Begegnung mit einem Aussätzigen. Er steigt vom Pferd hinab, gibt nicht nur ein Almosen, sondern umarmt und küsst den Aussätzigen, in dessen Bedürftigkeit er Christus erkennt. Von da ändert er sich völlig, wird ein Bettler, lebt solidarisch mit den Armen und macht sich auf den Weg der radikalen Christusnachfolge. Darin fand er seine Lebensbestimmung und eine umfassende Freude.

 

Christen: Experten der Veränderung

 

Somit spielen Veränderung, Wandel, Verwandlung und Umkehr im Leben eines Christen eine umfassende Rolle. Insofern kann man vielleicht vom Christen sogar (im Idealfall und als Anspruch) als dem Experten der Veränderung sprechen: Das Evangelium gibt die Regeln, die Prinzipien und die Ziele des Veränderungsprozesses an. Es ist die Richtschur für die stete Veränderung hin zur Verwandlung. Es ruft den Gläubigen immer wieder auf den Weg der Umkehr hin zu Gott.

 

Zuletzt aktualisiert: 17. Oktober 2016
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