Ressourcen verantwortlich nutzen

24. Januar 2018 | von

Die Ressourcen der Erde sind endlich. Mehr noch: Der steigende Bedarf und Verbrauch des Menschen gefährdet das Wohl der Schöpfung. Die Bioökonomie erforscht alternative Konzepte, um den Planeten Erde nicht noch weiter zu strapazieren. Unser Autor gibt hier einen Überblick „für Einsteiger“ in ein spannendes und zukunftsträchtiges Thema.

Wohl und Wehe der Weltwirtschaft hängen heute mehr denn je von der Verarbeitung und Verbrennung der fossilen Rohstoffe Erdöl, Kohle und Erdgas ab. Das Zeitalter der fossil basierten Ökonomie hat jedoch erst vor knapp zweihundert Jahren begonnen und wird eines Tages nur eine kurze Epoche der Menschheitsgeschichte gewesen sein. Denn fossile Ressourcen sind endlich. Ihre Nutzung verursacht zudem, neben anderen Umweltschäden, jene steigenden Kohlendioxid-emissionen, die den Klimawandel vorantreiben. Wenn das bei der Pariser Weltklimakonferenz im Dezember 2015 vereinbarte Ziel, die globale Erwärmung in Relation zur Temperatur zu Beginn der Industrialisierung auf höchstens zwei Grad Celsius zu begrenzen, erreicht werden soll, müssen deshalb 70 Prozent aller verfügbaren Vorräte an Kohle und ein Drittel aller Vorräte an Öl und Gas ungenutzt unter der Erde bleiben. Dann muss weltweit schon heute die Transformation zu einer Bioökonomie beginnen, die auf nachwachsende Rohstoffe und erneuerbare Energieträger setzt, um unseren Bedarf an Nahrung, Werkstoffen, Gebrauchsgütern und Energie zu decken.

Zurück zu den Wurzeln?
Bis etwa 1780 waren alle Gesellschaften dieser Erde Bioökonomien. Die Muskelkraft von Menschen und Nutztieren, verstärkt durch mechanische Hilfsmittel, bildete die Basis ihres Wirtschaftens, dessen vorrangiger Brennstoff das Holz war. Hinzu kamen Wind und Wasser für die Mühlen, Wind für die Segelschiffe und über allem die Strahlen der Sonne, aus denen fast die ganze auf Erden vorhandene Energie stammt. Dann kam die industrielle Revolution und verwandelte die Erde. Beflügelt durch die Erfindung der Dampfmaschine, stieg die Kohle zunächst in England zur wichtigsten Energiequelle auf. Ihr weltweiter Siegeszug begann in den 1820er-Jahren. Um 1890 hatte sie die Biomasse als wichtigsten Energieträger überholt. Sie lieferte auch Rohstoffe für die Herstellung synthetischer Farbstoffe und Medikamente, wodurch die chemische Industrie entstand. Parallel begann die Karriere des Erdöls, dessen erste kommerziell genutzte Quelle 1859 in Pennsylvania erschlossen wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg löste das Erdöl die Kohle als primäre fossile Quelle ab. Heute werden rund 90 Prozent aller Grundchemikalien, aus denen etwa Arzneimittel, Farben, Lacke, Waschmittel sowie Kunststoffe und -fasern produziert werden, aus Erdöl und Erdgas gewonnen.
Selbst wenn Pflanzen nur einen Teil der Sonnenenergie absorbieren und weniger als ein Prozent im Prozess der Photosynthese umsetzen, lässt die Sonnenenergie doch jedes Jahr viele Milliarden Tonnen an Biomasse wachsen. Fossile Rohstoffe sind nichts anderes als deren geologische Speicherform. Sie enthalten grob geschätzt die akkumulierte Energie aus 500 Millionen Jahren Photosynthese. Das klingt beruhigend – tatsächlich aber entsprechen allein die zwischen 1950 und 2010 verbrauchten fossilen Rohstoffe 50 bis 150 Millionen Jahren gespeicherten Sonnenscheins. Um diesen umweltschädlichen Raubbau einzudämmen, müssen wir aber nicht zurück auf das Niveau der ursprünglichen Bioökonomie. Denn die enormen Fortschritte aller Wissenschaften und deren praktische Anwendung seit dem Beginn der industriellen Revolution haben Lösungsoptionen geschaffen, die weit jenseits der Vorstellungskraft unserer Vorfahren liegen. 

Vier zentrale Herausforderungen
Die langfristige Transformation der Weltwirtschaft in eine Bioökonomie wird also wissensbasiert sein und sich modernster Technologien bedienen. Dazu gehören auch Verfahren der Biotechnologie und der synthetischen Biologie. Im Zuge dieser Transformation sind vor allem vier Herausforderungen zu bewältigen: 
•  ausreichend viel Biomasse zu produzieren und bereitzustellen und dabei der Ernährung der Menschheit absolute Priorität einzuräumen; 
•  Biomasse in Bioraffinerien (ähnlich wie Erdöl in Ölraffinerien) so effizient wie möglich zu Kraftstoffen, Energie und Chemierohstoffen zu verarbeiten;
•  Wirtschaftsbranchen, die bisher wenig miteinander zu tun hatten, zu neuen Wertschöpfungsnetzen zu verknüpfen und bioökonomische Produkte wettbewerbsfähig zu machen; 
•  Bioökonomien an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen auszurichten und dabei die Begrenztheit nachwachsender Rohstoffe zu berücksichtigen. 

Die Herkunft der Biomasse
Aus der Land- und der Forstwirtschaft standen im Jahr 2011 weltweit rund 11,4 Milliarden Tonnen Trocken-Biomasse zur Verfügung. Das optimistischste Szenario einer aktuellen Analyse nimmt an, dass diese Menge bis 2050 auf 25 Milliarden Tonnen gesteigert werden könnte. Etwas mehr als die Hälfte der heutigen Menge stammt aus dem Ackerbau, vor allem aus Mais, Weizen, Reis und Soja und ihren Erntenebenprodukten wie Stroh, Stängel und Blätter. 18 Prozent entstammen der Forstwirtschaft, 31 Prozent dem Weideland. Der weitaus größte Teil dieser pflanzlichen Biomasse wird als Futtermittel für Nutztiere verwendet. Wie weit sich die Biomasseproduktion steigern lässt, hängt vor allem von dem verfügbaren Land, von der Intensität seiner Nutzung und den Produktionsfaktoren Wasser und Nährstoffe ab. In welchem Umfang jedoch das insbesondere in Lateinamerika und Afrika potenziell noch nutzbare Land für die Agrarproduktion genutzt werden kann, ist unklar. Grasland zum Beispiel, das für den Ackerbau umbrochen werden könnte, beherbergt schützenswerte Fauna und Flora. Auch sind manche ungenutzten Flächen für unser Klimasystem wichtig oder werden temporär von Nomaden beweidet. Deshalb bietet sich eher eine Nutzungsintensivierung der vorhandenen Anbauflächen an, indem man zum Beispiel ertragreichere Pflanzensorten und Tierrassen züchtet. Der vermehrte Einsatz von Düngern und Pflanzenschutzmitteln wird kontrovers diskutiert. Erhebliche Auswirkungen hätte es, wenn man den Verlust von jährlich rund 1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmitteln verringern würde, der weltweit durch mangelnde Ernteeffizienz sowie verdorbene und weggeworfene Nahrungsmittel entsteht. Auf zwei weitere Wirtschaftsbereiche, die für Gewinnung von Biomasse von großer und wachsender Bedeutung sind, nämlich die Fischerei- und die Abfallwirtschaft, kann hier aus Platzgründen nicht näher eingegangen werden. 

Die Ernährung der Menschheit
Biomasse muss, wenn sie essbar ist, zuerst der Ernährung der Menschen dienen. Selbst wenn diese „Food first“-Regel der Bioökonomie inzwischen weltweit anerkannt ist, gestaltet sich ihre Verwirklichung schwierig. 1780, kurz vor Beginn der industriellen Revolution, lebten zwischen 800 und 900 Millionen Menschen auf der Erde, im Jahr 2030 werden es mit voraussichtlich 8,3 Mrd. etwa zehnmal so viel sein. Der weiterhin exponentielle Anstieg der Weltbevölkerung verlangt nach einer gewaltigen Steigerung der Nahrungsmittelproduktion: Es wird in den nächsten 50 Jahren nötig sein, so viel Biomasse für Nahrungsmittel zu produzieren wie in der gesamten bisherigen Menschheitsgeschichte. Aber nur rund sechs Prozent aller Biomasse, die (auch ohne menschliches Zutun) auf dem Land wächst, kann zu Nahrungsmitteln verarbeitet werden. Der Rest besteht aus Cellulose, Hemicellulosen und Lignin, den Substanzen, die das Gerüst pflanzlicher Zellwände und Holz bilden. 

Die Bioraffinerie als Zukunftsprinzip
Vor allem auf die Verarbeitung dieser nicht essbaren Substanzen wird es in Zukunft ankommen. Zwar lassen sich Bioraffinerien auch mit Zuckerrohr oder -rüben, mit Mais oder mit Pflanzenöl betreiben, konkurrieren dann aber mit der Nahrungsmittelproduktion. Lignocellulose-Bioraffinerien dagegen verarbeiten agrarische Reststoffe, Holz oder verholzte Gräser. In einer Demonstrationsanlage in Straubing produziert das Unternehmen Clariant zum Beispiel aus Stroh jährlich 1.000 Tonnen Bioethanol, das als Kraftstoff und in Reinigungsmitteln verwendet wird. Das Verfahren hat sich bewährt, so dass ein slowakisches Unternehmen damit in Lizenz demnächst jährlich 50.000 Tonnen Bioethanol herstellen will. In Leuna wiederum wird unter Federführung der Fraunhofer-Gesellschaft eine Pilotanlage betrieben, die Hackschnitzel aus Buchen- und Pappelholz zu verschiedenen Zuckerlösungen und Lignin verarbeitet, deren weitere Veredelung zu Plattformchemikalien und Werkstoffen in verschiedenen Forschungsprojekten erprobt wird. Eine „Grüne Bioraffinerie“ verarbeitet in Brensbach im Odenwald Gras aus einem Umkreis von 30 Kilometern. Während der Grassaft zusammen mit regionalen Bioabfällen zu Biogas und Düngemitteln vergoren wird, entstehen aus den getrockneten Grasfasern entweder Dämmmaterial oder Verbundwerkstoffe.

Neue Formen der Wertschöpfung
Getragen von dem Ziel der Transformation hin zu einer biobasierten Wirtschaft, rücken weltweit Rohstoffe aus der Land- und Forstwirtschaft zunehmend in den Fokus von Industrien, in denen sie bisher nur eine geringe Rolle spielten. So entstehen neue Wertschöpfungsketten, zum Beispiel mit der Chemischen Industrie. Unter dem Stichwort „industrielle Biotechnologie“ kommen in der chemischen Industrie immer mehr umweltschonende Verfahren zum Einsatz, die sich des „Werkzeugkastens der Natur“ bedienen. Ein schnelles Umschwenken von fossilen Rohstoffen auf Agrarrohstoffe wird aber nicht möglich sein. Denn noch kostet die Herstellung biobasierter Produkte viel mehr als die fossil-basierter Produkte. Das liegt auch daran, dass nachwachsende Rohstoffe im Gegensatz zum Erdöl nur saisonal auf weit verteilten Flächen wachsen. Die (verderbliche) Ernte wird per Traktor oder Lastwagen abtransportiert, was das Einzugsgebiet einer Bioraffinerie auf einen Radius von etwa 50 km begrenzt. Diese Regionalisierung eröffnet andererseits Chancen zur wirtschaftlichen Wiederbelebung des ländlichen Raumes. 

„Bio“ allein ist unzureichend
Im Herbst 2015 hat sich die internationale Staatengemeinschaft auf 17 Nachhaltigkeitsziele verpflichtet, die bis 2030 umgesetzt werden sollen. Bioökonomie ist aber nicht per se nachhaltig. Bei ihrer Verwirklichung treten Zielkonflikte nicht nur mit der Ernährungssicherheit, sondern auch mit der Biodiversität auf. Eine intensivierte Landwirtschaft kann die Vielfalt der Arten gefährden. Zudem sind nicht nur fossile Ressourcen, sondern auch Land und Wasser nur begrenzt verfügbar. Auch der Anbau nachwachsender Rohstoffe verursacht Treibhaus-emissionen. Die Bioökonomie muss daher durch die Nutzung erneuerbarer Energien ergänzt, in eine Kreislaufwirtschaft eingebunden und am Konzept der Kaskadennutzung ausgerichtet werden. Hierbei wird die Biomasse so umfassend wie möglich stofflich genutzt und erst am Ende energetisch verwertet.  

„Good Global Governance“ ist gefragt
Viele Staaten dieser Erde haben inzwischen Bioökonomie-Strategien vorgelegt, die ganz unterschiedliche Ausgangs- und Schwerpunkte haben. Die Bioökonomie wird es also genauso wenig geben wie die fossil basierte Ökonomie. Beide verkörpern ein Prinzip mit jeweils vielfältigen Ausprägungsmöglichkeiten. Beide werden voraussichtlich noch über dieses Jahrhundert hinaus als komplementär zueinander bestehen. Wenn wir die Schöpfung bewahren wollen, müssen wir den Weg in die Bioökonomie nicht nur heute schon beherzt einschlagen, sondern dürfen diese auch nicht missverstehen – nämlich als Schlüssel zu einem weiterhin unbegrenzten Wachstum. Wir müssen lernen, Maß zu halten und die Regenerationsfähigkeit unseres Planeten nicht überzustrapazieren. Um diese Aufgabe zu meistern, bedarf es nicht nur verantwortungsbewusster Individuen und Wirtschaftsunternehmen, sondern auch einer „Good global governance“, einer guten, grenzüberschreitenden Regierungsführung.

Der Autor:
Joachim Pietzsch ist selbstständiger Wissenschaftsjournalist in Frankfurt am Main. Er hat mit „Bioökonomie für Einsteiger“ das erste deutsche Lehrbuch zu diesem Thema konzipiert und herausgegeben, das im Mai 2017 im Springer Verlag erschienen ist.

Zuletzt aktualisiert: 01. Februar 2018
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